«Die Korvette, Sir!«meldete Jenour.»Sie greift uns an.»
«Danke, ich seh's. Melden Sie's der Steuerbordbatterie und auch den Seesoldaten. Niemand wird dieses Schiff entern. Mein Befehl gilt: niemand!»
Jenour gab den Befehl weiter an einen Gehilfen des Bootsmannes. Er hatte einen Bolitho gesehen, den er bisher nicht kannte: einen Mann ohne Furcht, ohne Haß, aber auch ohne Hoffnung. Jetzt suchte Bolithos Blick in den Rauchschwaden seinen Bootssteurer Allday. Jenour sah, wie die beiden einander zulächelten, als die Kanonen feuerten. Wie zwei uralte Freunde, die wußten, was kam, ohne sich davor zu furchten.
Bolitho hatte Jenours Erstaunen bemerkt, vergaß es aber sofort. Die Kanonen fingen sich beim Rückstoß in ihren Brocktauen. Wie Besessene stürzten sich die Kanoniere über sie, wischten die rauchenden Rohre aus, rammten Pulverladungen hinein und schließlich die bösartig glänzenden Kugeln. Pulverrauch hatte ihre nackten Rücken geschwärzt, und trotz des scharfen Windes schnitt Schweiß dünne Rinnsale in den Schmutz.
Blut färbte das Deck, das von den französischen Kanonenkugeln tiefe Risse davongetragen hatte. Einer der riesigen Achtzehnpfünder war umgestürzt und hatte einen Mann unter sich begraben. Seine Haut rauchte noch unter dem glühend heißen Lauf. Andere Tote waren zur Seite gezerrt worden, um Platz für die Pulverjungen zu machen, die von Kanone zu Kanone hetzen und ihre Kartuschen fallen ließen, ohne nach links und rechts zu sehen. Zwei Körper, die fliegende Metallsplitter so zugerichtet hatten, daß nichts an ihnen mehr an einen Menschen erinnerte, wurden über die Netze gehoben und ins Wasser geworfen. Ihre Bestattung war ebenso brutal wie der Tod im Gefecht. Im Teleskop beobachtete Bolitho die andere Fregatte. Sie war bestimmt so oft getroffen worden wie die Truculent, aber sie schoß immer noch. Bolitho spürte die Einschläge unter sich im Rumpf. Dazwischen hörte er das Arbeiten der Pumpen. Wenn Poland noch lebte, hätte er jetzt sicher einem seiner Offiziere befohlen, für noch schnelleres Lenzen zu sorgen.
Auf dem Achterdeck seines Gegners entdeckte Bolitho im Glas den französischen Kommandanten, der ihn selber mit dem Teleskop beobachtete. Er bewegte das Glas und sah drüben am Ruder Tote und Sterbende. Williams Breitseiten hatten also fürchterliche Ernte gehalten. Doch die Truculent mußte weiterfeuern, die Fregatte manövrier- oder kampfunfähig machen, damit sie nicht selber zusammengeschossen wurde.
Er senkte das Glas und rief Williams zu:»Zielen Sie hinter ihren Großmast! Feuern in der Aufwärtsbewegung!»
Einschläge übertönten seine Worte, aber ein Unteroffizier hatte sie verstanden und rannte mit dem Befehl nach vorn. Mit gefletschten Zähnen grüßte Williams bestätigend. Rechnete er damit, das Kommando zu übernehmen? Hatte er Furcht vor dem Tod? Bolitho wußte wenig von diesem Mann da vorn im feindlichen Feuer.
Stücke des Schanzkleids surrten durch die Luft und wirbelten angesengte, aufgeschlitzte Hängematten wie kopflose Körper übers Deck. Metall schlug gegen eine Kanone, Männer daran brachen zusammen und wanden sich zuckend in ihrem eigenen Blut. Der junge Midshipman neben Williams wurde mit weggerissenem Gesicht beiseitegeschleudert.
Bolitho dachte an die Grabsteine auf dem Friedhof von Falmouth. Für den jungen Midshipman würde man sicher auch einen errichten, wenn die Nachricht von seinem Tod in England eintraf: gefallen für König und Vaterland. Wie würden es seine Angehörigen aufnehmen?
«In der Aufwärtsbewegung!«Die Kanonen brüllten, Bolitho wurde fast von den Füßen geschleudert. Spieren regneten aus dem Kreuzmast des Franzosen, ein weiteres Marssegel flog in Fetzen davon. Aber seine Flagge wehte noch, der Kampf ging weiter.
«Sie kommt näher, Sir Richard!«schrie Leutnant Munro. Bolitho nickte und zuckte zusammen, als eine Kugel einen Seesoldaten in zwei Teile riß. Er hatte den Niedergang bewacht, der unter Deck führte. Midshipman Fellowes stopfte sich die Faust in den Mund, um nicht zu erbrechen oder nicht zu schreien — beides wäre verständlich gewesen.
