«Wird uns jemand vom Flaggschiff befehligen, Sir?»
Cairns blickte ihn an.»Nein, Probyn soll die Führung übernehmen. Gott helfe Ihnen!»
Bolitho verbarg seine Gefühle.»Und auch der junge James Quinn geht mit!»
Quinn hatte nichts gesagt, als man es ihm mitteilte, aber er hatte ausgesehen, als hätte ihn jemand geschlagen.
Cairns schien Bolithos Gedanken zu erraten.»Ja, Dick, so wird es vielleicht Ihnen zufallen, unsere Leute zurückzubringen.»
«Aber warum keiner vom Flaggschiff? Sicher haben sie einen, ja sogar mehrere Offiziere, die sie einsetzen könnten?»
Cairns betrachtete ihn seltsam.»Sie verstehen Admirale nicht, Dick. Niemals lassen sie ihre eigenen Leute gehen. Sie müssen immer eine wohlgeordnete Schar von Offizieren und Mannschaften um sich haben. Coutts ist da keine Ausnahme. Er will Perfektion, nicht einen zusammengewürfelten Haufen von alten Männern und Knaben, wie wir es bald sein werden.»
Er hätte noch mehr sagen können, beispielsweise daß Quinn mitgeschickt wurde, damit sich erwies, ob die Verwundung etwa seinen Mut und seine Entschlossenheit beeinträchtigt hatte; Probyn ging, weil man ihn nicht vermissen würde. Dann dachte Bolitho an seine eigene Position und mußte beinahe lächeln. Pears tat nur, was auch der Admiral getan hatte: die Besten behielt er für sich. Jeder nach Rang und Können Geringere wurde zuerst geopfert.
Cairns äußerte:»Gut, daß Sie dem allen noch Humor abgewinnen können. Ich selbst finde es unerträglich.»
Fähnrich Couzens, beladen mit Fernrohr, Dolch, Pistolen und einem großen Sack Lebensmittel, rief atemlos:»Die Spite signalisiert, Sir! Letzte Gruppe einschiffen!»
Bolitho nickte.»Gut, gehen Sie an Bord.»
Er sah einen weiteren Fähnrich in den Kutter hinabklettern, einen ernsten Sechzehnjährigen namens Huyghue, und sich neben den Bootssteurer setzen, der wohl doppelt so alt war wie er.
«Ich sehe, Sie sind fertig, Mr. Bolitho.»
Probyns unangenehme Stimme riß ihn herum. Der Zweite Offizier konnte erst soeben von der Änderung erfahren haben, aber er wirkte bemerkenswert ruhig. Natürlich war er rot im Gesicht, aber das war bei ihm normal, und als er sich nun über die Reling beugte und in die längsseits liegenden Boote blickte, machte er einen fast gleichgültigen Eindruck.
Cairns richtete sich auf, als er des Kommandanten schweren Schritt hinter sich hörte.»Viel Glück, ihr beiden!«Dann blickte er zu der wie betrunken schwankenden Korvette hinüber.»Ich wäre gern mitgefahren.»
Probyn sagte nichts, legte nur die Hand an den Hut und folgte den anderen in das überfüllte Boot.
Bolitho sah Stockdale in einem der Kutter und nickte ihm zu. Wenn.er aus irgendeinem Grunde nicht teilgenommen hätte, wäre ihm das wie ein böses Omen erschienen. Ihn dort im Boot zu sehen — groß, breit und mit ruhigem Gesicht — , machte vieles wieder wett.
Probyn knurrte:»Legen Sie ab, ich habe keine Lust, hier in dieser verdammten Hitze noch länger zu schmoren!»
Als sie bei der Korvette eintrafen, schrie der Kommandant durch sein Sprachrohr:»Bewegt euch, verdammt noch mal! Dies ist ein Schiff des Königs und kein Hummerboot!»
Erst jetzt zeigte Probyn so etwas wie Erregung.»Hören Sie das? Unverschämter junger Flegel! Mein Gott, wie ein eigenes Kommando die Menschen doch verändert!»
Bolitho warf ihm einen raschen Blick zu. Mit diesen wenigen Worten hatte Probyn einen Teil seines Inneren enthüllt. Bolitho wußte, daß er vor Ausbruch des Krieges mit Halbsold an Land gesessen hatte. Ob es infolge seines starken Trinkens oder ob er durch sein Mißgeschick erst zum Trinker geworden war, ließ sich nicht feststellen. Auf jeden Fall hatte man Probyn bei der Beförderung übergangen, und somit mußte er sich nun von dem jugendlichen Kommandanten der Spite anschreien lassen.
