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Die besten Schützen der Seesoldaten, die Major Adams finden konnte, standen schon oben in den Gefechtsmarsen mit einigen Kanonieren, welche die Drehbassen bedienten. Die Masse der Seesoldaten war achtern angetreten. Noch kauerten sie nicht hinter den Hängemattsnetzen, um den Feind aufs Korn zu nehmen, sondern warteten in sanft schwankenden Reihen. Sergeant Embree und seine Korporale sprachen leise miteinander, ohne die Lippen zu bewegen. Penhaligon und seine Gehilfen hielten sich mit zwei Ersatzleuten beim Ruderrad auf.

Abgesehen vom Rauschen der See und dem gelegentlichen Klatschen des großen Besansegels über dem Poopdeck war alles still, nachdem der Spielzug aufgehört hatte. Das feindliche Flaggschiff war jetzt viel nähergekommen. Man bemerkte bereits die Sonnenreflexe auf Degen und Bajonetten. Männer schwärmten in die Wanten des Vormastes, andere stiegen auf die Kanonen und schauten dem sich nähernden Geschwader entgegen.

Der spanische Admiral mochte damit rechnen, daß sein Gegner in Schlachtlinie Schiff gegen Schiff kämpfen wollte. Aber damit hätten seine neunzig Geschütze gegen die alte Hyperion gestanden. Bolitho lächelte grimmig. Den Gefallen würde er ihm nicht tun.

Es wäre sogar unklug, in der ersten Phase das überladene Heck der San Mateo zu kreuzen. Wenn Hyperion beim Durchbrechen der gegnerischen Linie manövrierunfähig geschossen wurde, mußte das die nachfolgenden Schiffe durcheinanderbringen, und Herrick war dann sich selbst überlassen, um sich mit lediglich drei Schiffen auf eigene Faust zu schlagen.

Bolitho befahl:»Signal an Tybalt: Sie soll sich hinter Olympus setzen, das gibt der Herrick-Linie mehr Gewicht. «Die Flaggen flitzten hoch, aber er behielt weiter das große spanische Flaggschiff im Auge.

Keen konnte offenbar seine Gedanken lesen.»Darf ich vorschlagen, daß wir die spanische Schlachtlinie hinter dem dritten oder vierten Schiff durchstoßen?»

Bolitho lächelte.»Je weiter weg von der Schönen, umso besser, jedenfalls bis wir deren Übergewicht etwas ausgeglichen haben.»

Jenour bei den Signalgasten hörte Bolithos gelassene Antwort. War seine Ruhe nur ein Bluff, oder glaubte er wirklich, er könne gegen so viele gewinnen? Jenour dachte an seine Eltern und wie er das alles in seinem nächsten Brief an sie schildern würde. Doch es überstieg seine Vorstellungskraft. Vielleicht würde es überhaupt keinen Brief mehr geben? Schreckliche Angst überfiel ihn, er hob den Blick zu den Wolken über Bolithos Flagge und begriff: Er ging dem Tod entgegen.

Fähnrich Springett, der jüngste an Bord, trat blinzelnd ins Helle. Seine Gefechtsstation war im halbdunklen unteren Batteriedeck, von wo er Meldungen zum Achterdeck zu bringen hatte. Bolitho sah, wie er sich umschaute, und achtete auf seinen Gesichtsausdruck, als er den Feind erblickte, wahrscheinlich zum erstenmal in seinem Leben. In diesem Augenblick verloren seine Uniform und der blinkende Dolch an seinem Gürtel völlig an Bedeutung. Er biß auf seine Fingerknöchel, als ob er einen Schreckensschrei zurückhalten müsse. Plötzlich war er wieder ein

Kind.

Jenour ging zu ihm.»Mr. Springett, Sie könnten mir heute helfen. «Er deutete auf die beiden Signalfähnriche, auf Furnival, den Senior, und Mirrielees mit den roten Haaren und einem Gesicht voller Sommersprossen.»Die alten Männer da sind nicht mehr ganz auf der Höhe. «Die beiden Erwähnten stießen sich grinsend in die Rippen; es war alles ein großer Witz.

Der Junge starrte sie wie hypnotisiert an. Er flüsterte:»Danke, Sir«, und übergab ein Stück Papier.»Mit Mr. Mansforths Respekt, Sir. «Er drehte sich wieder um und trottete davon, ohne auch nur einen Blick auf die imposanten Segelpyramiden rundum zu werfen.

Keen sagte leise:»Der Flaggleutnant hat den Jungen davor bewahrt, in Tränen auszubrechen.»

Bolitho sah auf der San Mateo weitere Flaggensignale auswehen und dachte, daß Jenour selbst vermutlich auch nicht weit davon entfernt gewesen war.

