«Wahrschau an Deck! Segel steuerbord voraus!»
Aufgeregt zischte Graves:»Das Geschwader, bei Gott, jetzt wird es besser!»
Ein paar Augenblicke später:»Deck! Es ist ein Lugger, Sir. Läuft ab!»
Bolitho verschränkte die Hände hinter seinem Rücken. Irgendein furchtsamer Kauffahrer. Kein Zweifel! Bliebe er in Sicht, würde er innerhalb einer Stunde Zeuge eines ungleichen, einseitigen Kampfes sein.
«Der Franzose hat seinen Kurs etwas geändert!»
Buckle spähte durch sein Teleskop achteraus.
«Er braßt seine Rahen an.»
Bolitho zählte die Sekunden und wartete. Die Fregatte war aus ihrem ursprünglichen Kurs gelaufen. In jagender Geschwindigkeit drehte sie ganz leicht vom Parallelkurs ab. Bolithos Körper spannte sich, als er den Puff braunen Rauches sah, der sofort im achterlichen Wind davontrieb.
Das schwere Geschoß klatschte etwa eine Kabellänge zu kurz in die See. Eine Wasserfontäne stob auf wie von einem blasenden Wal.
Bolitho wollte das Freudengebrüll seiner Leute nicht hören. Was immer sie glauben mochten, es war ein einwandfreier Schuß. Die Fregatte hatte mit einem schweren Geschütz, das etwa seinen eigenen Buggeschützen gleichen mochte, fast zwei Meilen weit geschossen.
Foley tauchte an seiner Seite auf.»Ich habe den Abschuß gehört. «Er beschattete seine Augen und spähte über das Schanzkleid.»Er will Sie entnerven.»
Bolitho lächelte ernst.»Oh, er will noch viel mehr, Oberst.»
Er hörte schwere Schritte auf dem Achterdeck und entdeckte Dalkeith, der mit trüben Augen in die Sonne blinzelte und mit einem großen Taschentuch sich den Schweiß aus dem Gesicht wischte. Der Arzt hatte seine schwere Schürze abgelegt, aber Beine und Schuhe waren voll dunkler, noch feuchter Flecken.
Mit ein paar kurzen Worten gab er Bolitho seinen Bericht.»Das wärs für den Augenblick, Sir. Zehn Mann sind gestorben, aber ich fürchte, daß ihnen noch einige folgen werden.»
Voll Bewunderung sagte Foley:»Danke, Mr. Dalkeith, besser, als ich zu hoffen wagte.»
Alle drehten sich um, als wieder ein dumpfer Knall über die weißen Wogenkämme hallte. Der Einschlag lag näher und auf gleicher Höhe mit der Steuerbordseite.
Dalkeith zuckte die Achseln.»Auf festem Boden hätte ich vielleicht mehr retten können, Oberst.»
Er wandte sich ab und ging zur Reling. Seine Schultern waren wie unter einer großen Last gebeugt, und die Perücke saß ihm schief auf dem Kopf.
«Ein guter Chirurg«, sagte Bolitho.»Gewöhnlich heuern nur Taugenichtse oder Trunkenbolde an. Er ist keines von beiden.»
Foley betrachtete die Fregatte durch ein Fernglas.»Vielleicht hat ihn eine Frau auf die See getrieben. «Er duckte sich unwillkürlich, als der Feind feuerte und die Kugel hoch über ihre Köpfe wimmerte, bevor sie auf der anderen Seite eine Fontäne aus Gischt aufwarf.
«Er hat sich jetzt auf uns eingeschossen, Mr. Tyrell. Lassen Sie die Flagge setzen.»
Bolitho sah, wie die scharlachrote Flagge sich an der Gaffel entfaltete.
«Mr. Dalkeith, Ihre Gehilfen sollen die Verwundeten auf die Backbordseite tragen. «Er schnitt den unausgesprochenen Protest des Arztes ab.»Besser jetzt als später, wenn wir wirklich in Schwierigkeiten sind.»
Graves kam nach achtern gerannt.
«Geschütze ausrennen, Sir?»
«Nein. «Er blickte auf, als wieder ein Geschoß über das Deck heulte.»Lassen Sie die Steuerbordbatterie laden, Kartätschen mit doppelter Ladung.»
Er beachtete nicht den verwirrten Gesichtsausdruck des Leutnants und wandte sich an Foley.
«Wenn wir feuern müssen, dann wird es nur diese eine Breitseite sein. Sie sind selbst unter Deck gewesen. Mit dem Schiff, das randvoll mit Kranken beladen ist, können wir uns nicht in einen Nahkampf einlassen.»
Foley schaute weg.»Es tut mir leid, Kapitän.»
