Wieder einmal war der düstere Moffitt derjenige, der sich erbot, an Land zu gehen und die Gegend zu erkunden.
Das Beiboot der Faithful hatte ihn in die Bucht gebracht, während beide Schiffe so dicht wie möglich unter Land vor Anker lagen. Die Wachen waren verstärkt worden und auf jeden nächtlichen Überraschungsangriff gefaßt.
Bolitho hatte fast erwartet, daß Moffitt nicht mehr zurückkehren, sondern sich mit seiner Familie treffen und an Land bleiben würde, da er bereits genug für die Engländer getan hatte.
Aber fünf Stunden nachdem das Boot ihn in einer kleinen Bucht abgesetzt hatte und vor dem Strand auf seine Rückkehr wartete, erschien er am Ufer und watete durch die Brandung, voll Eifer, seine Meldung zu erstatten.
Es war kein Gerücht: Die Brigantine lag tatsächlich in der nächsten Bucht auf Strand, genau wie Sparkes Informant berichtet hatte. Moffitt wußte sogar ihren Namen, sie hieß Minstrel, und er hielt sie für so schwer beschädigt, daß nicht einmal erfahrene Bergungsmannschaften sie wieder flottmachen konnten.
Er hatte in der Nähe einige Lichter gesehen und wäre fast über einen schlafenden Wachtposten gestolpert.
Sparke äußerte anerkennend:»Ich werde dafür sorgen, daß Ihre Leistung belohnt wird, Moffitt. «Mit bewegter Stimme fügte er hinzu:»Das ist die Tapferkeit, die unser Land groß erhalten wird.»
Er ließ Moffitt ein großes Glas Rum reichen und rief dann seine Offiziere sowie die älteren Unteroffiziere zusammen. In der winzigen Kajüte des Schoners war kaum genug Platz zum Atmen, aber sie vergaßen alle Unbequemlichkeit, als Sparke barschen Tones sagte:»Angriff im Morgengrauen! Wir nehmen unser eigenes Boot und das der Thrush. Alles klar?«Er blickte fragend in die Runde.»D'Esterre, Sie werden mit Ihrer Truppe noch im Schutz der Dunkelheit landen und oberhalb der Bucht Stellung beziehen. Dort bleiben Sie als Flanken- und notfalls als Rückendeckung, wenn etwas schiefgehen sollte.»
Sparke blickte auf die grobe Skizze nieder, die Moffitt für ihn angefertigt hatte.
«Ich führe natürlich das erste Boot, Mr. Libby folgt mit dem zweiten. «Er musterte Bolitho.»Sie übernehmen das Kommando auf der Thrush, segeln Sie in die Bucht und nehmen die Ladung der
Brigantine an Bord, sobald ich jeden Widerstand gebrochen habe, den wir dort möglicherweise antreffen. Die Seesoldaten rücken hangabwärts und unterstützen uns von der Landseite her. «Er klatschte in die Hände.»Alles klar?»
D'Esterre sagte:»Ich würde mich jetzt gern entschuldigen und meine Leute vorbereiten, Sir.»
«Ja, ich brauche die Boote bald. «Er blickte Bolitho an.»Sie wollten etwas sagen?»
«Hundert Meilen in drei Tagen, Sir, und ein weiterer halber Tag bis zum Morgen. Ich bezweifle, daß wir sie überraschen können.»
«Sie wollen es doch hoffentlich nicht Mr. Frowd nachtun? Eine echte Kassandra!»
Bolitho schwieg. Es war sinnlos, mit Sparke zu argumentieren; mit den Infanteristen als Rückendeckung konnten sie sich andererseits jederzeit zurückziehen, wenn sich das Ganze als Falle erweisen sollte.
Sparke sagte abschließend:»Also ist alles klar. Gut. Mr. Frowd wird während unserer Abwesenheit hier das Kommando übernehmen, und der Neunpfünder ist mehr als ausreichend, um etwaige wirrköpfige Angreifer abzuschlagen!»
Fähnrich Weston leckte sich die trocken gewordenen Lippen; auf seiner Stirn glitzerten Schweißperlen.»Und was soll ich tun, Sir?»
Sparke lächelte dünn.»Sie gehen mit dem Vierten Offizier. Tun Sie, was er sagt, werden Sie etwas lernen. Tun Sie nicht, was er sagt, so könnten Sie tot sein, bevor Sie Gelegenheit haben, sich weiter den Wanst vollzuschlagen!»
Sie stiegen an Deck, über dem ein paar blasse Sterne zu ihrer Begrüßung erschienen waren.
Moffitt meldete sich bei Hauptmann d'Esterre.»Ich bin bereit, Sir, Ihnen den Weg zu zeigen.»
Der Hauptmann nickte.»Sie gieren ja geradezu nach Strapazen. Aber führen Sie uns, in Gottes Namen.»
