«Ich möchte natürlich nicht an eine Leeküste geraten. Wenn wir aber hier auf offener See bleiben, können wir genausogut zugeben, daß unsere Mission ein Fehlschlag war.»
«Aye. «Tyrell streckte sich.»Ich bezweifle sowieso, daß die Franzosen viele Schiffe haben. Sie verlassen sich auf ihre Batterien, um sich zu verteidigen.»
Bolitho lächelte, etwas Spannung wich aus seinem Gesicht.»Gut. Geben Sie die Befehle. Ich möchte morgen die allerbesten Leute im Ausguck haben.»
Aber entsprechend Buckles düsterer Vorahnung war der nächste Morgen eine Enttäuschung. Der Himmel war bewölkt, und der Wind, der die Topsegel wild krachen ließ, zeigte nahen Regen an. Und doch war die Luft so schwül und drückend, daß die Toppsgasten stöhnten, als sie zum Kurswechsel auf ihre Stationen gingen. Der willkommene Aufenthalt im Hafen, gefolgt von der nervösen Unsicherheit, von der Laune des Windes hierhin und dorthin geworfen zu werden, dies alles forderte seinen Tribut. Viele Flüche wurden laut, und die Maaten mußten einige Schläge austeilen, ehe sich die Sparrow auf Backbordkurs legte; ihr Bugspriet zeigte wieder einmal auf die Küste zu.
Ein grauer Tag. Bolitho griff in die Luvwanten und wischte sich die Stirn mit dem Hemdsärmel ab. Seine Haut und seine Kleider waren tropfnaß, sowohl von Schweiß als auch von fliegender Gischt.
Nur Majendie schien es zufrieden zu sein, an Deck zu bleiben. Sein Bleistift fuhr geschäftig über das Papier, sein dünner Körper und der vorstehende Bart tropften vor Feuchtigkeit.
«Land in Luv!»
Bolitho versuchte, seine Befriedigung und Erleichterung nicht zu zeigen. Bei der schlechten Sicht und dem starken Wind konnte man sich nicht zu sehr auf Berechnungen verlassen. Er schaute zum Großmastwimpel hinauf. Der Wind war etwas stärker geworden. Er starrte den Wimpel an, bis seine Augen tränten. Kein Zweifel. Gut für eine stetige Annäherung, aber nicht so beruhigend, wenn man umdrehen und schnell weg müßte.»Gehen Sie einen Strich höher, Mr. Buckle.«»Aye, aye, Sir.»
Buckle wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab, ehe er seine Befehle weitergab. Er war sich wohl über die Schwierigkeiten im klaren, dachte Bolitho. Es würde zu nichts führen, ihn noch weiter zu beunruhigen.
Zu Majendie sagte er:»Hoffentlich bringen Sie alles zu Papier. Sie werden ein Vermögen machen, wenn Sie nach England zurückkehren.»
Buckle schrie:»Nord-Nordost, Sir! Kurs liegt an!»
«Sehr gut. Kurs halten.»
Bolitho ging ein paar Schritte und dachte an das Mädchen in New York. Was hätte sie jetzt von ihm gehalten? Zerknittert und durchnäßt bis auf die Haut, sein Hemd mehr Flicken als Stoff. Er lächelte vor sich hin und bemerkte Majendies Bleistift nicht, der seine Stimmung festhielt.
Tyrell hinkte auf Deck und kam zu ihm an die Wanten.»Ich schätze, daß Newport ungefähr fünf Meilen steuerbord voraus liegt. «Er blickte erstaunt auf, als ein Strahl wäßrigen Sonnenlichts auf dem Rumpf spielte.»Teufel, in diesen Gewässern weiß man nie, woran man ist.»
«Wahrschau an Deck! Schiffe vor Anker in Nordost!»
Tyrell rieb sich die Hände.»Vielleicht stellen die Franzosen einen Konvoi zusammen. Unsere Schwadron kann sie schnappen, wenn wir es schnell genug melden.»
Der Ausguck schrie wieder:»Sechs, nein, acht Linienschiffe, Sir!»
Graves stolperte von der Reling, als die Sparrow in ein tiefes Wellental schlingerte.»Der Mann ist verrückt!«Er spuckte, als Gischt wie Hagel über die Wanten hereinbrach und sich über ihn ergoß.»Höchstens ein paar Fregatten, wenn Sie mich fragen!»
Bolitho versuchte, das Gemurmel von Spekulation und Zweifel um sich herum zu ignorieren. Es war wohlbekannt, daß de Grasse eine mächtige Flotte in den West Indies hatte. Sein Untergebener de Barras war Kommandeur in Newport, hatte aber keine solche Flottenstärke. Seine Stärke lag in Fregatten und kleineren Schiffen und in schnellen Ausfällen gegen den englischen Küstenhandel. De Barras hatte einen Versuch gemacht, die New Yorker Streitkräfte vor Cape Henry anzugreifen, aber die Aktion war erfolglos gewesen. Er war auf seine Verteidigungslinie zurückgegangen und dort geblieben.