Als sie auf dem Deck der Korvette standen, fragte sich Bolitho, wo die vielen Marineinfanteristen geblieben waren. Wie schon auf der Faithful, waren sie bereits Minuten nach ihrer Einschiffung unter Deck verschwunden. An der Heckreling sah er Major Paget mit d'Esterre und den zwei Leutnants der Marineinfanterie sprechen.
Der Kommandant der Korvette trat zu ihnen, nickte kurz und rief dann:»Mr. Walker, bringen Sie sie auf Kurs!«Zu Bolitho gewandt, fügte er hinzu:»Ich schlage vor, daß Sie unter Deck gehen. Meine Leute haben alle Hände voll zu tun, und es stört, wenn überall fremde Offiziere herumstehen.»
Bolitho tippte an seinen Hut. Im Gegensatz zu Probyn konnte er des jungen Mannes Schärfe verstehen. Er nahm sein Kommando und die ihm unvermutet übertragene Aufgabe sehr ernst. Dicht bei lagen zwei große Linienschiffe, und sein Admiral sowie mehrere ältere Seeoffiziere beobachteten kritisch alle seine Manöver.
Noch ein letztes Mal sprach er Bolitho an.»Sind Sie nicht der Offizier, der vor zwei Wochen in diesen Zwischenfall mit meinem Schiff verwickelt war?»
Seine Stimme hatte einen scharfen, spöttischen Ton, und Bolitho vermutete, daß mit ihm nicht gut Kirschen essen war. Vierundzwanzig Jahre alt… Was hatte Probyn vorhin gesagt? Wie ein eigenes Kommando doch die Menschen verändert.
«Nun?»
«Aye, Sir. Ich war zweiter Mann bei dem Unternehmen. Unser Anführer fiel.»
«Aha. «Er nickte.»Mein Geschützführer hätte das kurz davor ebenfalls fast bewirkt. «Damit ließ er Bolitho stehen.
Dieser bahnte sich nach achtern einen Weg durch die Seeleute, die an Brassen und Fallen arbeiteten und niemanden außer ihren eigenen Offizieren sahen.
Die Boote wurden zum Heck gepullt und dort an den bereitgelegten Leinen festgemacht. Noch bevor Bolitho das Niedergangsluk erreicht hatte, holte die Spite unter dem Segeldruck über und nahm schäumend Fahrt auf.
Die Messe war überfüllt von Offizieren, und der Zahlmeister brachte mit dem Steward Flaschen und Gläser für die zusätzlichen Gäste herbei.
Als sie Probyn Wein anboten, schüttelte er den Kopf und sagte abrupt:»Für mich nicht, danke! Später vielleicht.»
Bolitho wandte sich ab, um den inneren Kampf des Mannes nicht mit ansehen zu müssen. Noch nie hatte er erlebt, daß Probyn einen Drink ablehnte, es mußte ihn jetzt gewaltige Anstrengung kosten. Aber es war sehr wichtig für ihn, Erfolg zu haben, und dafür gab er einiges auf, offensichtlich sogar das Trinken.
Während der Nacht und des folgenden Tages kreuzte die Spite außer Sichtweite der Küste und' näherte sich nur langsam ihrem
Ziel.
Fort Exeter lag auf einer sandigen, vier Meilen langen Insel, die etwa die Form einer Axt hatte. Bei Niedrigwasser war sie durch einen nicht sehr zuverlässigen Damm aus Sand und Kies mit dem Festland verbunden. Daneben lag die Einfahrt zu einer Art Lagune, ein vom Fort aus mühelos zu verteidigender Ankerplatz, den sorgsam postierte Geschütze bestreichen konnten.
Sobald die Landungstruppen abgesetzt waren, sollte die Spite sich zurückziehen und vor der Morgendämmerung wieder außer Sicht sein. Wenn es zu stark abflaute, würde der Angriff verschoben werden, bis wieder genügend Wind aufkam. Auf keinen Fall sollte er aufgegeben werden, außer wenn der Feind mißtrauisch wurde und sich verteidigungsbereit machte.
Bolitho dachte an Major Samuel Paget, den Mann, der den Angriff führen sollte' es schien ihm nicht einmal sicher, daß er in diesem Fall das Unternehmen abbrach.