«Noch fünfzig Meilen bis zu unserer P atrouillenposition, Mr. Herrick. Bei dieser Geschwindigkeit brauchen wir dafür einen Tag. «Es klang ungeduldig und leicht gereizt. Herrick kannte jetzt die Anzeichen.
«Immerhin ist es tröstlich, daß die Cassius querab liegt, Sir. Falls de Grasse hier aufkreuzt, sind wir nicht allein.»
Bolithos Blicke wanderten zu den schimmernden fernen Segeln hinüber.»Ach ja, das Flaggschiff. «Er lächelte bitter.»Vierzig Jahre hat sie auf dem Buckel und so viel Muscheln und Bewuchs am Rumpf, daß sie sogar bei starkem Sturm nur kriecht.»
Herrick blickte hastig zur Cassius hinüber. Größe und Überlegenheit hatten für ihn bis zu diesem Moment Sicherheit bedeutet, ein Schutzschild sozusagen. Er erwiderte:»Das wußte ich nicht, Sir.»
«Die Cassius ist eine holländische Prise, Mr. Herrick. Beachten Sie die Neigung ihres Vordecks. «Dann, als merkte er, daß er von lange vergangenen, nun unwichtigen Dingen sprach, sagte er heftig:»Mein Gott, dieses Kriechen macht mich verrückt.»
Herrick versuchte es auf andere Weise.»Unsere Befehle, Sir. Darf ich fragen, was man von uns erwartet?«Er bedauerte die Frage sogleich und riß sich zusammen, während Bolitho mit den Augen dem langsamen Kreisen einer Möwe folgte. Aus der Schulterhaltung Bolithos und der Art, wie seine Hände die Reling umklammerten, schloß Herrick, daß er ein Thema berührt hatte, über das der Kapitän selber nachgrübelte.
Doch Bolitho antwortete ruhig:»Wir werden fünfzig Meilen westlich von Guadeloupe auf Station gehen und — «, er schwenkte die Hand gegen die offene See,»- mit unserem Geschwader Kontakt halten.»
Herrick verdaute langsam die Information. Die in Antigua herrschende Erregung und die eifrigen Vorbereitungen hatten ihn nicht im geringsten daran zweifeln lassen, daß eine Schlacht bevorstand. Und er wußte, daß inzwischen die meisten stolzen Schiffe, die er vor Anker gesehen hatte, ausgelaufen waren, um nach Rodneys Plan Graf de Grasse zu finden und zu stellen.
Bolitho fuhr abwesend fort:»Eine Kette von Schiffen riegelt die Karibische See ab. Eine Meldung, daß der Feind gesichtet ist, und die Jagd beginnt. «In seiner Stimme lag keinerlei Erregung.»Unglücklicherweise liegt Martinique hundert Meilen südlich von unserem Patrouillengebiet, Mr. Herrick. Und dort ist de Grasse mit der Hauptmasse seiner Schiffe. Er wartet nur den rechten Augenblick ab, um nach Jamaika vorzustoßen. «Er drehte sich zu Herrick um.»Wenn Rodneys Fregatten melden, daß die Franzosen ausgelaufen sind, wird ihn unsere Flotte angreifen. «Er zog die Schultern hoch, eine halb ärgerliche, halb verzweifelte Geste.»Wir aber werden dabei so nutzlos sein wie ein Wegweiser in der Wüste.»
«Aber die Franzosen können auch hier entlangkommen, Sir. «Herrick spürte, wie Bolithos Verbitterung seine eigene Zuversicht beeinträchtigte. Während er sprach, ging ihm der Grund für Bolithos Geringschätzung der Cassius auf. Rodney hatte Admiral Napiers kleinem Geschwader die unwesentlichste Aufgabe bei diesem umfassenden Plan zugeteilt.
«Ja, man hat schon Wunder erlebt, Mr. Herrick«, sagte Bolitho.»Aber nicht in unseren Tagen.»
«Verstehe, Sir. «Herrick wußte nicht, was er darauf antworten sollte.
Bolitho betrachtete ihn ernst und klopfte ihm dann auf den Arm.»Mr. Herrick, ich bin heute morgen kein guter Gesprächspartner. «Er zuckte zusammen und fuhr sich über die Seite.»Ich bin dankbar, daß die Kugel nichts Lebenswichtiges getroffen hat, aber ich würde nichts vermissen, wenn ich nicht dauernd daran erinnert würde.»
«Sie sollten sich mehr Ruhe gönnen, Sir.»
«Es fällt mir schwer, stillzusitzen, Mr. Herrick. «Bolitho legte die Hand über die Augen und musterte die Segel.»So viel geschieht im Augenblick. «Er begann auf und ab zu gehen, Herrick fiel in den gleichen Schritt, um neben ihm zu bleiben.»De Grasse verläßt seine Schlupflöcher, ganz bestimmt. «Er sprach im Takt seiner schnellen Schritte.»Sie haben den plötzlich ausbrechenden Sturm erlebt, der Ihnen die Chance schenkte, die Andiron zu bestreichen. Eine Seltenheit in dieser Jahreszeit. Doch später. .«, er lächelte grimmig, während er sich erinnerte,»später im Jahr, August und September, peitscht ein Hurrikan nach dem anderen Westindien. Lassen Sie sich gesagt sein, Mr. Herrick, de Grasse wird bald herauskommen. Er wird sein Glück vor der Hurrikansaison versuchen. »
«Aber welchen Weg wird er nehmen?«fragte Herrick.
