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IV Nach dem Sturm

Ganz so, wie der Steuermann vorausgesagt hatte, begann sich das Wetter bald nach Mitternacht schnell zu verschlechtern. Der Wind nahm an Stärke zu, blieb aber heiß und feucht, und als Mond und Sterne hinter tiefhängenden, schnell vor dem Wind treibenden Wolken verschwanden, bereitete sich die Tempest auf ihren Kampf mit dem Sturm vor.

Selbst Bolitho fand das Erlebnis gespenstisch. Nach Hitze und gleißender Sonne, nach langsamem und geduldigem Kreuzen gegen wenig Wind, wirkten nun diese gewaltsamen Bewegungen und das überlaute Dröhnen von Sturm und Wellen unnatürlich. Ihre Welt war wieder geschrumpft, beschränkte sich auf vertraute Gegenstände und Haltepunkte an Deck, während das Wasser jenseits des Schanzkleides brodelte wie in einem riesigen Kessel, ehe es in der alles einhüllenden Dunkelheit verschwand. Bolitho fand reichlich Zeit, die Männer zu bedauern, die hoch oben auf den bebenden Rahen und in den Wanten arbeiteten. Gelegentlich, bei einem kurzen Nachlassen des schauerlich stöhnenden Windes, hörte er die Männer sich schreiend und mit verzerrten Geisterstimmen verständigen. Herrick taumelte auf dem schrägliegenden Achterdeck heran und rief:»Alles dicht, Sir!«Er winkte mit einem Arm, was im fliegenden Gischt aber kaum zu erkennen war.»Wenn alles hält, sollten wir das Wetter gut überstehen. «Er duckte sich fluchend, als eine schäumende See sich in Luv über den Finknetzen brach und alles in Reichweite durchnäßte.»Bei allem Respekt vor dem toten Captain Cook, Sir, aber ich finde, es war ein Irrtum von ihm, diesen Archipel >freundlich< zu nennen. Gott verdamme diese Inseln, würde ich sagen.»

Bolitho kämpfte sich nach achtern zu Lakey, seinen Maaten und den drei Rudergängern, die sich an das Rad gebunden hatten und in einer dichten, keuchenden Gruppe auf und nieder schwankten. Er blickte auf den Kompaß, der im Licht seiner kleinen Lampe unnatürlich hell erschien, und versuchte, nicht daran zu denken, was diese Verzögerung bedeuten konnte. Er hielt sich sein stampfendes und rollendes Schiff vor Augen, dessen Spieren und Tauwerk stärkstem Druck ausgesetzt waren. Er hätte vor dem Sturm herlaufen und damit selbst jetzt noch dem Schlimmsten ausweichen können. Doch wenn der Wind weiter an Stärke zunahm, konnte die Tempest viele Meilen nach Norden verschlagen werden; dann bestand nur noch wenig Hoffnung, die Insel rechtzeitig wieder zu erreichen. Auf diese heftigen Tropenstürme folgten häufig anhaltende Windstillen, und dann hatten sie keine Aussicht auf eine schnelle Rückkehr. Im Augenblick lag das Schiff jedenfalls so gut am Wind, wie erwartet werden durfte: nur unter dem gerefften und ständig beobachteten Großsegel beigedreht, trieb sie wie ein schwankender, glänzender Wal im Wasser.

Er hörte das gelegentliche Rasseln der Pumpen, wußte aber, daß sie nur übergenommenes Spritzwasser lenzten, das in Luv über Deck fegte und wie Brandung das Batteriedeck entlangdonnerte, ehe ein Teil davon seinen Weg unter Deck fand. Jede andere Fregatte, die Bolitho kannte, hätte bei dieser See schwer zu kämpfen gehabt, und ihre Pumpen wären doppelt bemannt und während jeder knochenzermürbenden Minute in Betrieb gewesen. Die Tempest aber war bei all ihrer Schwerfälligkeit so dicht wie ein Pulverfaß, und ihre starken Teakholzplanken ließen kaum einen Tropfen durchsickern.

Bolitho beobachtete, wie das Wasser nach Lee davongurgelte, sich an jedem festgezurrten Geschütz brach, bereit, jeden spuckenden, halbblinden Seemann zu packen und bewußtlos in die Speigatten zu schleudern. Er packte das Netzwerk und versuchte nachzudenken, obwohl er von Seegang und Wind halb benommen war. Die Eurotas mußte sicher an ihrem geschützten Ankerplatz liegen. Nur wenn ihr Anker nicht hielt, konnte sie abtreiben und selbst dort zerschellen.

Aber angenommen, daß er sich doch irrte? Daß Keen Viola mißverstanden hatte, oder daß er es erfunden hatte, nur um ihm eine Freude zu machen? Vielleicht hatte sie ihre Nachricht sarkastisch gemeint, was nur er verstehen konnte, damit er sich bei einer Wiederbegegnung zurückhalten und ihr nicht nähertreten sollte.

