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Man hörte einen rauhen Jubelschrei, und Parris rief:»Bei Gott, da kommt Imrie!»

Die Thor hatte jedes bißchen Leinwand gesetzt, so daß ihre Segel im frühen Morgenlicht wie eine große, rotgoldene Pyramide leuchteten. Alle ihre kurznasigen Karronaden waren zu beiden Seiten des schwarz- und ockergestreiften Rumpfes wie ein Gebiß ausgefahren. Ihr Anstrich glänzte, als sie Ruder legte und auf die beiden Schatzschiffe zudrehte. Im Vergleich zur langsamen Ciudad de Sevilla bewegte sich die Thor leichtfüßig wie eine Fregatte.

Der Handstreich mußte jedermann in den Forts und an der Küste völlig überrascht haben. Zuerst war ein schwedischer Schoner aufgetaucht, dem ein Kriegsschiff folgte, und das innerhalb ihres eigenen schwerbestückten Territoriums. Bolitho dachte flüchtig an Kapitän Price. Dies wäre seine Stunde gewesen.

«Signal an Thor: Das andere Schatzschiff versenken!»

Obwohl es ursprünglich eine Bootsattacke werden sollte, hatten sie auch diese Möglichkeit in Betracht gezogen. Bolitho schaute auf das blutverschmierte Deck nieder, auf die offenen Mundes daliegenden Toten und die stöhnenden Verwundeten. Wie es aussah, hätten sie ohne den Schoner wahrscheinlich keinen Erfolg gehabt.

Er griff wieder zum Fernglas. An Bord des anderen Schiffes strömten die Spanier zusammen, Bajonette und Spieße funkelten im Sonnenlicht. Sie erwarteten eine Entermannschaft der Thor, und diesmal wollten sie vorbereitet sein. Als sie Imries wahre Absicht erkannten, war es zu spät. Eine Trompete schmetterte, Pfeifen schrillten, sie rannten in Panik hierhin und dorthin und prallten schließlich wie konfuser Seegang aufeinander.

Fast graziös umrundete der gedrungene Rumpf der Thor das andere Schiff, bis sein ungeschütztes hohes Heck ihm zugekehrt war. Dann feuerten die Karronaden eine langsame Breitseite ab.

Schuß für Schuß löste sich mit dem ohrenbetäubenden, für Karronaden so typischen kurzen Donnerschlag. Vom hohen Kastell des Gegners rieselte es golden, die schimmernden Schnitzereien klatschten in die See oder wurden hoch in die Luft gewirbelt. Als der Wind den Rauch forttrieb, klaffte anstelle des Heckaufbaus eine schwarze Höhle in der Bordwand. Die schweren Kartätschen hatten den Rumpf der Länge nach wie eine eiserne Woge durchschlagen und alles unter Deck hinweggefegt.

Thor drehte abermals. Als die Spanier versuchten, das Ankertau ihres zerschlagenen Schiffes zu kappen, kreuzte sie wieder auf und feuerte mit der anderen Batterie eine Breitseite ab. Der Spanier verschwand im Rauch. Sein Besan und Großmast waren mit wirrem Durcheinander längst über Bord gefallen, und die Taue lagen an Deck und im Wasser wie Lianen verstreut.

Bolitho, der das Schauspiel direkt vor Augen hatte, mußte schlucken und räusperte sich.

«Setzt die Breitfock, Mr. Parris.»

Er packte die Schulter des Fähnrichs, der wie angeschossen hochsprang.»Signal an Thor: Her zu mir!«Als er den Griff lockerte, fügte er hinzu:»Du hast dich gut gehalten. «Dann sah er die Männer am Ruder, ihre rauchverschmierten Gesichter und bloßen Füße, ihre blutigen Entermesser.»Ihr habt es alle gut gemacht!»

Das große Vorsegel füllte sich, das Deck neigte sich ein wenig, und ein Leichnam rollte vor die Speigatten, als ob er sich bisher nur totgestellt hätte.

Auf dem Vordeck stand Jenour. Dort bewachten zwei bewaffnete Seeleute eine offene Luke, weil niemand wußte, wie viele Feinde noch im Innern des Schiffes steckten. Jenour spürte, daß Bolitho ihn ansah, und hob seinen schönen Degen wie zum Salut. Wie für den dreizehnjährigen Hazlewood war es auch für ihn wahrscheinlich das erste Blutvergießen gewesen.

«Thor zeigt verstanden, Sir!»

Bolitho wollte seinen Degen ablegen und erinnerte sich, daß er die Scheide vor dem Handgemenge weggeworfen hatte. Nun lag sie auf dem kleinen Schoner, der soeben im Dunst verschwand und nur noch eine Erinnerung war.»Nordost zu Ost liegt an, Sir!»

Vor ihnen, milchblau im frühen Licht, dehnte sich die offene See. Männer jubelten — verblüfft, verstört, voller Freude und auch, weil sie das Ganze noch gar nicht fassen konnten.

