Catherine löste ihre Hand und stand auf.»Dann werde ich Sie jetzt verlassen. Aber ich würde mich gern ausführlicher mit Ihnen unterhalten, Dulcie.»
Belinda folgte ihr in die Halle.»Verschonen Sie Dulcie mit Ihrer Gegenwart«, sagte sie.»Man weiß ja, wer Sie sind. Müssen Sie sich auch noch den Herricks aufdrängen? Den Ruf meines Mannes haben Sie schon auf dem Gewissen. Eines Tages wird er noch bei einem Duell getötet werden!«Bosheit funkelte in Belindas Augen.
Catherine dachte an den Mann im Lustgarten am Themseufer und an Oberst Collyear. Beide hatten sie behandelt wie eine Hure und beide Male hätte sich Bolitho wirklich fast duelliert.
«Und das macht Ihnen Sorge? Sie waren doch noch nie stolz auf Richard. Warum tragen Sie überhaupt seinen Namen?«Sie ging zur Tür.»Dulcie hat Fieber. Ich habe die beiden Gärtner unter dem Fenster gehört, sie sprachen vom Kerkerfieber, das auf den Gefängnisschiffen herrscht. Vielleicht hat sich Dulcie bei ihnen angesteckt. Seit wann ist sie krank?»
Belinda war unsicher geworden.»Seit zwei Tagen. Seit ihr Mann das Haus verlassen hat.»
Catherine faßte einen Entschluß.»Ich schicke Mr. Yovell mit einer Nachricht nach London. Hier muß ein erfahrener Arzt her, nicht der Landdoktor aus dem Dorf. Und kein Wort zu den Dienern über Kerkerfieber. Die laufen sonst alle weg. Auch Sie sollten das Zimmer nicht betreten.»
«Ist es denn so ansteckend?»
Catherine sah Belinda verächtlich an. Diese Frau war ihr keine Hilfe.»Ich bleibe hier. Kerkerfieber ist Typhus. Dulcie wird ihn nicht überleben.»
Yovell kam ungerufen in die Halle, und Catherine erklärte ihm leise die Lage.
«Das ist ja schrecklich, Mylady! Wir brauchen sofort einen erfahrenen Arzt!»
Sie sah die Furcht in seinen Augen und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.»Für Dulcie käme er zu spät, aber die anderen hier brauchen ihn. Ich kenne Typhus. Man hätte sie viel früher behandeln müssen, jetzt ist es wohl hoffnungslos. Sie hat Schmerzen und schon einen Ausschlag am Hals, wie ich sehen konnte, als sich ihr Schal verschob. Ich bleibe bei ihr. Niemand sollte einsam sterben.»
Belinda ging mit fahrigen Bewegungen in der Halle auf und ab.»Ich muß nach London zurück, meine Tochter wartet.«»Dann verschwinden Sie endlich!»
Grußlos eilte Belinda davon. Catherine lächelte.»Begreifen Sie, Daniel, daß ich hier gebraucht werde? Sagen Sie das bitte Sir Richard.»
Der Schreiber verbeugte sich und verschwand. Gleich darauf klapperte die Kutsche in den Regen hinaus. Richard würde ihre Entscheidung verstehen. Als ihn seinerzeit ein Fieber bis zur Bewußtlosigkeit gequält hatte, war sie nackt zu ihm ins Bett geschlüpft, um seinen zitternden Körper zu wärmen.
Belinda kam mit ihrem Gepäck die große Treppe herunter, fixierte Catherine böse und warf im Vorbeigehen hin:»Ich hoffe, Sie sterben hier!»
«Auch dann wird Richard nicht zu Ihnen zurückkehren«, antwortete Catherine kühl.
Dann rollte auch Belindas Kutsche davon.
Die kleine Dienerin, die ihr die Tür geöffnet hatte, stand plötzlich verschreckt vor Catherine.
«Hol bitte die Haushälterin und die Köchin«, befahl sie.»Wie heißt du?«»Mary, Mylady.»
«Gut, Mary. Wir beide werden uns um deine Herrin kümmern. Das wird es ihr leichter machen.»
«Was leichter machen, Madam?»
«Schon gut. Hol die beiden, und dann sage ich euch, was wir brauchen.»
Als das Mädchen gegangen war, ließ Catherine sich auf einen Stuhl sinken. Was da auf sie zukam, verlangte Umsicht und Stärke. Das Leben hier im Haus konnte zu einem Alptraum werden. Wieder hörte sie Dulcie rufen; es klang wie der Name Thomas.
«Ich hoffe, Sie sterben hier«, hatte Belinda ihr gewünscht. Seltsamerweise gab ihr dieser Wunsch Kraft. Und als die Köchin und die Haushälterin kamen, sprach sie ruhig und ohne zu zögern mit ihnen.
«Eure Herrin muß gebadet werden, das werde ich tun. Sie kochen ihr bitte eine nahrhafte Suppe. Und dann brauche ich Brandy.»
