Der Untersuchungsausschuß hatte entschieden, daß Leutnant James Quinn wegen seiner im Kampf erhaltenen Verwundung nicht mehr in der Lage war, aktiven Dienst zu leisten. Nach Bestätigung des Urteils durch den Oberbefehlshaber sollte er ausgeschifft werden, um auf dem Festland eine Gelegenheit zur Rückkehr nach England abzuwarten. Dort würde man ihn dann entlassen.
Niemand außerhalb der Marine brauchte von dieser Schande zu erfahren — außer dem einen, den es wirklich anging. Bolitho bezweifelte, daß Quinn diese Bürde lange mit sich herumtragen konnte.
Zwei Tage später, als Quinns Schicksal noch unbestätigt war, lichtete die Trojan Anker und lief aus.
Er sollte offenbar doch noch eine Gnadenfrist bekommen.
Zweieinhalb Tage nach dem Auslaufen aus English Port steuerte die Trojan bei steifem, achterlichem Wind rechtweisend West unter Fock und gerefften Marssegeln. Es war eine gute Gelegenheit, die neuen Leute bei den verschiedensten Segelmanövern einzuexerzieren, zumal bei dem groben Seegang, der Spritzwasser über das Achterdeck schickte, während der Klüverbaum zum dunstigen Horizont wies.
Bis auf ein paar kleine Inseln weit an Steuerbord war die See leer, eine endlose, blaue Wüste mit langer, schaumgekrönter Dünung, welche für die Stärke des Windes zeugte.
Bolitho wartete am Backbord-Laufsteg; der Duft starken Kaffees wärmte ihm den Magen, während er sich auf die Übernahme der Nachmittagswache vorbereitete. Bei so vielen neuen Gesichtern und Namen, der ständigen Mühe, die guten Seeleute zu entdecken und auch die ungeschickten, die an jeder Hand fünf Daumen zu haben schienen, war er ständig hart eingespannt. Aber er spürte trotzdem die gespannte Atmosphäre an Bord: verwirrte Resignation in den unteren Decks, Verbitterung bei den Offizieren.
Die Trojan war nach Jamaika beordert worden, bis zum Deck vollgepackt mit Marineinfanteristen, die der Admiral schickte, um dort Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten, und zwar auf des Gouverneurs dringende Bitten hin. Schwere See hatte viele von Jamaikas örtlichen Handelsschiffen zu Wracks geschlagen, und um das Maß voll zu machen, gab es Nachrichten von einem neuen Sklavenaufstand auf zwei größeren Plantagen. Rebellion schien überall in der Luft zu liegen. Wenn Britannien seine karibischen Besitzungen halten wollte, dann mußte es jetzt handeln und durfte nicht warten, bis Frankreich und möglicherweise auch Spanien einige der zahlreichen Inseln besetzte.
Bolitho vermutete, daß Pears diese Rolle mit anderen Augen sah. Während sich die Flotte auf die unvermeidliche Ausweitung des Krieges vorbereitete, während jedes Linienschiff dringend gebraucht wurde, schickte man ihn nach Jamaika. Seine Trojan hatte die Aufgabe eines Truppentransporters übernommen, mehr nicht.
Selbst des Admirals Erklärung, daß die Trojan keinen Geleitschutz brauche und daher andere Schiffe für weitere Einsätze freimache, hatte keine Wirkung. Jeden Tag ging Pears auf seinem Achterdeck auf und ab, zwar noch wachsam alles überblickend, was sein Schiff und dessen Routine betraf, aber im Innersten allein und distanziert von allem.
Es half ihm nicht gerade, dachte Bolitho, daß dicht unter dem Horizont die Südostküste von Puerto Rico lag, so nah der Stelle, wo Coutts sie alle in eine aussichtslose Schlacht verwickelt hatte. In mancher Beziehung wäre es besser gewesen, wenn die Argonaute den Kampf nicht abgebrochen hätte. Wenigstens wäre dann eine klare Entscheidung gefallen. Vielleicht machten auch die Franzosen jetzt ihren Kommandanten zum Sündenbock?
Aber, so hatte Cairns gesagt, es war besser, auf See zu sein und voll ausgelastet, als vor Anker zu liegen und darüber nachzudenken, was hätte sein können.
Bolitho blickte hinunter zum Batteriedeck, auf das Gewimmel von roten Uniformen und Waffen, als d'Esterre und der Hauptmann, der das Kontingent befehligte, alles zum hundertsten Male inspizierten.
«An Deck!»
Bolitho blickte auf, die Sonne brannte auf seinem Gesicht wie heißer Sand.»Segel Steuerbord voraus!»
Dalyell hatte Wache, und in Augenblicken wie diesem kam seine Unerfahrenheit zum Vorschein»
«Was, wo?«Er schnappte sich ein Teleskop von Fähnrich Pullen und lief zu den Steuerbordwanten.
