Mir ist es viel lieber, wenn unbekannte und verwundete Aliens nicht bei Bewußtsein sind. Dann kann man den Kontakt nach erfolgter Heilbehandlung herstellen und übt größere Kontrolle über den…“
„Doktor“, unterbrach ihn der Captain, „eine raumreisende Spezies mit dem aus dieser Fähigkeit abzuleitenden technischen und philosophischen Wissen wird doch wohl damit rechnen, auf Lebewesen zu stoßen, die in ihren Augen Aliens sind. Und selbst wenn diese Wesen so etwas nicht erwarten, würden sie sich zumindest der hohen Wahrscheinlichkeit für eine Begegnung mit fremden Lebensformen bewußt sein.“
„Gut, zugegeben“, entgegnete Conway. „Aber ein verletzter ET, der nur zum Teil bei Bewußtsein ist, könnte beim Anblick eines Aliens, der körperlich womöglich einem natürlichen Feind oder Raubtier auf seinem Heimatplaneten ähnelt, instinktiv und unlogisch reagieren. Und ein Extraterrestrier, der bei vollem Bewußtsein ist und keinerlei Vorkenntnisse über die ihn behandelnden Wesen besitzt, könnte einen operativen Eingriff oder das, was wir als ärztliche Fürsorge verstehen, als etwas ganz anderes auslegen. Möglicherweise als Folter oder als ein medizinischen Experiment.
Nur allzuoft muß ein Arzt einem Patienten grausame Schmerzen bereiten, obwohl er ihm nur helfen will.“
In diesem Augenblick löste sich ein großer, kreisförmiger Teil der Decke, dessen Ränder von der Hitze der Schneidbrenner noch feuerrot glühten. Dodds und der Captain schoben das herausgeschweißte Stück beiseite und stiegen durch das Loch hindurch.
Prilicla folgte ihnen und sagte: „Es tut mir leid, wenn ich Sie verwirrt hab, meine Freunde. Der Überlebende bewegt sich zwar langsam, liegt aber in viel zu tiefer Bewußtlosigkeit, um sich selbst zu bewegen.“
Die Anzugscheinwerfer leuchteten jetzt einen Raum aus, der an einigen Stellen zum All hin offen war. Hier wimmelte es von herumschwebenden Trümmerstücken, Regalen und Behältern verschiedener Größen und einer Unmenge glänzender Pakete, die wahrscheinlich versiegelte Lebensmittel enthielten. Die Leichname dreier Aliens, die keine Raumanzüge trugen, waren zerfetzt und angeschwollen — ein Folge des Doppeleffekts der beim Zusammenprall erlittenen starken äußerer Verletzungen und der explosionsartigen Dekompression. Durch ein Gewirr von zerfetztem Metall erhellten die Außenstrahler der Rhabwar jene Bereiche der Kabine, die von den Lichtkegeln der Anzugscheinwerfer nicht mehr erfaßt wurden.
„Ist er hier drin?“ fragte Fletcher ungläubig.
„Ja, ganz bestimmt“, bestätigte Prilicla.
Der Empath deutete auf einen großen Metallbehälter, der langsam an der entferntesten Wand entlangtrieb. Das schrankähnliche Gebilde war durch heftige Zusammenstöße mit anderen Metallteilen völlig zerkratzt und zerschrammt. Außerdem hatte es eine wenigstens fünfzehn Zentimeter tiefe Beule. Ein feiner Dunst umhüllte den Behälter und ließ auf das allmähliche Entweichen der im Innern eingeschlossenen Atmosphäre schließen.
„Naydrad!“ rief Conway entschlossen. „Gehen Sie an Bord, und vergessen Sie Ihre Drucktrage. Der Überlebende hat schon für eine eigene gesorgt. Sie verliert allerdings an Druck. Wir werden ihn jetzt in seinem Metallbehälter nach draußen in Ihr Blickfeld schieben. Dann können Sie ihn mit einem Traktorstrahl an Bord ziehen lassen. Aber machen Sie so schnell wie Sie können, Naydrad.“
Während sie den Container durch einen breiten Spalt in der Außenwand des Wracks nach draußen manövrierten, fragte der Captain: „Sollen wir uns hier noch länger nach Informationen über diese Spezies umsehen oder lieber in anderen Wrackteilen nach weiteren Überlebenden suchen, Doktor?“
„Wir werden auch noch woanders nach Überlebenden suchen, Captain, aber erst werden wir den Alien aus seinem Behälter holen“, antwortete Conway ohne Zögern. „Denn mit etwas Glück wird er uns alles erzählen können, was wir über seine Spezies wissen wollen…“
Als der Container aufs Unfalldeck geschafft worden war, untersuchte der Captain den Mechanismus der Verschlußklappe. Nach seinen Worten handelte es sich um einen einfachen Bedienungsmechanismus. Außerdem habe die Stabilität der Klappe und der Rahmenkonstruktion gerade diese Seite des Containers während des Zusammenpralls vor einer Verformung verschont.