«Vielleicht den durch die Martinique-Passage. Aber gleich, welchen Weg er wählt, er wird direkt auf das zentrale Karibien zuhalten. Zwischen ihm und Jamaika liegen tausend Meilen. In einem solchen Bereich kann man eine ganze Flotte aus den Augen verlieren. Wenn wir ihn nicht gleich beim Auslaufen aufspüren, entdecken wir ihn erst wieder, wenn es zu spät ist.»
Herrick nickte. Endlich erfaßte er bis ins Letzte, was der Kapitän meinte.»Er hat Truppen und Kanonen. Er kann jedes Gebiet besetzen, das er haben möchte.»
«Genau das. Die Männer und Magazine, mit denen wir auf Mola zu tun hatten, waren nur ein winziger Teil seiner militärischen Stärke. Er hatte gehofft, ungehindert nach Jamaika zu segeln. Jetzt weiß er, daß wir auf der Lauer liegen. Das wird seine Eile noch beschleunigen. «Er blieb stehen und starrte auf den leeren Horizont.»Wenn wir es nur wüßten. . Wenn wir nur lossegeln und es selber herausfinden dürften. «Doch dann merkte er, daß er sich gehen ließ, und sagte kurz:»Kehren Sie auf Ihren Posten zurück, Mr. Herrick. Ich möchte noch weiter darüber nachdenken.»
Herrick ging an die Reling zurück, und während die Sonne auf die zundertrockenen Decks herabglühte, sah er Bolithos Schatten ständig hin und her und auf und ab wandern. - In seinen Fähnrichstagen hatte Herrick oft davon geträumt, daß er einmal den Rang eines Leutnants erreichen würde. Langsam war er dann befördert worden und hatte seine Beförderungen an der Fähigkeit oder Unfähigkeit seiner Vorgesetzten gemessen. Und die ganze Zeit über hatte er die Vorstellung gehegt, daß man ihm eines Tages ein eigenes Kommando übertragen würde. Doch während er jetzt Bolithos ruhelosen Schatten beobachtete und sich die nagenden Gedanken ausmalte, die ihm Gesellschaft leisteten, war er sich seines Wunsches nicht mehr ganz so sicher.
Der Vormittag war halb vorbei, als die Pfeifen» Rührt euch!«trillerten. Mehr oder minder erleichtert warfen sich die Matrosen der Phalarope in die Schattenflecke, um die kurze Pause so ausgiebig wie möglich zu genießen.
John Allday blieb an seinem Arbeitsplatz. Er hatte die Beine über dem Backborddavit gespreizt. Der Klüver schützte seinen gebräunten Körper vor der stechenden Sonne. Auf dem vordersten Teil des Schiffes hatte er den einen der großen Anker abgekratzt, und während er nun behaglich über der kleinen Bugwelle hockte, stemmte er einen Fuß auf das starke Querstück des Ankers und fühlte dessen Wärme an der nackten Fußsohle. Ihm im Rücken räkelten sich die anderen Leute des Arbeitskommandos. Rauch wirbelte aus langen Pfeifen und färbte die Luft über den Köpfen.
Old Ben Strachan griff nach einem neuen Tau und prüfte das Auge, das einer der Schiffsjungen eben gespleißt hatte.»Nicht schlecht, Junge, gar nicht schlecht. «Er saugte geräuschvoll an seiner Pfeife und ließ den Blick über das Deck der Phalarope gleiten.»Ist das der Kapitän, der da auf und ab wandert?»
Pochin, den Kopf auf den kräftigen Armen, murmelte:»Wer sonst? Muß verrückt sein, oben in der Hitze zu bleiben, wenn er unten in seiner Kajüte sein kann.»
Allday ließ ein Bein baumeln und sah nachdenklich in das klare Wasser hinab. Pochin machte sich noch immer Sorgen über Onslows Äußerungen im Kutter. Er war gereizt, weil er sich schuldig fühlte. Schon allein die Tatsache, daß er dem
Gerede zugehört hatte, konnte ausreichen, als Verschwörer bezeichnet zu werden. Allday drehte sich ein wenig herum und bemerkte, daß ihn Herrick vom Achterdeck her beobachtete. Der Leutnant nickte ihm flüchtig zu, ehe er sich wieder seinen eigenen Gedanken widmete, und Allday entsann sich plötzlich jenes Augenblicks auf der abbröckelnden Klippe, als er Herrick vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt hatte. Obwohl er sich ursprünglich vorgenommen hatte, bei den internen Auseinandersetzungen auf der Phalarope keine Stellung zu beziehen und sich jeder Parteinahme zu enthalten, wurde ihm langsam klar, daß solches Beiseitestehen nicht nur unmöglich, sondern sogar gefährlich war. Allday mochte Herrick, und er erkannte auch, worum es dem Dritten ging, der sich stets die Klagen seiner Untergebenen anhörte und nie vorschnell Strafen erteilte. Aber Herrick war trotzdem kein Narr.