Er hörte Quinn neben sich keuchen und stolpern; Stockdales breite Gestalt war schon etwas weiter vorn, er hielt das Entermesser vor sich, als solle es den Feind wittern wie ein Hund.
Etwas flog aus dem Dunkel heran, und ein Mann stürzte schreiend zu Boden, eine Lanze in der Brust.
Weiteres Krachen, und noch zwei von Bolithos Leuten stürzten.
Aber sie waren jetzt näher dran. Bolitho ergriff seinen Degen und schrie:»Im Namen des Königs, ergebt euch!»
Wie erwartet antwortete ein Chor von Flüchen und höhnischen Rufen. Aber es gab ihnen die paar Sekunden, die sie benötigten, um mit den Rufern ins Handgemenge zu kommen. Er schlug jemandem den Säbel aus der Hand. Als der Mann hinlief, um ihn aufzuheben, drang ihm Stockdales Entermesser krachend in den Kopf.
Dann kämpften sie alle Brust an Brust, Klinge an Klinge. Hinter sich hörte er Balleine fluchen, und dann das sporadische Knallen von Musketen, als er es schaffte, ein paar Schüsse in die Wanten abzufeuern, von wo aus Scharfschützen ihr Ziel suchten.
Ein bärtiges Gesicht tauchte vor ihm auf, und Bolitho spürte, wie seine Klinge mit metallischem Klang gegen des Mannes Schwert schlug, als sie jeweils parierten und sich freischoben von der Menge, um Platz zum Kämpfen zu gewinnen. Um sie herum taumelten und torkelten Gestalten wie Trunkenbolde, ihre Entermesser sprühten Funken, die Stimmen klangen wild und verzerrt von Haß oder Angst. Bolitho duckte sich, traf den Mann am Brustkorb, und als dieser zurücktaumelte, schlug er ihm den Degen mit solcher Wucht ins Genick, daß sein Handgelenk wie betäubt war.
Aber sie wurden trotzdem gegen die Back zurückgedrängt. Irgendwo, scheinbar hundert Meilen entfernt, hörte er einen Kanonenschuß, und in seinem benommenen Gehirn zuckte der Gedanke auf, dies sei ein weiteres Schiff, das dem Schoner zu Hilfe eile.
Er rutschte in einer Blutlache aus, und ein sterbender Seemann, getreten und zerstampft von den Kämpfenden über ihm, versuchte, seinen Knöchel zu packen.
Ein anderer Mann schrie und fiel aus den Wanten, von einer Kugel getötet, bevor er an Deck aufschlug.
Bolitho sah jetzt ein Paar weißer Hosenbeine vor der dunklen Verschanzung und wußte, daß es Quinn war. Dieser wurde von zwei Männern zugleich angegriffen, und obgleich Bolitho einen von ihnen auf die Schulter schlug und den schreienden Mann beiseite riß, keuchte Quinn und brach in die Knie, beide Hände auf die Brust gepreßt.
Sein Angreifer war so blind vor Kampfeseifer, daß er Bolitho nicht bemerkte. Er stand über Quinn und holte zum Todesstreich aus. Bolitho konnte ihn am Ärmel packen und herumreißen, und durch die Wucht seines eigenen Schwertstreiches stürzte der Mann zu Boden. Bolitho schlug ihm den Handschutz seines Degens mit voller Wucht ins Gesicht, des Schmerzes im Handgelenk nicht achtend.
Sein Gegner taumelte wieder hoch, spuckte Zähne aus und griff von neuem an.
Plötzlich stand er stocksteif, seine Augen leuchteten im Dämmerlicht so weiß wie Kieselsteine, dann drehte er sich um seine eigene Achse und sackte zusammen. Balleine zog so ruhig sein Enterbeil aus des Mannes Rücken, als zöge er es aus einem Holzklotz.
Da ging Bewegung durch die Reihen der Angreifer, und einen Augenblick später hörten sie Sparkes durchdringende Stimme:»Hierher, Trojaner, zu mir!»
Von beiden Seiten angegriffen, mit weiteren Booten in der Nähe rechnend, beendete die Besatzung des Schoners den Kampf so jählings, wie er begonnen hatte.
Nicht einmal Flüche wurden gegen die britischen Seeleute laut. Die Männer der Trojan waren so wild und erbittert durch den Nachkampf, bei dem sie Tote und Verwundete zu beklagen hatten, daß sie nicht auch noch Beleidigungen hingenommen hätten. Die Schonerbesatzung schien das zu spüren und ließ sich widerstandslos entwaffnen, durchsuchen und dann in zwei überschaubare Gruppen zusammentreiben.
Sparke, in jeder Hand eine Pistole, stand inmitten der Toten und wimmernden Verwundeten, und als er Bolitho sah, knurrte er kurz:
«Hätte schlimmer sein können. «Er konnte seinen Stolz nicht verbergen.»Hübsches kleines Fahrzeug! Sehr hübsch!«Er sah Quinn und beugte sich über ihn.»Steht es schlimm?»
