Der Offizier grinste.»Sie sind ein Feuerkopf, das muß man Ihnen lassen. «Und zu der Teerjacke:»Paß gut auf, Jorgens. Der geringste Widerstand, und du nimmst dich seiner an, klar?»
Die Tür schloß sich, und der Matrose sagte:»Der Käpt'n will Sie sprechen, wenn Sie fertig sind. «Er leckte sich die Lippen.»Er hält Frühstück für Sie bereit. «Die Behandlung schien ihn zu erstaunen.
Während Bolitho sich rasierte, rasten ihm hundert Gedanken durch den Kopf. Vielleicht sollte er tun, was der Offizier angedeutet hatte. Ein Schnitt in die Halsschlagader, und sie gingen leer aus, hatten weder ein bereitwilliges Opfer noch eine Quelle möglicher Information. Er erinnerte sich an Herricks Gesicht, als er zu ihm gesagt hatte: >Hier draußen kann man durch mangelnde Information den ganzen Krieg verlieren.< Jetzt kehrten sich seine eigenen Worte gegen ihn. Er dachte an Farquhar und die anderen und sah wieder Stockdales zerschlagenes Gesicht vor sich, als die Leute des Kaperschiffs sie trennten. Es hatte einen Ausdruck des Vertrauens und der Zuversicht getragen. In jenem schrecklichen Augenblick hatte Bolitho das mehr geholfen als Worte oder irgendwelche Taten.
Er wischte das Rasiermesser ab und legte es auf die Seekiste. Nein, das Leben war mehr als die persönlichen Hoffnungen eines Einzelnen. Er zog die Uniform zurecht und schob das dunkle Haar aus der Stirn.»Ich bin bereit«, sagte er kühl.»Vielleicht zeigen Sie mir den Weg.»
Er folgte dem Matrosen durch den Gang. Das Tageslicht zeigte ihm noch mehr Zeugen des kurzen Gefechts: geknickte Hölzer, durch Behelfsbalken gestützt, und vielsagende rote Flecken, die selbst wochenlangem Schrubben getrotzt hatten.
Ein bewaffneter Matrose trat beiseite und öffnete die Tür zur Kapitänskajüte. Bolitho betrat den einst vertrauten Raum. Die Morgensonne flutete durch die Heckfenster, und die tanzenden Reflexe blendeten ihn. Der Kapitän der Andiron stand über die Heckbank gebeugt und schaute hinaus. Seine Gestalt hob sich dunkel vor dem glitzernden Wasser ab. Doch Bolithos Blick galt nicht ihm, sondern dem Degen, der mitten auf dem polierten Tisch lag.
Er wartete. Seine Beine paßten sich automatisch dem leichten Stampfen und Rollen des Schiffes an. Die Kugeln der Phalarope hatten selbst hier eingeschlagen, wie Bolitho sah. Lange kann die Andiron nicht im Hafen gelegen haben, überlegte er.
Der Offizier am Fenster drehte sich langsam um. Das Licht huschte über sein Gesicht, ehe es sich wieder in eine dunkle Silhouette verwandelte. Zum zweiten Male innerhalb von vierundzwanzig Stunden hätte Bolitho beinahe die Haltung verloren. Er mußte alle Kraft zusammennehmen, um nicht ungläubig aufzuschreien. Aber als der andere sprach, wußte er, daß ihn auch diesmal keine Einbildung narrte.
«Willkommen an Bord der Andiron, Richard. Als mir mein Zweiter den Säbel brachte, wußte ich, daß du es sein mußtest.»
Bolitho starrte seinen Bruder an, und die Jahre sackten weg, während ihm tausend Erinnerungen durch den Kopf wirbelten: Das war Hugh Bolitho, der Sohn, über den sein Vater so verbittert und doch so besorgt gesprochen hatte. Nun Kommandant eines feindlichen Kaperschiffes. Schlimmer konnte es nicht kommen.
«Es war unvermeidlich«, sagte sein Bruder langsam.»Aber ich hoffte, daß es auf andere Art geschehen würde. Und vielleicht an einem anderen Ort.»
«Weißt du, was du getan hast?«hörte Bolitho sich fragen.»Was das für Vater bedeutet?«Er stockte, war unfähig, die Tatsache hinzunehmen, daß sie Kinder desselben Vaters waren.»Dann hast du also bei dem Gefecht im vorigen Monat die Andiron befehligt?»
Hugh Bolitho schien sich etwas zu entspannen, offenbar meinte er, das Ärgste sei nun vorüber.»Ja. Es war wirklich eine Überraschung.
Wir wollten gerade zum Endstoß ansetzen, da sah ich dich durch mein Glas. «Er verzog das Gesicht, als er sich den Augenblick zurückrief.»So drehte ich ab. Du hast an diesem Tag Glück gehabt, mein Junge.»
Bolitho versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, und sagte kurz:»Willst du andeuten, daß meine Anwesenheit deinen Entschluß bestimmte?»
