Er fand keine Zeit, seinen Gedanken weiter nachzuhängen. Die Tür begann unter Faustschlägen zu dröhnen, und mit überschlagender Stimme brüllte jemand: »Aufmachen! Aufmachen!« Rumata schob den Riegel zurück. Ein halbbekleideter Mann, blau vor Schreck, stürzte ins Zimmer, faßte Rumata an der Weste und schrie mit bebender Stimme:
»Wo ist der Prinz? Budach hat den König vergiftet! Die irukanischen Spione haben einen Aufruhr entfacht in der Stadt! Rettet den Prinzen!« Es war der Hofminister, ein dummer Mensch, ein unterwürfiger Diener seines Herrn. Er stieß Rumata zur Seite und stürzte sich ins Schlafgemach des Prinzen. Die Frauen begannen zu kreischen. Inzwischen aber drangen schon die schweißüberströmten Fratzen der Sturmowiki in grauen Hemden durch die offenen Türen und schwangen ihre schartigen Beile. Rumata zog seine beiden Schwerter. »Zurück!« sagte er kaltschnäuzig.
Hinter seinem Rücken drang ein kurzer, unterdrückter Schrei aus dem Schlafzimmer an sein Ohr. Die Sache steht schlecht, dachte Rumata. Ich verstehe nichts mehr. Er sprang mit einem Satz in die Ecke und verbarrikadierte sich hinter dem Tisch. Schweratmend füllten die Sturmowiki das Zimmer. An die fünfzehn Mann waren es schon. In der vordersten Reihe machte sich ein Leutnant in einer engen grauen Uniform mit gezücktem Dolch zu schaffen. »Don Rumata?« fragte er, nach Luft ringend. »Ihr seid verhaftet, Gebt Eure Schwerter her.«
»Holen Sie sie doch selbst!« sagte Rumata und schielte zum Fenster.
»Ergreift ihn!« krächzte er.
Fünfzehn Mann, betrunken und mit Beilen ausgerüstet – das ist nicht zu viel für einen Menschen, der über eine Kampftechnik verfügt, die hier erst in dreihundert Jahren bekannt sein wird. Der Haufen stürmte an und wogte wieder zurück. Am Boden blieben einige Beile, zwei Sturmowiki krümmten sich vor Schmerz, drückten ihre angeschlagenen Hände vorsichtig gegen den Magen und trollten sich in die hinteren Reihen. Rumata beherrschte die Fächerverteidigung perfekt: Vor den Angreifenden wirbelte der Stahl wie ein dichter, glänzender Vorhang, und es schien unmöglich, diesen Vorhang zu durchdringen. Die Sturmowiki zogen sich zurück und blickten einander unentschlossen an. Ein scharfer Geruch von Bier und Zwiebel ging von ihnen aus.
Rumata schob den Tisch weg, ließ die Grauen nicht aus den Augen und ging die Wand entlang vorsichtig zum Fenster. Aus den hinteren Reihen kam ein Messer auf ihn zugeflogen, verfehlte ihn aber. Rumata lachte wieder, setzte einen Fuß auf das Fensterbrett und sagte: »Untersteht euch noch einmal, und ich haue euch die Hände ab. Ihr kennt mich ja …«
Sie kannten ihn. Sie kannten ihn sehr gut, und keiner von ihnen rührte sich vom Fleck, trotz des Murrens und Fluchens der Offiziere, die sich übrigens auch sehr vorsichtig verhielten. Rumata schwang sich auf das Fensterbrett, wobei er ihnen weiter mit seinen Schwertern drohte, als ihn im selben Augenblick von der Straße eine schwere Lanze gegen den Rücken schlug. Der Schlag war schrecklich. Er durchschlug zwar nicht das Metalloplasthemd, fegte ihn aber vom Fensterbrett und warf ihn zurück auf den Fußboden. Seine Schwerter hatte Rumata nicht losgelassen, sie konnten ihm aber in dieser Lage nicht mehr helfen. Das ganze Geschmeiß warf sich gleichzeitig auf ihn. Zusammen wogen sie wahrscheinlich mehr als eine Tonne, waren aber einer dem andern im Weg, und so gelang es ihm, wieder auf die Beine zu kommen. Seine Faust fuhr zwischen jemandes feuchte Lippen, irgendeiner zappelte wie ein gebissener Hase unter seiner Achsel, und Rumata schlug und schlug um sich mit Ellbogen, Fäusten und Schultern (schon lange hatte er sich nicht so frei gefühlt), aber er konnte sie nicht abschütteln. Einen Knäuel von Körpern hinter sich herschleppend, kam er doch bis zur Tür und befreite sich endlich von den Sturmowiki, die sich in seine Beine verkrallt hatten. Dann fühlte er einen schmerzhaften, wuchtigen Schlag gegen die Schulter und fiel auf den Rücken. Unter ihm zappelten die angeschlagenen Sturmowiki. Aber er konnte sich noch einmal erheben, teilte mit geballter Kraft kurze Schläge aus, die die mit Händen und Füßen verzweifelt um sich schlagenden Grauen gegen die Wände schleuderten. Schon zuckte vor ihm das zerfressene Gesicht des Leutnants auf, der sich hinter seine entladene Armbrust duckte, als die Tür einbrach und sich ein neuer Schwall schweißüberströmter Fratzen ins Zimmer ergoß. Sie warfen ein großes Netz über ihn, zogen es um seine Füße zusammen und warfen ihn um.
Er hörte sofort auf, sich zu wehren, um seine Kräfte zu schonen. Eine Zeitlang traten sie ihn mit ihren Stiefeln – angestrengt, schweigend und röchelnd vor Lust. Dann packten sie ihn an den Füßen und schleiften ihn fort. Als sie ihn an der aufgerissenen Tür des Schlafzimmers vorbeizogen, sah er den Hofminister, der mit einem Speer an die Wand geheftet war, und ein Bündel blutdurchtränkter Leinentücher auf dem Bett. »Also ist es ein Umsturz!« dachte er. »Der arme Knabe …« Sie schleppten ihn über die Stufen, und dann verlor er das Bewußtsein.