Balleine, der des Leutnants Hemd aufgerissen hatte und das Blut zu stillen versuchte, sagte:»Seine Brust ist ganz aufgeschlitzt, Sir, aber wenn wir ihn zu.»
Doch Sparke war schon gegangen und rief in bellendem Ton nach Frowd, dem Steuermannsmaaten, der das Schiff gleich bei der geringsten Brise unter Segel bringen sollte.
Bolitho lag auf den Knien und hielt Quinns Hände von der Wunde fern, während Balleine sein Möglichstes tat, um einen Behelfsverband anzulegen.
«Ruhig, James. «Er sah Quinns Kopf nach hinten fallen, seine Anstrengung, dem Schmerz nicht nachzugeben. Quinns Hände waren wie Eis, Blut glänzte überall.»Du wirst wieder gesund, ich verspreche es dir!»
Sparke kehrte zurück.»Kommen Sie, Mr. Bolitho, es gibt eine Menge zu tun. Ich wette, daß wir früher als uns lieb ist Gesellschaft bekommen.»
Plötzlich dämpfte er seine Stimme, und Bolitho sah sich einem Sparke gegenüber, wie er ihn noch nicht erlebt hatte.
«Ich weiß, wie Ihnen Quinns wegen zumute ist. Aber Sie dürfen es nicht zeigen. Vor allem nicht vor den Leuten. Jetzt, da der Kampf vorüber ist, fühlen sie den Schock. Sie blicken auf uns. Deshalb müssen wir unser Mitgefühl für später aufbewahren.»
Er wandte sich wieder ab.»Los, Jungs, die Kutter nach achtern und die Fangleinen festmachen. Überprüft die Geschütze und seht zu, daß sie geladen sind, um einen Angriff abzuschlagen: mit Kartätschen, Kugeln, allem, was ihr finden könnt. «Er suchte in der nebligen Dunkelheit nach jemandem.»Sie, Archer! Richten Sie ein Schwenkgeschütz auf die Gefangenen. Beim geringsten Anzeichen, daß sie das Schiff zurückerobern wollen, wissen Sie, was Sie zu tun haben!»
Stockdale wischte sein Messer am Hemdfetzen eines Unglücklichen sauber.
«Ich werde auf Mr. Quinn achten, Sir. «Er rieb das Messer noch einmal ab und steckte es dann in den Gürtel.»Ein kräftiger Schluck würde ihm jetzt guttun, denke ich.»
Bolitho nickte.»Ja, sehen Sie zu, was Sie machen können. «Damit ging er. Das Schluchzen und Stöhnen im Dunkel gab ein anschaulicheres Bild der Szene, als die klare Sonne es vermocht hätte.
Bolitho sah Dunwoody, den Müllerssohn, eine bewegungslose Gestalt abtasten. Der Seemann sagte mit gebrochener Stimme:»Das ist mein Freund, Sir, Bill Tyler.»
Bolitho antwortete:»Ich weiß, ich sah ihn fallen. «Dann rief er sich Sparkes Rat ins Gedächtnis und fügte hinzu:»Hol' die Laterne runter, sofort! Wir wollen keine Motten anlocken, oder?»
Dunwoody stand auf und wischte sich das Gesicht.»Nein, Sir, sicher nicht. «Er eilte von dannen, blickte sich aber noch einmal ungläubig nach seinem toten Freund um.
Sparke war überall, und als er beim Ruder wieder auf Bolitho stieß, sagte er lebhaft:»Es ist die Faithful, Eigner sind die Brüder Tracy aus Boston, bekannte Kaperkapitäne, und sehr erfolgreiche dazu.»
Bolitho wartete, seine Hände zitterten vor Anstrengung.
Sparke fuhr fort:»Ich habe die Kajüte durchsucht, da fand sich ein ganzer Stapel von Informationen!«Er sprudelte über vor Begeisterung.»Kapitän Tracy ist tot. «Er deutete auf die blicklosen weißen Augen des Mannes, der von Baileines Enterbeil gefällt worden war.»Das ist er. Der andere Tracy, sein Bruder, befehligt eine Brigg, die Revenge, die sie letztes Jahr von uns gekapert haben. Sie hieß damals Mischchief.»
«Aye, Sir, ich erinnere mich. Sie wurde vor Cape May gekapert. «Es war erstaunlich, daß er so ruhig sprechen konnte, als wären sie beide auf einem Spaziergang und nicht inmitten eines Blutbades.
Sparke betrachtete ihn neugierig.»Sind Sie jetzt ruhiger?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Gut. Das ist der einzige Weg.»
Bolitho fragte ihn:»Ist Ladung an Bord, Sir?»
«Nein. Die wollten sie sich offenbar von unserem Konvoi holen. «Er blickte zu den kahlen Masten hinauf.»Lassen Sie ein paar Mann das Deck aufklaren. Es sieht hier ja aus wie in einem Schlachthaus. Die Leichen müssen über Bord und die Verwundeten nach unten. Dort herrscht zwar auch nicht viel Komfort, aber es ist etwas wärmer als an Deck.»