Übers Wasser drang das dumpfe Rumpeln schwerer Geschützlafetten. Den wartenden Seeleuten entrang sich so etwas wie ein Aufseufzen, als dunkle Schatten über das hohe Freibord der San Mateo liefen. Alle Kanonen ihrer Backbordseite waren nun ausgefahren. Es war, als schauten sie einem Drachen ins offene Maul.

Das Geschmetter einer Trompete ertönte. Bolitho stellte sich die feindlichen Kanoniere vor, wie sie über ihre Rohre das Ziel auffaßten, während die nächsten Ladungen Pulver und Kugeln schon bereitlagen.»Heißt Benbows Nummer! Ich wage nicht noch viel länger zu warten, Val.»

Während man die Flaggleinen bestückte, achtete Bolitho auf die beiden konvergierenden Reihen, deren Kurse in einer Pfeilspitze zusammenliefen.

Ein dumpfer Knall — und von der Bordwand der San Mateo löste sich ein Rauchwölkchen. Die Kugel schlug aufs Wasser, prallte ab und flog weiter, eine zerfetzte Gischtfeder aufwerfend. Ein die Reichweite testender Schuß? Oder wollte man lediglich die spanischen Seeleute aufmuntern, während sie — wie die der Hyperion — in quälender Spannung warteten?

«Benbow hat verstanden, Sir!»

So wenig Signale wie möglich. Bolitho hatte dies im Prinzip immer für gute Taktik gehalten. Einem Gegner fiel es nicht schwer, aus den Signalen des anderen den nächsten Schritt zu erahnen. Zudem war es möglich, daß die Prise Intrepido den Spaniern mit einem noch gültigen Signalbuch in die Hände gefallen war. Als der arme Kapitän Price sein Schiff auf Grund gesetzt hatte, konnte er sich diese Situation kaum ausgemalt haben.

Bolitho wandte sich an Keen und seinen Ersten.»Wir gehen nacheinander über Stag. Hyperion und Benbow führen die beiden Reihen an. «Sie nickten. Parris sah ihm auf den Mund, als wolle er einen tieferen Sinn herauslesen.»Damit kommen wir so hoch an den Wind, wie sie es eben noch verträgt. Das wird unsere Fahrt verringern.»

Wieder hatten sie verstanden. Es konnte nämlich bedeuten, daß der Feind mehr Zeit fand, seine Kanonen auf sie zu richten. Bolitho ging zur Steuerbordseite und stellte sich auf die Lafette eines Neunpfünders. Mit einer Hand stützte er sich auf die bloße Schulter des einen Kanoniers.

Er konnte die Masten der Benbow hinter den anderen erkennen.

Herricks Flagge flatterte vom Besan. Benbow hatte noch den Bestätigungswimpel stehen, ebenso wie Hyperion ihre Nummer vorgeheißt ließ: wie eine Trompete, die lautlos zur Attacke blies. Eine Attacke, die nun nicht mehr aufzuhalten war. Bolitho fühlte, wie sich die Schulter des Mannes spannte, als er zu ihm hochsah. Er blickte in sein Gesicht; um die achtzehn herum. Ein Gesicht, wie man es auf den Farmen und Landstraßen von Cornwall fand. Nur nicht in Kriegszeiten.»Naylor, hab' ich recht?»

Der Kanonier grinste, während seine Kameraden einander zuzwinkerten.»Aye, aye, Sir Richard.»

Bolitho dachte an den entsetzten kleinen Fähnrich und an Jenour, der es mehr als das Gefecht fürchtete, seine Angst zu zeigen.

«Nun, Naylor, dort ist der Feind. Was sagst du dazu?»

Naylor musterte den nächststehenden Spanier mit seinen imposanten Flaggen und Wimpeln, von denen einige beim Auswehen fast das Wasser berührten.»Ich denke doch, daß wir mit denen fertig werden, Sir Richard. «Er nickte nachdrücklich.»Wir müssen den Weg für die anderen freimachen.»

Seine Kameraden brachen in Hochrufe aus, und Bolitho kletterte von der Lafette. Er fürchtete, daß sein Auge eben diesen Moment wählen könnte, ihn im Stich zu lassen.

Naylor war nur ein einfacher Seemann, der, wenn er diesen Tag überlebte, wahrscheinlich in einer anderen Schlacht sterben würde, bevor er ein Jahr älter war. Plötzlich fielen ihm das große Haus in London und Belindas beißende Worte ein. Wie borniert sie doch war…

«Das werden wir auch. «Er nickte Naylor zu und ging davon.»Kapitän Keen!«Wieder schien die Zeit für beide stillzustehen. Dann sagte Bolitho sachlich:»Kursänderung drei Strich nach Steuerbord. Steuert Nord zu West!»

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