Oder vielleicht wollte sie ihn auch nur sehen und glaubte, eine solche Botschaft würde ihn zu ihr zurückbringen? Er schob sich das Haar aus den Augen, in die der sprühende Gischt wie Pfeile durch die Webeleinen der Besanwanten schoß.

Nur wenn er sich in Viola nicht täuschte, war auch sein

Urteil über die Eurotas richtig.

Er bemerkte, daß Herrick neben ihm auftauchte.

«Mr. Lakey verpfändet sein Wort, daß es bis Mittag so bleiben wird, Sir!«Herrick wartete und blinzelte in die

Dunkelheit.»Aber wenigstens können wir dann sehen, wo wir sind. Ich habe den Ausguck verdreifacht, denn wir treiben weiter ab, als hier ratsam ist. «Er war heiser vom

Schreien der Befehle.»Vielleicht hätten wir an die Eurotas herangehen und sie entern sollen, und zum Teufel mit dem Wetter!«Er dachte nur laut, aber es klang nach Kritik.»Jetzt erscheint mir nichts mehr sicher.»

Bolitho entgegnete:»Wenn ich recht habe, Thomas, dann wären beide Schiffe in Gefahr gewesen. Die Passagiere, die Deportierten, und wer weiß, wer noch — sie wären bei dem Angriff getötet worden.»

Herrick wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.»Ja, das stimmt wohl. Ich vermute, daß die Deportierten jede Beherrschung verloren, als das Schiff auflief, und dann die Macht an sich rissen. «Er drehte sich um und wartete auf Bolithos Meinung.

«Falls das Schiff überhaupt auflief. An dem allen stimmt etwas nicht, Thomas.»

Starling, einer der Steuermannsmaaten am Kompaß, rief:»Oben ist was weggeflogen, Sir!»

Als Bestätigung für seine Warnung polterten zwei Blöcke und etwa fünfzig Fuß Tauwerk wie eine zweiköpfige Schlange auf das Achterdeck herab. Starling rief schon nach zusätzlichen Leuten, um in die trügerischen Wanten zu klettern und den Schaden zu beheben. Er war zwar geringfügig, aber wenn er unbeachtet blieb, konnte daraus Schlimmeres entstehen. Bolitho hörte dem Steuermannsmaat anerkennend zu. Starling war mit seinem Kutter im letztmöglichen Augenblick an Bord genommen worden, damit sein Lotgast dem Schiff half, so schnell wie möglich von den Riffen klarzukommen. Ein Fehlgriff oder einer, der die Nerven verlor, und der Kutter wäre vielleicht zurückgeblieben. Und diesen Seegang hätte er unmöglich abwettern können. Dennoch hatte Starling, der als Trommeljunge bei einem Infantrieregiment angefangen hatte, ehe er dort davonlief, weil er lieber auf einem Schiff des Königs dienen wollte, wenig Aufregung verraten, als er auf dem Achterdeck seine Meldung machte.

«Gerade noch rechtzeitig, Sir«, war alles, was er gesagt hatte. Und jetzt war er dabei, die Wache auf dem Achterdeck einzuweisen, als ob nichts Ungewöhnliches geschehen wäre.

Bolitho sah die Beine und die ausgefranste Hose eines Seemannes hastig auf entern. Seine nackten Füße bewegten sich schnell wie Paddel. Er erkannte in dem Mann Jenner, ehe er im Gewirr der Takelage verschwand. Ein weiteres Beispiel für menschliches Treibgut: Jenner war Amerikaner, der in der revolutionären Marine gegen die Briten gekämpft hatte. Ein guter Seemann, wenn auch ein Träumer, der sich seinen alten Feinden angeschlossen hatte, als langweile ihn bereits die Unabhängigkeit, die zu erringen er mitgeholfen hatte.

Unmittelbar vor dem Achterdeck war ein weiteres Rätsel: ein riesiger Neger, der sich vor den Seen duckte oder geschickt beiseite sprang, wenn sie die Zwölfpfünder überfluteten. Man hatte ihn halbtot in einem treibenden Langboot aufgefunden, kurz nachdem Bolitho das Kommando übernommen hatte. Er war nackt und von Sonne und Durst böse zugerichtet. Schlimmer noch: als man ihn nach unten zum Schiffsarzt gebracht hatte, hatte Gwyther in seiner präzisen Art gemeldet:»Der Mann hat keine Zunge. Sie ist ihm abgeschnitten worden.»

In dem Langboot hatte man sonst nur noch eine Metallscheibe gefunden, mit dem eingraviertan Namen >Orlando<. Der Name eines Schiffes, eines Menschen, eines Stücks der Ladung? Niemand wußte es. Bolitho hatte den Verdacht, daß das Boot von einem Sklavenschiff stammte und der große Neger entweder zu fliehen versucht hatte oder als Warnung für andere ausgesetzt worden war.

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