«Führen Sie den Gefangenen wieder ab. Er soll sich weiterhin bereithalten, vielleicht brauche ich ihn noch. «Coutts wandte sich an d'Esterre.»Erledigen Sie das. «Zu Bolitho sagte er:»Warnen Sie die Ausgucksleute, sie sollen melden, was die Spite macht, sowie sie in Sicht kommt.»
Bolitho eilte zur Treppe. Der Ausguck war wahrscheinlich mehr Franzosen interessiert als an der Spite, wie jeder hier unten.
Die Trojan behielt ihren Kurs bei. Jedes Glas war auf das andere Schiff gerichtet, als dieses jetzt quer vor ihrem Bug vorbeizog, näher und näher auf das Land zu.
Coutts mußte beunruhigt sein. Er konnte nicht ankern, aber wenn er andererseits an der Einfahrt vorbeisegelte, verlor er seine Luvposition und mußte mühsam zurückkreuzen. Das konnte Stunden dauern. Genauso war es, wenn er wieder zur offenen See hin manövrierte. Das einzige war, dem Franzosen zu folgen, der offenbar die Trojan völlig ignorierte.
Das Land wurde jetzt flacher und gab dadurch den Blick auf die gegenüberliegende Seite der Bucht frei. Es sah aus, als seien zwei grüne Arme zu ihrem Empfang weit geöffnet.
Bolitho fühlte bereits die stärker werdende Sonnenhitze, die Trockenheit in Mund und Kehle, als der Ausguck plötzlich rief:»An Deck! Die Spite sitzt auf Grund, Sir!»
Etwas wie ein vielfacher Seufzer lief durch die Decks der Trojan.
Zu allem Unglück nun auch noch dieses! Cunningham mußte die Strömung in der Einfahrt unterschätzt haben. Es war demütigend für Coutts, aber für Cunningham mußte es das Ende der Welt bedeuten.
Stockdale flüsterte:»Der Franzmann kann jetzt machen, was er will.»
Der Ankerplatz war allmählich voll einzusehen: das ruhige Wasser im Inneren der Bucht, die kabbelige Strömung an der Einfahrt, die drei Masten der Spite, die schräg und unbeweglich standen. Im Hintergrund sah man einen Schoner dicht unter Land vor Anker liegen.
Der Ausguck rief:»Sie versuchen, sie freizuschleppen, Sir!»
Ohne Glas konnte Bolitho keine Einzelheiten erkennen und wartete auf weitere Meldungen von oben, genau wie die Seeleute ringsherum. Cunningham hatte offenbar Boote ausgesetzt, um einen Warpanker auszufahren, mit dessen Hilfe sie das Schiff freischleppen wollten.
Quinn fragte:»Was macht der Franzose?«Seine Stimme klang, als sei er völlig außer sich vor Besorgnis.
«Er wird zweifellos ankern, James, nun, da er schneller bei der
Insel ist als wir. Ihn dort anzugreifen, bedeutete den sicheren Kriegsausbruch.»
Er blickte verwirrt und verbittert zu Boden. Was sie auch taten, wie ihre Begründung auch sein mochten, das Schicksal schien in jedem Falle gegen sie zu entscheiden.
Wahrscheinlich brachte die Argonaute eine weitere umfangreiche Ladung Geschütze und Munition, die zum Teil für den Schoner bestimmt war. Der Rest würde dann an einem sicheren Ort versteckt werden und auf die nächsten Transporter oder Freibeuter warten. Contenay war von hier aus wohl schon mehr als einmal zur Küste gesegelt — kein Wunder, daß er die Einfahrt zum Fort Exeter ohne Schwierigkeiten gefunden hatte.
Wie zur Bestätigung, rief jetzt ein anderer Ausguck aufgeregt:»Segel an Steuerbord voraus, Sir!»
Gestalten hasteten über das Achterdeck, Sonnenlicht blitzte auf erhobenen Ferngläsern, als der Ausguck fortfuhr:»Eine Brigg, Sir! Sie geht gerade über Stag!»
Bolitho blickte in Quinns blasses Gesicht.»Das kann ich ihr nicht verdenken, James. Schon unser Anblick wird ihr genügen. Sie ist doch bestimmt gekommen, um Ladung zu übernehmen.»
«Gibt es denn nichts, was wir tun könnten?»
Quinn blickte überrascht auf, als Buller jetzt rief:»An Deck! Die Spite ist freigekommen, setzt bereits Segel!»
Quinn packte Bolitho aufgeregt am Arm, während die Nachricht bei den Seeleuten wilden Jubel auslöste.
Sie sahen, daß plötzlich Leben in Fähnrich Westons Signalgasten kam und sie eine Gruppe leuchtender Flaggen an der Rah hißten.