Die Boote füllten sich bereits mit Marineinfanteristen. Beide würden für die nächste Zeit in ständigem Einsatz sein, somit stand der Faithful nur das gekaperte Dory zur Verfügung.
Stockdale wartete an der Reling, seine weißen Hosenbeine flatterten im Wind wie kleine Segel. Er krächzte:»Ich bin froh, daß Sie diesmal nicht mitgehen, Sir.»
Bolitho fuhr zusammen.»Warum sagen Sie das?»
«Eine Ahnung, Sir, nur so eine Ahnung. Mir wird erst wohler, wenn wir hier weg sind, wieder auf See bei der richtigen Marine.»
Nachdenklich sah Bolitho zu, wie die Boote ablegten, in denen die Kreuzgurte der Soldaten weiß über dem dunklen Wasser aufleuchteten.
Das Dumme war, daß Stockdales» Ahnungen«, wie er sie nannte, sich hinterher meist als wahr erwiesen.
Bolitho schritt ruhelos um die Ruderpinne der Thrush herum und war sich der Stille bewußt, der Spannung, die über beiden Schiffen lag.
Der Wind kam zwar noch aus derselben Richtung, wurde aber von Minute zu Minute schwächer, wärmere Luft löste die Kälte der Nacht ab, hin und wieder drang sogar ein Sonnenstrahl durch die Wolken.
Er richtete sein Glas auf den nächstgelegenen Hang und sah zwei winzige, scharlachrote Figuren zwischen dem verfilzten Stechginster. D'Esterres Seesoldaten befanden sich also in Position, Wachen waren aufgestellt. Sie mußten von dort gute Sicht auf den kleinen Strand haben, von dem vom Deck der Thrush aus nichts zu sehen war als umgestürzte, vermodernde Baumstämme und die Wirbel einer starken Strömung zwischen Felsen.
Bolitho hörte, wie Midshipman Weston mit einigen Seeleuten die brauchbaren Riemen aus der Menge der zerschossenen heraussuchte. Dann hörte er ihn würgen, vermutlich war er auf irgendwelche grauenvollen Überreste gestoßen, die Libbys Leute übersehen hatten.
Stockdale gesellte sich zu ihm, das Gesicht schwarz von Schmutz und Bartstoppeln.
«Sollten jetzt eigentlich angekommen sein, Sir. Aber es ist kein Schuß noch sonstwas zu hören.»
Bolitho nickte. Es bedrückte ihn, daß der Wind immer mehr abflaute und rasche Manöver unmöglich machte. Wenn sie schnell weg mußten, konnten sie sich nur auf die Riemen verlassen, und je mehr Zeit dabei verstrich, desto größer war die Erfolgschance der Angreifer.
Er verfluchte Sparkes Eifer, seine starrsinnige Entschlossenheit, alles allein zu machen. Jeden Augenblick konnte eine Fregatte vorbeikommen, die ihnen beim Entladen hätte helfen können, nur hätte er dann den Ruhm des Sieges teilen müssen.
Schließlich befahl Bolitho:»Macht das Dory klar, ich fahre hinüber. «Er deutete auf die beiden roten Tupfen am Hang.»Es ist kein Risiko dabei.»
Fähnrich Weston stapfte über das Deck, seine plumpen Füße verfingen sich in den hochstehenden Splittern der zerschossenen Planken.
Bolitho befahl ihm:»Sie übernehmen hier das Kommando. «Beinahe konnte er Westons Angst riechen.»Ich bleibe die ganze Zeit in Sichtweite.»
Stockdale und zwei Seeleute waren bereits in das Dory geklettert, froh darüber, etwas tun zu können oder der Stätte des kürzlichen Gemetzels zu entfliehen.
Als Bolitho den winzigen Sandstrand betrat, der kaum größer war als das Boot, tat es ihm gut, die Pflanzen zu riechen, die Vögel und sonstiges kleines Getier zu hören. Es war Balsam nach so langer
Zeit.
Plötzlich rief ein Seemann:»Dort, Sir! Mr. Libbys Boot!«Bolitho sah des Fähnrichs Kopf und Schulter, bevor er noch das Klatschen der Riemen hörte.»Hierher!»
Libby winkte mit seinem Hut, ein Grinsen der Erleichterung trat auf sein gebräuntes Gesicht.
Er rief:»Mr. Sparke läßt Ihnen sagen, Sie sollen den Kutter herbringen, Sir! Es sind keinerlei Feinde am Ufer, er meint, sie seien alle geflohen, als sie die Schiffe sahen!»
Bolitho fragte:»Was macht er jetzt?»
«Er geht gerade an Bord der Brigantine, Sir. Ein hübsches kleines Schiff, aber durchlöchert wie ein Sieb.»
Sparke wollte wahrscheinlich überprüfen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gab, sie samt Ladung seinem Geschwader einzuverleiben.