Munro senkte sein Glas.»Die andere Fregatte treibt, aber sie kappen die Trümmer.»
«Ja. Wir müssen die hier erledigen, ehe sie wieder in den Kampf eingreifen kann.»
Es krachte laut hinter ihnen. Splitter heulten durch die Luft und schlugen ins Holz. Etwas traf Bolithos linke Epaulette und riß sie fort. Sie fiel an Deck wie ein verächtlich weggeworfenes Taschentuch. Nur einen Fuß tiefer, und der Eisensplitter hätte sein Herz durchschlagen. Er streckte stützend die Arme aus, als Munro gegen die Reling sank, eine Hand unter der Jacke. Helles Blut strömte darunter auf seine weiße Weste und seine weißen Breeches. Allday fing Munro auf und legte ihn sanft auf das Deck.
«Laß den Arzt kommen!«befahl Bolitho.
Der Leutnant starrte mit weitgeöffneten Augen in den leeren blauen Himmel, als begreife er nicht, was geschah.
«Nein, Sir, bitte nicht. «Er keuchte, als der Schmerz kam, Blut lief ihm aus einem Mundwinkel.»Ich will in Ruhe sterben.»
Allday stand auf und sagte heiser:»Keine Chance, Sir Richard. Glatt durchschossen!»
Jemand rief um Hilfe, ein anderer schrie auf vor Schmerz, als wieder Kugeln in den Rumpf schlugen. Bolitho fühlte sich wie gelähmt. Das alles war wie damals auf der Hyperion. Wie damals hielt er die Hand eines Sterbenden, der erstickt stammelte:»Warum ich?»
«Ich bin ja da, Mr. Munro«, sagte Bolitho.»Gleich geht es Ihnen besser.»
Munros Augen wurden groß, dann wich alles Verstehen aus ihnen.
Hull, der Master, der mit Wind und Ruder sein eigenes Gefecht geführt hatte, rief:»Korvette nimmt Fregatte in Schlepp, Sir!»
Bolitho erhob sich.»Warum denn das?«Er stellte die Schärfe seines Glases nach.
Hinter Rauchfahnen entdeckte er die beiden Schiffe. Ein Beiboot brachte die Schlepptrosse zur Fregatte. An einer Rah der Korvette wehten Signalflaggen aus, und als er sich umdrehte, sah er Signalflaggen auch über den Mündungsblitzen der kämpfenden Fregatte. Dieser Kommandant gab den Kampf bestimmt nicht auf, warum also schleppte die Korvette das große Schiff aus dem Feuerbereich? Das war doch unsinnig.
Die Rahen des Franzosen bewegten sich plötzlich, und wie durch Zauberei blähten sich alle seine Segel.
«Die Fregatte wendet, Sir Richard!»
Bolitho brüllte durch die hohlen Hände nach vorn:»Mr. Williams, feuern Sie auf ihr Heck, wenn sie wendet!»
Allday schien genauso verblüfft.»Warum bricht sie den Kampf ab? Wenn die drei uns…»
Plötzlich war es fast still. Man hörte nur die Kommandos der Stückführer und das Saugen der Pumpen. Von irgendwo oben kam die Stimme eines Seesoldaten:»An Deck! Segel in Luv!»
Der Franzose nahm Fahrt auf, während er drehte. Bleiches Sonnenlicht lag auf seinem zerschossenen Heck. Der Name L'Intrepide war zum erstenmal zu erkennen.
«Nach oben, Mr. Lance, so schnell Sie können! Ich möchte wissen, wer sich da nähert«, befahl Bolitho.
Der Leutnant enterte in wilder Hast auf. Nur einmal verhielt er, als Williams Kanonen wieder schossen und Qualm nach oben stieg.
«Die setzen noch mehr Segel«, rief Allday.
Männer traten verwirrt an die Reling. Was sollte das bedeuten? Verwundete krochen übers Deck, um zu erspähen, was drüben geschah. Sie blieben ohne Antwort.
«Achtung — sie will uns mit den Heckkanonen bestreichen!«rief Bolitho warnend. Er hatte gesehen, wie sich im Heck der Fregatte zwei Klappen öffneten und zwei Mündungen sich hervorschoben. Sie zielten auf die Truculent, obwohl sich die Entfernung zwischen den beiden Schiffen schnell vergrößerte.
«Klar zum Feuern!«brüllte Williams wieder.
Als ob ihn der Kampf da unten überhaupt nichts anginge, meldete sich Leutnant Lance von oben:»Es ist eine englische Fregatte. Setzt gerade ihre Kennung.»
«Bestimmt die Zest«, knurrte Allday.»Aber verdammt zu spät!»
Lancer, der sein Signalbuch mit nach oben genommen hatte, rief verblüfft herunter:»Es ist die Anemone, Sir Richard. Unter Kapitän