Bolitho nickte.»Gerade noch rechtzeitig!«Coutts hatte an Spite signalisiert:»Ankerplatz verlassen und Brigg verfolgen. «Selbst die Verzögerung beim Einholen der Boote würde für Cunningham nicht viel bedeuten. Bei günstigem achterlichem Wind konnte er die Brigg noch vor Mittag eingeholt und gekapert haben, zumal jetzt seine Ehre auf dem Spiel stand.
Dann war da noch der Schoner. Wenn er ein Freibeuter war, konnten die Franzosen nicht verhindern, daß Coutts ihn aufs Korn nahm, sobald er auslauten sollte.
Er schirmte die Augen ab, sah mehr Segel sich an den Rahen der
Korvette entfalten und malte sich die Erleichterung an Bord aus, die alle vorangegangene Enttäuschung beiseitefegte.»Die Spite hat bestätigt, Sir!»
Fähnrich Couzens sauste mit irgendeinem Auftrag vorbei, seine Sommersprossen glühten vor Begeisterung.
«Jetzt ist der Franzose in der Rolle des Zuschauers, Sir«, rief er im Vorbeilaufen.
Bolitho fuhr herum, als der Ankerplatz plötzlich vom Dröhnen einer Geschützsalve widerhallte. Er sah dicken Rauch von der ruhigen Wasserfläche aufwirbeln und sich wie eine düstere Wolke vor die Sonne schieben.
Alles schrie durcheinander, betroffen von der unerwarteten Wendung der Ereignisse. Die Spite legte sich über, noch immer schwankend von der ungeheuren Wucht der aus geringster Entfernung abgefeuerten Breitseite. Wie ein Orkan war der Eisenhagel aus den Rohren der Argonaute durch ihre Takelage gefegt und hatte die Spite innerhalb von Sekunden zum Wrack gemacht. Der Fockmast war weg, und während sie noch hinstarrten, stürzte der Großmast über Bord, eingehüllt in ein Gewirr von zerfetztem Tauwerk und aufgepeitschtem Gischt. Die Spite bewegte sich nicht mehr, Bolitho vermutete, daß sie wieder auf Grund saß, auf einem Ausläufer derselben Sandbank. Ihre plötzliche Starre wirkte so, als sähe man etwas Wunderschönes sterben.
Die Argonaute hatte sichergestellt, daß die Brigg nicht gekapert werden konnte, und ging nun über Stag. Ihr langer Klüverbaum schwang drohend durch den Qualm ihrer einzigen mörderischen Salve.
Quinn rief mit erstickter Stimme:»Mein Gott, sie kommen heraus!»
Bolitho blickte nach achtern, von wo Cairns Stimme durch das Sprachrohr dröhnte.
«Enter auf zum Segelkürzen! Mr. Tolcher, bringen Sie die Netze an!»
Die leuchtend rote Admiralsflagge stieg an der Gaffel in die Höhe, und Stockdale spuckte sich in die Hände. Coutts hatte seine Flagge gehißt. Er würde kämpfen.
Schon wurden die Netze über dem Batteriedeck ausgebreitet, die
Männer arbeiteten verbissen und mechanisch, wie sie es so oft geübt hatten.
Bolitho beobachtete, wie die Argonaute bei ihrer Drehung auf die Ausfahrt zu kürzer zu werden schien. Auch sie hatte jetzt die Flagge gesetzt, das weiße Banner Frankreichs: Es gab keinerlei Vorwand mehr, keinerlei Verstellung.
Später mochten sich höhere Stellen über ihre Rechtfertigung oder Entschuldigung streiten. Hier und jetzt hatte jeder der Kommandanten seinen eigenen eindeutigen Grund zum Kampf.
«Die Pforten auf!»
Taljenblöcke quietschten, und auf jeder Seite öffnete sich die Doppelreihe der Stückpforten, gleichzeitig mit denen der leichteren Heckbatterien.
«Ausfahren!»
Bolitho holte tief Luft und zwang sich zuzusehen, wie seine eigenen Geschütze geräuschvoll zu ihren Pforten polterten und die schwarzen Läufe wie Schnauzen ins grelle Sonnenlicht streckten.
Zwei Linienschiffe unter sich, nicht einmal ein Zuschauer war da, um ihre geballte Kraft zu begutachten, während sie jetzt auf einander zu manövrierten, ohne Hast, in völligem Schweigen. Er warf einen Blick aufs Achterdeck und sah, daß Coutts sich vom Boots-steurer des Kommandanten den Degen umschnallen ließ.
Bolitho war es klar, daß der Admiral niemals nachgeben würde, nicht nachgeben konnte. Für ihn gab es heute nur Sieg, nichts anderes.
«Steuerbordbatterie, klar zum Feuern!».