„Er meint damit, die Klappe läßt sich öffnen“, übersetzte Dodds trocken.
Fletcher warf dem Lieutenant einen zornigen Blick zu und sagte dann: „Die Frage ist nur, ob wir die Tür öffnen sollen, ohne vorher zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Was meinen Sie, Doktor?“
Conway hörte auf zu bohren und entnahm aus dem Innern des Schranks eine Atmosphäreprobe, bevor er antwortete. „Captain, in diesem Behälter steckt jedenfalls kein terrestrischer DBDG mit Grippe“, entgegnete er, während er Murchison die Probe zur Analyse übergab. „Vielmehr werden wir auf einen ET einer bislang unbekannten Spezies stoßen, der dringend medizinische Hilfe benötigt. Und von extraterrestrischen Krankheitserregern haben wir nichts zu befürchten, das hab ich Ihnen ja schon erklärt.“
„Ich mache mir ja auch nur Sorgen über die Ausnahme, die die Regel bestätigen könnte, Doktor“, erwiderte der Captain hartnäckig. Dennoch öffnete er das Visier an seinem Helm, um so allen zu zeigen, daß er sich nicht allzu große Sorgen machte.
„Doktor Prilicla, bitte in zehn Minuten zur Luftschleuse“, bat Haslams Stimme aus dem Kontrollraum.
Der kleine Empath schwebte kurz über dem Container und versicherte, daß mit der emotionalen Ausstrahlung des Überlebenden keine spürbare Veränderung vorgegangen sei. Er befinde sich noch immer in tiefer Bewußtlosigkeit, sei aber weit davon entfernt, unheilbar krank zu sein.
Dann eilte Prilicla zur Luftschleuse, damit er beim Nahanflug des Astronavigators an das nächste Wrackteil sagen konnte, ob auch dort drinnen irgend jemand überlebt hatte oder nicht. Als der Cinrussker das Kommandodeck verließ, blickte Murchison vom Bildschirm des Analysators auf.
„Wenn man davon ausgeht, daß die erste Probe aus einer Kabine mit normaler Atmosphärezusammensetzung und normalem Druck stammt, dann könnten wir uns — abgesehen von ein paar harmlosen, in unserer Schiffsatmosphäre nicht enthaltenen Spurenelementen — ziemlich glücklich schätzen, die gleiche Luft zu atmen wie diese Aliens“, berichtete sie. „Die Probe aus dem Schrank hingegen hat nur den halben Normaldruck und einen hohen Kohlendioxid- und Wasserdampfgehalt. Kurz gesagt, die Luft im Schrank ist gefährlich dünn und verbraucht. Je eher wir den Alien dort herausholen, desto besser.“
„Gut“, erwiderte Conway. Er zog den Bohrer zur Entnahme der Proben heraus, ohne dabei das entstandene Loch wieder zu verschließen. Als die Luft des Unfalldecks pfeifend in den Schrank hineinströmte, fügte er hinzu: „Öffnen Sie bitte die Tür, Captain.“
Der Container lag jetzt auf der Rückseite, so daß sich der Verschluß der Öffnungsklappe, eine rechteckige Metallplatte mit drei kegelförmigen Vertiefungen, oben befand. Fletcher zog einen seiner Handschuhe aus, drückte drei Finger fest in die Einkerbungen und schob die Platte zur Seite.
Es klickte laut und Fletcher schwang die Tür nach oben. Im Innern des Schranks lag eine einzige wirre, blutige Masse.
Conway brauchte mehrere Minuten, um das Vorgefallene zu begreifen und die blutdurchtränkte Kleidung oder das Bettzeug um den Überlebenden herum zu entfernen. Der Container hatte früher einmal tatsächlich als Schrank gedient und wohl über zwanzig Regale enthalten.
Diese hatte man eiligst herausgezogen und die metallenen Regalträger zum Schutz des Insassen mit Bettzeug oder Kleidungsstücken gepolstert. Aber die Kollision war sehr heftig gewesen, und außerdem hatte man für eine fachmännische Befestigung der Polsterung an den Trägern keine Zeit mehr gehabt. Deshalb waren sowohl die Polsterung als auch der Überlebende im Innern des Schranks durcheinandergewirbelt worden. Der bedauernswerte Alien, der noch immer aus zahllosen Rißwunden blutete, die von den scharfkantigen Regalträgern herbeigeführt worden waren, war fest in eine Ecke des Metallschranks gepreßt worden. Durch die vom geronnenen Blut völlig verfilzten und büschelig gewordenen Pelzhaare hindurch konnte man das buntgestreifte Fell des Aliens kaum noch erkennen.