Bolitho sah ihn ernst an.»Es soll Ihnen nicht leid tun. In meinen Befehlen steht wenig von Kämpfen geschrieben. Mein Auftrag befaßt sich nur mit Beförderung. «Er lächelte mühsam.»Leider hat ihn der Franzmann nicht gelesen. «Er blickte aufs Geschützdeck hinunter, wo die Verwundeten auf die andere Seite getragen wurden. Inzwischen überwachten Graves und Yule, der Batterieführer, das sorgfältige Laden aller Steuerbordgeschütze.
Schließlich erschien Graves an der Leiter zum Achterdeck und meldete, daß alle Kanonen außer vieren geladen und schußbereit seien. Er brach mit heiserem Keuchen ab, als ein langgezogenes Kreischen die Luft erfüllte. Es klang, als ob plötzlich tausend Teufel aus der See gestiegen seien.
Die Wanten, das ganze Rigg zuckte wild. Männer duckten sich nieder und hielten die Hände über die Köpfe. Zerfetztes Tauwerk und abgerissene Blöcke prasselten auf sie nieder.
Bolitho preßte die Hände hinter seinem Rücken noch fester zusammen, bis der Schmerz ihm half, sich wieder zu beruhigen. Drahtkugeln, wie sie die große Bonaventure verwendet hatte! Sie waren bösartig und gefährlich und bestanden aus Eisenteilen, die miteinander verbunden waren. Mit Leichtigkeit konnten sie Teile des Riggs und Spieren abtrennen. Aber im Gegensatz zu Kettenkugeln, die sonst meist benützt wurden, konnten sie Männer, die nicht durch Reling oder Schanzkleid gedeckt waren, oft grauenhaft zurichten. Offensichtlich beabsichtigte der Franzose, die Sparrow zu entmasten und sie dann ohne allzu große Beschädigungen mitsamt ihrer Last als Prise zu nehmen. Mit dem Gold konnten viele künftige Ausgaben beglichen werden, und die Sparrow würde eine wertvolle Verstärkung für die feindliche Flotte abgeben. All das war früher schon oft geschehen. In der nächsten Stunde würde er es selbst erleiden.
Das Buggeschütz spuckte wieder eine Rauchwolke aus, und das Großsegel der Sparrow platzte in einer sirrenden Explosion auseinander. Durch den Winddruck riß sich das getroffene Segel von selbst in tausend Fetzen, bevor noch das Geschoß ins Wasser geplatscht war.
Bolitho spürte den Unterschied sofort. Die Schiffsbewegungen in den Wellen wurden schwerfälliger, und die Rudergänger mußten mit verstärktem Drehen des Rades hart kämpfen, um das Schiff auf Kurs zu halten.
Schon wieder das dämonische Aufkreischen wirbelnder Eisenteile, das Klatschen und Klappern heruntergerissener Taue und Fallen. Hoch über Deck arbeiteten die Toppsgasten fieberhaft, um das zerrissene Rigg wieder auszubessern, aber inzwischen war die Fregatte viel näher gekommen, und Bolitho sah deutlich, wie ihre drei vordersten Geschütze Feuer und Rauch ausspien. Er wußte, daß der Feind immer mehr aufholte und bald seine ganze Artillerie zum Tragen bringen konnte.
Geschosse winselten und heulten über das Schiff, und eines fetzte durch das Besanbramsegel. Es klang wie ein auf Holz klatschender Peitschenschlag. Schreiend und fluchend versuchten die Seeleute das beschädigte Segel zu bergen, doch der Wind schlitzte es mit einem Knall von oben bis unten auseinander.
Bolithos Hände krampften sich um die Reling. Wenn doch nur ein britisches Segel in Sicht käme oder irgend etwas, das der Fregatte den Mut nehmen würde und sie zwänge, wenigstens für ein paar Augenblicke den Bug zu wechseln.
Er sah, wie eine Kugel über die Wellenkämme daherschlitterte. Die hochstäubenden Federn aus Gischt markierten deutlich ihre Flugbahn. Unter Bolithos Füßen zuckte das Deck, als das Geschoß in die Wasserlinie krachte.
Aus der Tiefe des Schiffsrumpfes erklang gedämpftes Geschrei, und in Bolithos Gedanken tauchten grauenhafte Bilder auf. Er sah die Kranken und Verwundeten, einige, denen soeben erst von Dalkeith ein Glied amputiert worden war und die nun das drohende Kanonengebrüll und die von Schuß zu Schuß sich steigernde Genauigkeit des feindlichen Feuers ertragen mußten.
Bethune kam vom Niedergang her gerannt.
«Herr Kapitän, der General wünscht laufend Meldung…«Er bückte sich, als ein Geschoß durch die Reling schmetterte und zwei Seeleute in einem Durcheinander von zerfetzten Gliedern und sprudelndem Blut über das Deck schleuderte.