Литмир - Электронная Библиотека
A
A

Vater Zupik schielte noch immer auf die Vorhänge. Offensichtlich wartete er auf etwas ganz Bestimmtes und hatte überhaupt kein Interesse an dem Verhör. Was ist das für eine Komödie? dachte Rumata. Was soll das bedeuten?

»Nun, mein edler Don«, sagte Don Reba und wandte sich an Rumata, »es wäre außerordentlich angenehm, Ihre Antworten auf einige Fragen zu hören, die uns interessieren.«

»Nehmen Sie mir die Fesseln von den Händen«, sagte Rumata. Vater Zupik fuhr zusammen und führte mit den Lippen zweifelnde Kaubewegungen durch. Bruder Aba wiegte aufgeregt den Kopf. »Nun?« sagte Don Reba und blickte zuerst auf Bruder Aba und dann auf Vater Zupik. »Ich verstehe euch schon, meine Freunde. Indessen, wenn man die Umstände in Betracht zieht, die Don Rumata wahrscheinlich erraten wird …«, mit einem bedeutungsvollen Blick streifte er die Reihen der Maueröffnungen unterhalb der Decke. »Nehmt ihm die Fesseln ab«, sagte er im gleichen ruhigen Tonfall.

Unhörbar trat jemand von hinten an Rumata heran. Er fühlte, wie ein paar merkwürdig weiche, geschickte Finger seine Hände berührten, und er hörte, wie die Stricke durchschnitten wurden. Bruder Aba zog mit einer für sein Aussehen unglaublichen Behendigkeit eine riesige Kriegsarmbrust unter dem Tisch hervor und legte sie vor sich hin, geradewegs auf die Papiere. Rumatas Arme fielen wie zwei lange Zöpfe kraftlos an seinem Körper herab. Sie waren fast gefühllos.

»Also fangen wir an«, sagte Don Reba munter. »Ihr Name, Geschlecht, Rang?«

»Rumata, aus dem Geschlecht der estorischen Rumatas. Edler Höfling seit zweiundzwanzig Generationen.«

Rumata blickte um sich, setzte sich auf ein Sofa und begann seine Handgelenke zu massieren. Bruder Aba schnappte aufgeregt nach Luft und legte auf ihn an. »Ihr Vater?«

»Mein edler Vater – kaiserlicher Rat, unterwürfiger Diener und persönlicher Freund des Kaisers.«

»Ist er am Leben?«

»Er ist gestorben.«

»Wann?«

»Vor elf Jahren.«

»Wie alt sind Sie?«

Rumata fand keine Zeit zur Antwort. Hinter dem lila Vorhang drangen plötzlich Geräusche hervor, und Bruder Aba blickte sich argwöhnisch um. Vater Zupik erhob sich langsam und lachte böse. »Nun, da haben wir’s, meine Herren …«, wollte er schadenfreudig beginnen.

Hinter dem schweren Vorhang sprangen drei Männer hervor, die Rumata hier am allerwenigsten erwartet hätte. Vater Zupik ging es offenbar ebenso. Es waren kraftstrotzende Mönche in schwarzen Kutten mit über die Augen gezogenen Kapuzen. Rasch und geräuschlos sprangen sie auf Vater Zupik zu und ergriffen ihn an den Ellbogen.

»Ah …! Teufel …!« brachte er irgendwie hervor. Tödliche Blässe überzog sein Gesicht. Zweifellos hatte er etwas ganz anderes erwartet.

»Was meinen Sie, Bruder Aba?« erkundigte sich Don Reba gelassen und neigte sich ein wenig dem Dickwanst zu. »Ja natürlich!« gab jener entschlossen zur Antwort. »Selbstverständlich!«

Don Reba erteilte einen leichten Wink mit der Hand. Die Mönche hoben Vater Zupik aus dem Stand und trugen ihn, noch immer geräuschlos auftretend, hinter den Vorhang. Rumata runzelte angeekelt die Stirn. Bruder Aba rieb seine weichen Handflächen und sagte kühn:

»Alles glänzend verlaufen, was denken Sie, Don Reba?«

»Ja, nicht schlecht«, nickte Don Reba zustimmend. »Aber fahren wir fort. Also, wie alt sind Sie, Don Rumata?«

»Fünfunddreißig Jahre.«

»Wann sind Sie nach Arkanar gekommen?«

»Vor fünf Jahren.«

»Woher?«

»Bis dahin lebte ich in Estorien, in meinem Stammschloß.«

»Und was war das Ziel dieser Übersiedlung?«

»Umstände zwangen mich, Estorien zu verlassen. Ich war auf der Suche nach einer Stadt, die es mit dem Glanz der Hauptstadt aufnehmen konnte.«

Endlich begann er in seinen Armen ein feuriges Rieseln zu fühlen. Geduldig und ausdauernd fuhr Rumata fort, seine angeschwollenen Gelenke zu massieren.