«Dachtest du, du hättest gesiegt, Richard?«Hugh Bolitho betrachtete seinen Bruder irgendwie belustigt.»Trotz des Kettenbeschusses hätte ich die Phalarope nehmen können, das kannst du mir glauben. «Er zog die Schultern hoch, ging zum Tisch und blickte auf den Degen.»Es brachte mich aus der Fassung. Ich wußte nicht, daß du nach Westindien zurückgekehrt warst.»
Bolitho sah die grauen Strähnen im Haar seines Bruders und die Falten um seinen Mund. Hugh war nur vier Jahre älter, aber es hätten zehn Jahre zwischen ihnen liegen können.»Nun, jetzt bin ich also dein Gefangener«, sagte er.»Was hast du mit mir vor?»
Hugh Bolitho wich einer direkten Antwort aus. Statt dessen griff er nach dem Degen und hielt ihn gegen die Sonne. »Dir hat er ihn also gegeben. «Er schüttelte den Kopf, eine ebenso vertraute wie schmerzliche Geste.»Armer Vater. Ich fürchte, er denkt das Schlechteste von mir.»
«Überrascht dich das?»
Hugh Bolitho legte den Degen auf den Tisch und schob die Hände tief in die Taschen seines einfachen blauen Rocks.»Ich war auf diese Begegnung nicht aus, Richard. Denke, was du willst, aber du weißt so gut wie ich, daß die Dinge hier draußen zu schnell abrollen, um Gefühle walten zu lassen. «Er sah seinen Bruder an.»Als ich dich auf dem Deck stehen sah, während deine armselige Mannschaft auseinanderfiel, konnte ich es einfach nicht über mich bringen, den Kampf zu Ende zu führen. «Er hob unbestimmt die Hand.»Ganz wie früher, Richard. Es ist mir nie leichtgefallen, dir etwas wegzunehmen, was deiner Meinung nach dir gehörte.»
«Trotzdem hast du es immer getan, nicht wahr?«erwiderte Bolitho gelassen.
«Die Zeiten sind vorbei. «Er deutete auf eine Seekarte.»Wir segeln nach St. Kitts. Bis zum Abend werden wir unter Land sein. «Er bemerkte den Zweifel in Bolithos Augen.»Ich lese in dir wie in einem Buch, Richard. Noch immer das alte Mißtrauen. «Er lachte.»St. Kitts ist von unseren Verbündeten genommen worden. Sir Samuel Hood hat sich zurückgezogen, um seine Wunden zu lecken. «Er schwenkte die Hand über die Karte.»Es wird bald vorbei sein. Ob eure Regierung es nun glaubt oder nicht, Amerika wird eine unabhängige Nation werden, vielleicht eher, als man denkt.»
Bolithos Finger krampften sich hinter seinem Rücken ineinander. Während er hier mit der Vergangenheit konfrontiert wurde, ging seine Welt in Stücke. St. Kitts verloren! Vielleicht sammelten sich die Franzosen schon anderswo zum Angriff. Aber wo? Sie konnten fast jede karibische Insel wählen.
«Falls du etwas vorhast, um meine Pläne zu stören, dann spar dir die Mühe, Richard. Für dich ist der Krieg aus. «Hugh
Bolitho klopfte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte.»Es sei denn… «»Es sei denn — was?»
Hugh Bolitho kam um den Tisch herum und sah seinen Bruder fest an.»Es sei denn, du stößt zu uns, Richard. Die Franzosen geben etwas auf mich. Ich glaube bestimmt, daß sie dir ein Schiff anvertrauen würden. Nach deinem Wagestück auf Mola können sie dir Mut und Zielstrebigkeit ganz gewiß nicht absprechen. «Er lächelte bei dem Gedanken, der ihm durch den Kopf ging.»Vielleicht sogar die Phalarope.»
Er beobachtete seinen Bruder, der keine Miene verzog, und ging dann zum Fenster.»Diese Gewässer gehören jetzt uns. Unsere Nachrichten stammen aus vielen Quellen, von Fischern, Handelsbooten, sogar Sklavenschiffen. Da St. Kitts gefallen ist, werden sich eure Schiffe nach Süden auf Antigua zurückziehen, ja noch weiter. Hier gibt es nicht mehr viele Patrouillenschiffe. Zu kostspielig für euren Admiral, nicht wahr?«Er lächelte.»Vielleicht nur noch ein Schiff: ein einziges.»
Bolitho dachte an die Phalarope und versuchte sich vorzustellen, was Vibart tun würde.
«Dein Schiff, Richard, die Phalarope. Wir brauchen jede Fregatte, die wir bekommen können, wie die Seestreitkräfte aller anderen Länder auch. Ich habe dafür gesorgt, daß dein Admiral, dieser bombastische Narr Sir Robert Napier, über unsere Bewegungen informiert wurde. Dein Erfolg auf Mola ist ihm bestimmt so zu Kopf gestiegen, daß er der Phalarope Order geben wird, uns aufzuspüren. Der Admiral wird bestimmt alles daransetzen, den Verlust der Andiron zu rächen, nicht wahr?»