Die Stimme des Ausgucks. verwehte mit dem Wind.»Kleines Segel, Sir! Anscheinend Fischer!»
Sambell, Steuermannsmaat der Wache, bemerkte säuerlich:»Gut, daß Admiral Coutts nicht hier ist, sonst müßten wir jetzt den blöden Fischer jagen!»
Dalyell blickte ihn an.»Entern Sie auf, Mr. Sambell. Melden Sie mir, was Sie sehen. «Er sah Bolitho an und lächelte verlegen.
«So lange ohne jeden Kontakt, ich war nicht darauf gefaßt.»
«So schien es, Sir. «Pears schritt über das Achterdeck, seine Schuhe quietschten auf dem Teer der Decksnähte. Er musterte die Stellung der Segel und trat dann zum Kompaß.»Hm.»
Dalyell blickte zu Sambell hinauf, der eine Ewigkeit brauchte, um den Aufstieg zu schaffen.
Pears ging zur Reling und musterte die Marineinfanteristen.»Ein Fischer? Mag sein. Aber diese kleinen Inseln bieten gute Versorgungschancen an Wasser und Feuerholz, es ist nicht zu gefährlich, wenn man die Augen offenhält.»
Er runzelte die Stirn, als Sambell schrie:»Er fällt ab, steuert eine der Inseln an, Sir.»
Dalyell leckte sich die trockenen Lippen und beobachtete den Kommandanten.»Hat uns gesichtet, glauben Sie nicht, Sir?»
Pears hob die Schultern.»Unwahrscheinlich. Unsere Mastspitze bietet einen viel besseren Überblick als ein tiefliegender Schiffsrumpf.»
Er rieb sich das Kinn, und Bolitho meinte, einen seltsamen Schimmer in Pears Augen zu sehen. Plötzlich sagte er heiser:»An die Brassen! Mr. Dalyell, wir ändern den Kurs um drei Strich. Steuern Sie Nordwest zu West. «Er schlug die riesigen Hände zusammen.»Los, beeilen Sie sich, Sir! Das muß aber noch schneller werden!»
Die Kommandos und das Getrampel brachten Cairns an Deck, der seine Augen bald überall hatte, während er zugleich nach einem Schiff Ausschau hielt.
Pears sagte:»Segel Steuerbord voraus, Mr. Cairns. Könnte ein Fischerboot sein, ist aber wenig wahrscheinlich. Sie fahren in diesen unsicheren Zeiten meist zu mehreren.»
«Ein Kaperschiff, Sir?»
Cairns sprach sehr vorsichtig. Bolitho vermutete, daß er während der vergangenen Wochen allerhand von Pears zu hören bekommen
hatte.
«Möglich.»
Pears rief nach d'Esterre, der von den eingeschifften Marineinfanteristen gestoßen und angerempelt wurde, als diese den Seeleuten an den Brassen auszuweichen versuchten.
«Hauptmann d'Esterre!«Pears blickte nach oben, als die Rahen herumflogen und das Schiff sich auf dem neuen Kurs überlegte.»Wie beabsichtigen Sie, Ihre Leute auf Jamaika zu landen, wenn dort Rebellion herrscht?»
D'Esterre erwiderte:»In Booten, Sir. Wir landen gruppenweise außerhalb des Hafens und besetzen sofort die Höhen, bevor wir Kontakt mit dem örtlichen Kommandeur aufnehmen.»
Pears lächelte beinahe.»Einverstanden!«Er zeigte hinüber zum Bootsdeck.»Wir werden später das Ausschiffen bei Dämmerung üben. «Er ignorierte d'Esterres erstaunten Blick.»Auf einer dieser Inseln dort drüben.»
Bolitho hörte ihn zu Cairns sagen:»Wenn dort ein verdammtes Piratennest ist, können wir es dabei mit Marineinfanteristen übe r-schwemmen. Noch dazu wird es eine gute Übung für die Leute sein. Wenn die Trojan schon als Truppentransporter eingesetzt wird, dann soll sie das auch gut machen. Nein, besser als gut.»
Cairns lächelte, froh über Pears alten Enthusiasmus.»Ave, Sir.»
Der Rudergänger rief:»Nordwest zu West liegt an, Sir!»
«Recht so, Mann. «Cairns wartete ungeduldig darauf, daß Bo-lithos Wache Dalyell ablöste, und sagte dann:»Ich wünschte bei Gott, wir könnten wieder einmal ein Schiff kapern. Schon um dem Herrn Konteradmiral Coutts etwas vorzeigen zu können!»
Pears hörte ihn und murmelte:»Kommen Sie, Mr. Cairns, nun ist es aber genug!«Das war auch alles, was er sagte.