»Und was waren das für Umstände?« fragte Don Reba. »Ich tötete im Duell ein Mitglied der kaiserlichen Familie!«

»Ah! Und wen?«

»Den jungen Herzog Ekin.«

»Was war die Ursache des Duells?«

»Eine Frau«, antwortete Rumata kurz.

Langsam schöpfte er Verdacht, daß alle diese Fragen eigentlich nichts bedeuteten. Daß sie zum Spiel gehörten wie die Beratung über die Art seiner Hinrichtung.

Alle drei warteten sie auf irgend etwas. Ich warte, bis ich meine Hände wieder voll gebrauchen kann. Bruder Aba – ein Dummkopf – wartet, daß ich ihm das Gold aus dem Familienschatz der Rumatas in den Schoß schütte. Don Reba wartet auch auf etwas … Aber die Mönche, die Mönche! Wie kommen die Mönche an den Hof? Und noch dazu solche geschickten und gewandten Kerle …?

»Der Name der Frau?«

Ach, diese Fragen, dachte Rumata. Dümmere könnte man sich nicht ausdenken. Ich werde versuchen, ihn ein wenig aus dem Konzept zu bringen.

»Dona Rita«, antwortete er.

»Ich hätte nicht erwartet, daß Sie antworten. Ich danke Ihnen …«

»Stets zu Ihren Diensten.«

Don Reba verneigte sich. »Waren Sie einmal in Irukan?«

»Nein.«

»Sind Sie überzeugt?«

»Und Sie …«

»Wir wollen die Wahrheit!« sagte Don Reba belehrend. Bruder Aba produzierte ein zitterndes Nicken. »Nichts als die reine Wahrheit!«

»Aha«, sagte Rumata. »Und mir schien es …« Er verstummte. »Was schien Ihnen?«

»Mir schien es, als wollten Sie in der Hauptsache mein Vermögen in die Hände bekommen. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, Don Reba, wie Ihnen das gelingen sollte?«

»Und eine Schenkung? Eine Schenkung!« schrie Bruder Aba. Rumata lachte so frech wie möglich.

»Du bist ein Esel, Bruder Aba, oder wie immer du heißt … Man sieht doch auf den ersten Blick, daß du ein Kleinkrämer bist. Dir ist wohl unbekannt, daß das Majorat nicht der Übergabe in fremde Hände unterliegt?«

Man sah dem Dickwanst an, daß er nahe daran war, vor Wut zu zerplatzen. Er konnte sich aber beherrschen.

»Es steht Ihnen nicht zu, in einem solchen Ton zu sprechen«, sagte Don Reba mit weicher Stimme.

»Sie wollen die Wahrheit?« entgegnete Rumata. »Hier haben Sie die Wahrheit, die reinste Wahrheit und immer nur die Wahrheit: Bruder Aba ist ein Esel und Kleinkrämer.« Unterdessen hatte sich Bruder Aba schon wieder in der Gewalt. »Mir scheint, wir kommen vom Thema ab«, sagte er mit einem Lächeln. »Was meinen Sie, Don Reba?«

»Sie haben recht, wie immer«, sagte Don Reba. »Mein edler Don, und kamen Sie jemals nach Soan?«

»Ich war in Soan.«

»Mit welchem Ziel?«

»Die Akademie der Wissenschaften zu besuchen.«

»Ein merkwürdiges Ziel für einen jungen Menschen in Ihrer Lage.«

»Meine Laune.«

»Und Sie sind auch mit dem obersten Richter von Soan, mit Don Kondor, bekannt?« Rumata witterte eine Falle. »Das ist ein alter Freund unserer Familie.«

»Ein hochedler Mensch, nicht wahr?«

»Eine ganz verehrungswürdige Person.«

»Ist Ihnen bekannt, daß Don Kondor ein Mitglied der Verschwörung gegen Seine Königliche Hoheit ist?« Rumata schob unmerklich sein Kinn vor.