Parris grinste breit und drückte die Hand des Meistergehilfen so kräftig, daß dieser zusammenzuckte.»Sie gehört uns, Mr. Skilton! Gott verdamm' mich, wir haben ihnen das Schiff unter ihrer Nase weggenommen!»

Skilton schnitt eine Grimasse.»Wir sind noch nicht daheim,

Sir.»

Bolitho hob das Glas wieder, es dünkte ihn schwer wie Blei. Weniger als eine Stunde war verflossen, seit sie das verankerte Schatzschiff überfallen hatten. Eine Unmenge kleiner Boote verließ die Küste, eine Brigg setzte Segel, um sich ihnen anzuschließen. Sie alle strömten zu dem spanischen Wrack. Die letzte Breitseite muß es wie ein Sieb durchlöchert haben. Jedes Boot und jede Hand würde nötig sein, um zu bergen, was noch zu bergen war, ehe es kenterte und unterging. Es nicht zu entern, hatte sich gelohnt. Wenn sie versucht hätten, beide zu nehmen, hätten sie keines bekommen, sondern beide verloren. Der Meistergehilfe hatte schon recht: Bis daheim war noch ein langer

Weg.

Er ließ den Degen an Deck fallen, er war ungebraucht wie der Dolch des kleinen Fähnrichs. Todessehnsucht? Er hatte keine Furcht empfunden, wenigstens nicht für sich selbst. Er sah die Matrosen an den Backstagen heruntergleiten. Hundert Mann Besatzung hatte er für die Ciudad de Sevilla, das reichte. Sie vertrauten ihm, und das war vielleicht der größte Sieg.

Bolitho nahm sich eine Kaffeetasse und schob sie gleich wieder fort: leer. Das hätte Ozzard unter diesen Umständen nie zugelassen. Müde rieb er sich die Augen und sah sich in der überreichlich ausgestatteten Kajüte um. Im Vergleich zu einem britischen Kriegsschiff war es ein Palast, sogar für einen Vizeadmiral. Er lächelte dünn.

Es war Nachmittag. Trotzdem konnten sie vom Großmast immer noch das spanische Festland sehen. Aber Geschwindigkeit war so wichtig wie die Entfernung, deshalb ließ er bei dem stetigen Nordwestwind jeden Fetzen setzen, den das Schiff tragen konnte. Er hatte ein ebenso kurzes wie feindseliges Gespräch mit dem spanischen Kapitän gehabt, einem arroganten, bärtigen Mann mit dem Gesicht eines alten Conquistadors. Schwer zu sagen, was diesen Spanier mehr ärgerte: daß ihm sein Schiff unter den Kanonen des eigenen Forts weggenommen wurde oder daß ihn ein Mann befragte, der sich zwar als englischer Admiral ausgab, aber in seinem zerlumpten Hemd und den rauchgeschwärzten Kniehosen eher wie ein Landstreicher aussah.

Er nannte Bolithos Absicht, das Schiff in friedlichere Gewässer zu segeln, aussichtslos. Wenn die Abrechnung kam, würde es ein Ende ohne Gnade sein, hatte er in merkwürdig eintönigem Englisch gesagt. Da hatte Bolitho das Gespräch beendet und gelassen erklärt:»Niemand erwartet Gnade von einem Land, das sogar die eigenen Leute wie Tiere behandelt.»

Bolitho hörte, wie Parris einem Mann im Besanmast etwas zurief. Er war unermüdlich und nicht zu stolz, beim Brassen oder Heißen mit anzupacken. Mit ihm hatte Bolitho eine gute Wahl getroffen.

Thor war dem schwerfälligen Schatzschiff gefolgt, wahrscheinlich ebenso erstaunt über ihren Erfolg wie alle. Doch so groß dieser auch war, er hatte seinen Preis gefordert und Trauer hinterlassen wie nach jedem Gefecht.

Leutnant Dalmain war ums Leben gekommen, aber seine Leute waren von Thor abgeborgen worden. Die beiden Mörser mußten aufgegeben werden, ihr wuchtiger Rückstoß hatte den lecken Leichter bis auf den Kiel zerschlagen. Dalmain hatte seine Leute in Sicherheit gebracht und war noch einmal zurückgekehrt, um etwas zu holen. Dabei war der Leichter plötzlich vollgelaufen und weggesackt. Nun lag Dalmain bei seinen geliebten Mörsern.

Vier Mann waren beim Angriff gefallen, drei weitere schwerverwundet worden. Einer der letzteren war Seemann Laker, der einen Arm und ein Auge verloren hatte, als eine Muskete ihn auf Nahschußdistanz beschoß. Bolitho hatte gesehen, wie Parris über ihm kniete, als der Mann krächzte:»Besser als ausgepeitscht, nicht wahr, Sir?«Dann hatte er nach der Hand des Leutnants getastet.»Konnte ein kariertes Fell noch nie leiden, schon gar nicht seinetwegen.»

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