Die Köchin verschwand. Die Haushälterin sagte leise:»Ich bleibe hier, bis es vorbei ist. Madam hat mich immer gut behandelt und ins Haus aufgenommen, als mein Mann starb. «Sie schaute zu Catherine auf.»Er ging unter die Soldaten und ist in Indien am Fieber gestorben.»
«Also wissen Sie, was Mrs. Herrick hat?»
«Ich konnt's mir denken. Obwohl Lady Bolitho eben sagte, ich sei wohl närrisch. Sie ist ja schnell verschwunden!»
Catherine rollte die Ärmel hoch.»Also fangen wir an! Und schicken Sie jemanden zum Arzt, er muß Bescheid wissen.»
Die Haushälterin musterte Catherines teure schwarze Robe.»Ich hab' noch irgendwo abgelegte Kleider von einem Hausmädchen. Die sollten Sie anziehen. Wir müssen sie ja hinterher verbrennen.»
Es wurde später als geplant und schon dunkel, bis Matthew die Kutsche durch das vertraute Stadttor lenken konnte. Als sie über das Kopfsteinpflaster ratterten, schaute Bolitho hinaus. Was hatte sich seit seinem letzten Aufenthalt in Falmouth verändert? Es war immer wieder schön, hierher zurückzukehren, auch wenn jetzt Schnee in der Luft lag.
Aus einigen Fenstern und sogar einigen Läden schien noch Licht. Als die Kutsche dann den Berg hinauffuhr, betrachtete er die Bauernhäuser. Kerzen brannten in manchen Fenstern, an den Scheiben hingen bunte Papierblumen und grüne Zweige als Schmuck: Weihnachten zu Hause.
Catherine in ihrem warmen Mantel mit der Pelzhaube schaute neben Bolitho aus dem Fenster. Hinter ihr lagen schwere Tage, an denen sie geglaubt hatte, Falmouth nie wiederzusehen.
Yovell war mit der Kutsche zu spät vor dem Gasthaus in Chatham angekommen, in dem sie Zimmer gemietet hatten. Unterwegs hatten sie ein Rad verloren und deshalb einen Tag länger als sonst gebraucht. Bolitho war außer sich vor Sorge gewesen und hatte Pferde für sich und Jenour satteln lassen. Dann waren sie ohne Pause zu Herricks Haus geritten, aber Dulcie war schon gestorben. Ihr schwaches Herz hatte aufgehört zu schlagen, noch ehe das furchtbare Fieber sie umbringen konnte. Catherine lag unter einer Decke nackt im Bett, denn die Haushälterin hatte alle Kleider verbrannt. Wie leicht hätte sie sich anstecken können, während sie Dulcie bis zu ihrem letzten Atemzug betreute. Der Arzt hatte ihr nicht viel helfen können, er war ein schwächlicher Mensch und völlig überfordert.
Und nun die lange Fahrt nach Falmouth — sechs Tage hatten sie bis nach Hause gebraucht.
Die Kutsche hielt.
Ferguson und seine Frau erwarteten sie an der Treppe, andere vertraute Gesichter tauchten im Licht der Kutschenlampen auf. Das Gepäck wurde abgeladen. Ferguson hatte das Haus gut vorbereitet. Große Feuer flackerten in den Kaminen, selbst in dem in der Halle, denn Wärme war jetzt sehr willkommen.
Als sie endlich in ihrem Zimmer waren, von dem aus man auf das Meer blicken konnte, bat Catherine um ein heißes Bad.»Ich möchte alles abwaschen«, sagte sie.
Ozzard kam mit vielen Kannen voll heißem Wasser.
Sie rief durch die Badezimmertür:»Wie wird Thomas von Dulcies Tod erfahren?»
Bolitho trat ans Fenster: bedeckter Himmel, keine Sterne. Draußen sah er ein winziges Licht. Ein kleines Boot, das noch rechtzeitig zum Weihnachtsabend den Hafen erreichen wollte. Er dachte daran, wie Herrick ihm damals die Nachricht von Cheneys Tod gebracht hatte.»Admiral Godschale schickt ihm eine Depesche«, antwortete er,»mit dem ersten Kurierschiff, das zu Thomas' Geschwader ausläuft. Ich habe ihm einen Brief beigelegt — von uns beiden. «Er hörte ihre Zustimmung.»Du bist wirklich sehr mutig gewesen. Wie leicht hättest du selber sterben können!»
Sie trat ins Zimmer, in einen Bademantel gehüllt. Ihr Gesicht glühte.»Dulcie hat im Fieber immer wieder Thomas' Namen gerufen. Sie wußte, daß sie sterben mußte.»
Bolitho hielt sie so, daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte.»Ich muß bald auf die Black Prince zurück, Kate. Vielleicht schon in zwei Wochen, vielleicht noch früher.»