»Fassen Sie sich selbst an die Nase, Don Reba«, sagte Rumata von oben herab. »Für uns, den alten Adel der Metropole, waren und bleiben auch all diese Soans und Irukaner und auch Arkanarer Vasallen der kaiserlichen Krone!« Er schlug die Beine über Kreuz und wandte sich ab.

Don Reba blickte ihn nachdenklich an. »Sind Sie reich?«

»Ich könnte ganz Arkanar aufkaufen. Aber mich interessiert keine Jauche …«

Don Reba holte tief Atem.

»Mein Herz blutet«, sagte er, »wenn ich daran denke, den so berühmten Zweig eines so berühmten Adelsgeschlechts abzuhacken!… Es wäre geradezu ein Verbrechen, wenn mich nicht die Staatsräson dazu zwingen würde.«

»Kümmern Sie sich weniger um die Staatsräson«, sagte Rumata, »sondern denken Sie lieber an Ihre eigene Haut.«

»Sie haben recht«, sagte Don Reba und schnalzte mit den Fingern. Mit einer raschen Bewegung spannte und entspannte Rumata wieder seine Muskeln. Anscheinend funktionierte sein Körper nun wieder normal. Hinter dem Vorhang sprangen noch einmal drei Mönche hervor, mit eben derselben unglaublichen Behendigkeit und Exaktheit, die von großer Erfahrung zeugte. Sie umzingelten den noch immer lieblich lächelnden Bruder Aba, faßten ihn und verdrehten ihm die Arme am Rücken.

»Aaauuuh!« brüllte er laut auf. Sein dickes Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.

»Rasch, rasch, keine Umstände!« befahl Don Reba mürrisch. Während sie ihn hinter den Vorhang zerrten, schlug der Dickwanst wie tollwütig um sich. Man hörte noch, wie er schrie und winselte, dann brüllte er plötzlich mit einer unheimlichen, nicht wiedererkennbaren Stimme kurz auf und verstummte schließlich ganz. Don Reba erhob sich und entlud vorsichtig die Armbrust. Rumata folgte ihm verblüfft mit seinen Augen.

Don Reba ging im Zimmer langsam auf und ab und kratzte sich mit dem Bolzen nachdenklich seinen Rücken. »Gut, gut …«, murmelte er beinahe zärtlich. »Allerliebst …« Es schien fast, als habe er Rumata ganz vergessen. Seine Schritte wurden immer rascher, er fuhr im Gehen mit dem Bolzen in der Luft herum wie mit einem Taktstock. Dann blieb er ganz unvermittelt dicht beim Tisch stehen, schleuderte den Bolzen von sich, setzte sich vorsichtig (sein ganzes Gesicht war plötzlich von einem Lächeln überzogen) und sagte:

»Nun, was sagen Sie …? Keiner von ihnen hat sich gemuckst …! Bei Ihnen, denke ich, bringt man das nicht zuwege …«

»Jaa …«, sagte Rumata gedehnt und ein wenig verträumt. »Also gut. Jetzt aber sprechen wir einmal, Don Rumata … Vielleicht aber auch nicht Rumata? … Oder vielleicht auch gar kein Don? … Wie …?«

Rumata schwieg und musterte ihn mit Interesse. Er war blaß, auf seiner Nase zeigten sich rote Äderchen, er zitterte förmlich vor Erregung, so als wollte er ihn am liebsten anschreien und dabei in die Hände klatschen: »Ich weiß doch! Ich weiß doch!« – Dabei weißt du überhaupt nichts, Hundesohn, dachte er. Wenn du aber etwas erfährst, wirst du es ohnehin nicht glauben. Nun, sprich schon, sprich, ich höre dir zu. »Ich höre«, sagte Rumata.

»Sie sind nicht Don Rumata«, erklärte Don Reba. »Sie sind ein Usurpator!« Er blickte Rumata streng in die Augen. »Rumata von Estorien starb vor fünf Jahren und liegt in der Familiengruft seines Geschlechts. Und die Heiligen haben seine aufrührerische und, sagen wir es geradeheraus, nicht sehr saubere Seele längst besänftigt. Also wie ist es, gestehen Sie von selbst, oder soll ich nachhelfen?«

»Ich gestehe«, sagte Rumata. »Man nennt mich Rumata von Estorien, und ich bin es nicht gewohnt, daß man an meinen Worten zweifelt.«

31
{"b":"89536","o":1}