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Aber warum auch nicht? Die Piraten — oder was sie sonst waren — hatten ein ganzes Kriegsschiff geblufft und sogar einen britischen Offizier, der zu ihnen an Bord gekommen war, von ihrer Legalität überzeugen können. Nun lagen sie sicher in einer Bucht verankert, mit ausgestellten Wachtposten an Land — warum sollten sie sich nicht unangreifbar fühlen?

Als der Anruf kam, war er laut und überraschend.»Boot ahoi?«Eine englische Stimme. Allday nahm die zwei leeren Flaschen zwischen seinen Füßen und zerschmetterte sie in der Bilge, warf den Kopf zurück und brach in ein dröhnendes Gelächter aus. Bolitho vernahm mehr Stimmen auf dem Schiff, aber keinen weiteren Anruf. Das Flaschengeklirr war überzeugender gewesen als jede Parole.

«Ich habe einen von uns im Vorschiff gesehen, Sir. «Miller hatte den Kopf vorsichtig über die Bordwand des Bootes gehoben.»Bei Gott, sie sind oben. Sie haben es geschafft!«Das Boot war jetzt fast längsseit, und Bolitho erkannte die Schanzkleidpforte und daneben zwei dunkle Gestalten, die ihre Annäherung beobachteten. Er konnte das Schiff auch riechen, diese vertraute Mischung aus Teer und Hanf. Einer der beiden Beobachter wandte sich dem Vorschiff zu, als dort in einem kurzen Aufleuchten des Mondes eine Gestalt sichtbar wurde; sie schwankte nach beiden Seiten und griff haltsuchend in die Wanten.

Allday flüsterte:»Das ist Haggard, Captain. Als Schauspieler besser als auf dem Mast, wie es scheint. «Haggard zog jetzt die Aufmerksamkeit der Wache voll auf sich. Würdevoll richtete er sich plötzlich auf und stürzte dann mit einem lauten Klatschen ins Wasser. Zweierlei ereignete sich jetzt fast gleichzeitig: Die Wachtposten verließen die Pforte und verschwanden in Richtung Vorschiff — in der Annahme, daß da einer der Ihren über Bord gegangen war. Und dann scholl aus der Dunkelheit heftiges Spritzen, als ob etwas mit großer Geschwindigkeit durchs Wasser geschleppt würde. Alle hörten Haggards Aufschrei: «Mein Bein!«Sein nächster Schrei brach unvermittelt ab, als er unter Wasser gerissen wurde.

Bolitho nahm dies alles wahr, als er in den Bug des Bootes stürmte, wo schon Enterhaken über die Reling der Eurotas geworfen wurden. An Haie hatte er nicht gedacht und nie geglaubt, daß sie in die Bucht eindringen würden. Doch die treibende Leiche mochte einen angelockt haben, der Haggard jetzt zwischen diesen gräßlichen Kiefern zermalmte.

Er hörte sich selbst brüllen:»Vorwärts, Leute! Drauf!«Das brach den Bann. Die eben noch schreckstarren Matrosen sprangen alle gleichzeitig auf und kämpften wie die Wilden, um die Sprossen des Seefallreeps zu erreichen. Auf der Gangway ging eine Pistole los, und eine Kugel fuhr singend an Bolithos Gesicht vorbei, als er sich an Deck schwang. Die beiden Wachtposten standen erstarrt im gedämpften Mondlicht, einer blickte Bolitho entgegen, und der andere stierte immer noch zum Vorschiff, als erwarte er, daß der gräßliche Hilfeschrei sich wiederholte. Matrosen drängten an Deck, stießen sich gegenseitig beiseite in ihrer Gier, die beiden Posten zu erreichen. Entermesser zischten durch die Luft, und die beiden fielen ohne einen Laut.

Von der Kampanje her ertönten weitere Schreie; mehr Piraten schienen durch die Vorderluke aufs Vorschiff zu klettern.

Aber Keen und seine Leute stürmten schon auf den Laufgängen nach vorn, feuerten auf die Luke und den Steuerbord-Kranbalken, wo ein Mann kauerte, sei es, um nach dem Hai auszuspähen oder um sich zu verbergen. Bolitho stürmte blindlings zur Kampanje, stürzte beinahe über eine Gestalt, die hinter einem Niedergang hervor ihm in den Weg trat. Er duckte ab und stieß mit dem Degen zu, spürte, wie er gegen Metall traf, als der Mann seinen Angriff parierte. Degengriff an Degengriff, drängten sie auf das Ruder zu. Matrosen stürmten an ihnen vorbei, während andere innehielten, um hastig nachzuladen. Aus der Ferne vernahm Bolitho Musketenfeuer und wußte, daß Quare mit den Wachtposten an Land zusammengestoßen war. Doch er fühlte nur eines: kalten Haß gegen den

Mann, der ihm den Weg versperrte. Der Atem des Mannes, sein Schnapsgestank, die Wärme seines Körpers, das alles schien unwirklich.