Er sagte:»Hinauf mit Ihnen, Mr. Graves. Und melden Sie, was Sie sehen!»
Graves eilte zu den Wanten und murmelte:»Dieser Verrückte! Es können keine Linienschiffe sein. Unmöglich.»
Bolitho starrte ihm nach. Graves benahm sich sehr seltsam. Es war, als ob er sich vor dem fürchtete, was er entdecken könnte. Furcht? Nein, das schien unwahrscheinlich. Er war lange genug an Bord, um die Risiken und Belohnungen des Spiels zu kennen.
«Wahrschau an Deck!«Es war ein anderer Seemann, der hoch über der Besanrah hing.»Segel backbords»!
«Verdammt!«Tyrell griff schnell nach einem Fernrohr und hastete damit zur Heckreling.
Dunst und Gischt, die Sicht durch die trunkene Bewegung der Sparrow noch verschlechtert — es dauerte einige Zeit, den Neuankömmling zu finden.
Tyrell sagte hastig:»Fregatte, kein Zweifel, Sir.»
Bolitho nickte. Das andere Schiff hielt sich nahe an der Küste, kam gerade um die Landzunge, jedes verfügbare Segel in den Wind gesetzt.
Buckle klatschte in die Hände.»Klar zum Wenden!»
«Nein!«Bolithos Stimme bannte den Steuermann.»Wir sind jetzt so weit gekommen, nun wollen wir auch sehen, was es zu sehen gibt, und dann wenden.»
Graves sprang mit einem Ruck von den Wanten an Deck, das Hemd vom schnellen Abstieg zerrissen. Er sagte atemlos:»Er hatte recht, Sir. Acht Linienschiffe. Vielleicht zwei Fregatten, und ein ganzer Schwarm von Versorgungsschiffen ganz in der Nähe verankert.»
Bolitho dachte an sein Gespräch mit Farr in Sandy Hook, seine eigene Reaktion, als er die englischen Zweidecker in der Nähe sah. Sie warten, hatte er gedacht, aber auf was? Machten es die Franzosen etwa ebenso?
Tyrell sagte:»Es können keine von de Grasses Schiffen sein, Sir. Unsere Patrouillen, auch wenn sie blind gewesen wären, hätten sie gesehen.»
Bolitho begegnete seinem Blick.»Das glaube ich auch. Es ist eine Versammlung, zu irgendeinem Zweck. Wir müssen sofort den Admiral benachrichtigen.»
Buckle rief:»Die Fregatte holt schnell auf, Sir. Meiner Meinung nach nur noch drei Meilen.»
Bolitho nickte.»Sehr gut. Heißen Sie die französische Flagge, und bereiten Sie die Wende vor.»
Die Flagge wurde langsam an der Gaffel hochgezogen und sofort von einem Kanonenschuß aus dem Vorschiff der Fregatte begrüßt.
Bolitho lächelte grimmig.»Sie läßt sich nicht täuschen. Zeigen Sie bitte unsere eigene Flagge.»
Buckle kam zu Bolitho herüber, das Gesicht vor Kummer verzogen.»Ich glaube, wir sollten schleunigst halsen, Sir. Der Franzose wird hier sein, ehe wir uns versehen.»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Wir würden zuviel Zeit verlieren. Die Fregatte könnte uns den ganzen Weg nach Nantucket jagen oder uns auf Grund laufen lassen. «Er drehte sich zu Graves um.»Lassen Sie die Buggeschütze klarmachen. Laden, aber nicht ausrennen. «Er faßte ihn am Unterarm, da er sah, wie beunruhigt Graves blickte.»Los, Mann! Sonst ist der Franzose zum Grog an Bord!»
Männer trampelten wild auf ihre Stationen, einige verhielten, um über die Wanten nach dem anderen Schiff auszuschauen, das absichtsvoll auf Backbord zuhielt. Es war jetzt schon viel näher, aber in der aufsprühenden Gischt konnte man seinen Bug kaum erkennen. Nur die geblähten Groß- und Topsegel ließen erkennen, daß sein Kapitän auf eine Schlacht brannte.»Fertig!«Bolitho stemmte die Hände in die Hüften, als er zu dem schlagenden Stander hinaufsah.»Klar am Achterdeck!»
«Ruder legen!«Er fühlte, wie das Deck unter ihm bockte, und überlegte sich, wie die Sparrow wohl dem Feind vorkommen mochte. Floh sie, oder machte sie sich zum Gefecht fertig? Er wurde fast zu Boden gerissen, als sich das Schiff durch die Gewalt der Segel und des Ruders noch weiter auf die Seite legte.
«Ruder ist gelegt, Sir!«Buckle warf sein ganzes Gewicht mit in das Steuerrad.