Bolitho spürte den heftigen Druck seines Gegners und wich aus; der andere kam aus dem Gleichgewicht und fiel gegen das Schanzkleid. Etwas flirrte an Bolithos Augen vorbei, und er hörte das widerliche Knirschen von Stahl auf Knochen. Dann stieß Allday den Toten eine Leiter hinunter. Sofort fuhr er wieder herum und holte mit dem Entermesser aus, als eine Gestalt von der Kampanje fortrannte. Allday traf den Mann an der Schulter, und als dieser aufschreiend stürzte, erledigte er ihn mit einem harten Schlag in den Nacken.

Ein anderer lag schluchzend auf den Knien und flehte in einer fremden Sprache, aber der Sinn seiner Worte war nur zu klar. Miller packte ihn am Haar und stieß ihn über die Reling. Der wilde Aufruhr im Wasser verriet, daß weitere Haie sich auf ihre unerwartete Beute stürzten. Licht strömte aus der Kampanje, und Bolitho sah in der Tür einen Mann kauern und in den Höllenlärm hinausspähen. Bolitho riß seine Pistole aus dem Gürtel und drückte ab. Da nichts geschah, schleuderte er sie gegen die Tür und rannte hinterher. Die Wucht seines Angriffs riß ihm beinahe den Degengriff aus der Hand, als er dem Aufspringenden die Klinge in den Leib stieß.

Seitlich hörte er Schreie und Schüsse, die anscheinend vom Wasser her kamen. Jemand versuchte wohl, in einem Boot zu entkommen. Doch das konnte er Keen überlassen. Mit dem Fuß stieß er die Tür ganz auf, schob den Sterbenden vom Süll und drang in die Hütte der Eurotas ein. Ihm bot sich ein schauerliches Bild. Die Türen der Kajüten waren aus den Angeln gerissen oder eingeschlagen. Kleidungsstücke, Waffen und anderer Privatbesitz lagen überall verstreut.

Auf dem Hüttendeck über sich hörte er eine vor Entsetzen schrille Stimme, und dann Miller laut drohend:»Bleib stehen, du elender Schuft!«Es endete damit, daß etwas über die Decksplanken geschleift wurde, dann folgte ein letztes Röcheln.

Langsam ging Bolitho weiter nach achtern, den Degen stoßbereit. Vorsichtig setzte er die Füße, um nicht in dem Chaos auf dem Boden zu stolpern.»Vorsicht, Capt'n!«Das war Jenners Stimme. Geduckt huschte er an Bolitho vorbei, ein Schatten, dem zwei Matrosen folgten. Jenners Gesicht leuchtete kurz auf, als in der Kajüte nebenan eine Pistole abgefeuert wurde; der Mann neben ihm stürzte und preßte dabei die Hände vor den Leib, während ihm bereits Blut aus dem Mund strömte. Jenner riß den rechten Arm hoch, und ein kleiner Dolch schwirrte wie ein blitzender Pfeil in die offene Tür. Als Bolitho sie erreichte, hatte Jenner die Klinge bereits aus der Brust seines Opfers gezogen und wischte sie an dessen Hosenbein ab.

Wieder stampften Schritte über das Hauptdeck; Keen drang in die Kampanje ein, einen Krummsäbel in der einen Hand, in der anderen eine leergeschossene Pistole wie eine Keule haltend.

«Vorschiff und Oberdeck sind unser, Sir. «Er atmete sehr schnell; im Licht der Laterne funkelten seine Augen noch vor Kampfeslust.»Einige sind im Boot entkommen«, fügte er hinzu.»Aber Quares Scharfschützen werden sie wohl erledigen. «Er blickte auf die Toten nieder.»Es ist uns gelungen, zwei Gefangene zu machen. «Bolitho nickte kurz.»Öffnet die Achterluke, macht euch aber auf Überraschungen gefaßt. Mr. Ross übernimmt den Befehl auf dem Oberdeck. Paßt auf, daß keiner das Ankertau kappt.»

Er ging an der letzten Offizierkammer vorbei auf die große Achterkajüte zu. Wieder das wilde Durcheinander von Kleidungsstücken und ausgeleerten Seekisten. Auf dem Tisch des Kapitäns standen die Reste einer nicht beendeten Mahlzeit. Daneben lag das Kleid einer Frau: blutbefleckt. Plötzlich war es sehr still, als ob das ganze Schiff vor Entsetzen lausche.

«Weiter!«Er verließ die Kajüte. Allday blieb ihm auf den Fersen, wandte den Kopf nach rechts und links, als wolle er Bolitho vor einem plötzlichen Angriff schützen. Als die Luke nicht ohne Schwierigkeiten geöffnet worden war, denn sie war wie auf einem Sklavenschiff mit Balken verkeilt und mit Ketten gesichert, wurde es Bolitho fast übel von dem Gestank nach Exkrementen und Angst, der ihm entgegenschlug.

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