Er verdrängte die Vorstellung, denn er hörte das Trampeln von Stiefeln und das Aufsetzen von Gewehren.
Vibart erschien im Türrahmen.»Die Gefangenen sind an Bord, Sir. «Er sah Ferguson durchdringend an, der sich neben dem Tisch zu einem Ball zusammenzurollen schien.»Es stimmt, ein Spanier. Zwanzig Mann an Bord, kein Widerstand. Ich habe den Kapitän und zwei Maate draußen unter Bewachung, Sir.»
«Gut. «Bolitho blickte auf die Karte.»Zwanzig Mann, sagen Sie? Eine starke Mannschaft für ein so kleines Fahrzeug. Gewöhnlich bemannen die Spanier ihre Schiffe sparsamer.»
Vibart zuckte mit den Schultern.»Mr. Farquhar sagt, der Lugger wäre im Küstenhandel eingesetzt. Nützt uns nicht viel.»
«Ich werde mich erst einmal mit dem Kapitän unterhalten. Sie können an Deck gehen und beobachten, welche Fortschritte Mr. Okes macht. Lassen Sie mich bitte wissen, sobald er etwas herausgefunden hat.»
Der Schiffer des Luggers war klein und dunkelhäutig. Er trug ein zerlumptes Hemd und eine weite Leinenhose. Unter seinem glatten Haar schaukelten zwei goldene Ohrringe, und seine schmutzigen, bloßen Füße vollendeten das Bild der Vernachlässigung und Armseligkeit. Neben ihm wirkte Fähnrich Farquhar elegant und unwirklich.
Bolitho hielt die Augen auf die Karte gerichtet. Das unruhige Atmen und Füßescharren des Spaniers entging ihm nicht. Schließlich sagte er:»Spricht er englisch?»
«Nein, Sir«, antwortete Farquhar ungeduldig.»Er schnattert bloß.»
Ohne den Blick von der Karte zu heben, sagte Bolitho wie nebenbei:»Dann nehmen Sie ihn wieder mit an Deck, und lassen Sie den Profoß eine Schlinge am Hauptmast anbringen.»
«Eine Schlinge, Sir?«fragte Farquhar verdutzt.»Wollen Sie ihn hängen?»
«Selbstverständlich«, sagte Bolitho grob.»Er nützt mir nichts.»
Der Spanier schwankte und warf sich Bolitho zu Füßen. Er schluchzte und weinte, während er Bolithos Beine umklammerte. Die Worte strömten ihm wie eine Flut über die Lippen.
«Bitte, Kapitän, nicht hängen. Bitte! Ich bin guter Mann, Sir. Ich haben Frau und viele arme Kinder. «Tränen rannen ihm über die Wangen.»Bitte, Sir, nicht hängen!«Das letzte Wort kreischte er fast.
Bolitho befreite sich aus der Umklammerung und sagte ruhig:»Ich dachte mir schon, daß Ihre Englischkenntnisse wieder aufleben würden. «Und zu Farquhar:»Versuchen Sie den Trick bei den zwei Maaten. Sehen Sie zu, was Sie aus ihnen herausbekommen. «Er wandte sich wieder dem wimmernden Mann zu.»Stehen Sie auf und beantworten Sie meine Fragen, oder ich lasse Sie doch noch aufknüpfen.»
Er ließ einige Minuten verstreichen. Was hätte er angefangen, wenn der Spanier tatsächlich nicht englisch gesprochen hätte? Dann fragte er:»Ihr Bestimmungsort? Ihre Ladung?»
Der Mann schwankte. Seine schmutzigen Hände waren wie zum Gebet gefaltet.»Ich segeln nach Puerto Rico, Kapitän, mit kleiner Ladung Holz und Zucker. «Er rang die Hände.»Aber nehmen Sie alles, Exzellenz, nur lassen Sie mir Leben.»
«Halten Sie den Mund. «Bolitho spähte auf die Karte. Die Geschichte konnte stimmen. Er fragte scharf:»Woher kommen
Sie?»
Der Mann lächelte unterwürfig.»Ich segeln überall, Kapitän. «Er schwenkte unbestimmt die Hand.»Ich haben nur kleine Ladung. Ich nehmen, wo was kriegen. Ein schweres, schweres Leben, Exzellenz.»
«Ich werde meine Frage nur einmal wiederholen!«Bolitho sah ihn durchdringend an.
Der Mann trat von einem Fuß auf den anderen.»Von Martinique, Kapitän. Ich haben kleine Arbeit da. Aber ich hassen Franzosen, versteh'n?»
Bolitho senkte die Augen, um die Erregung, die er spürte, zu verbergen: von Martinique, dem Hauptquartier und der wesentlichsten Operationsbasis der Franzosen, der am stärksten gesicherten Festung Karibiens.
«Sie hassen die Franzosen, Ihre tapferen Verbündeten?«Bolithos Sarkasmus entging dem Spanier nicht.»Nun, lassen wir das. Sagen Sie mir statt dessen, wie viele Schiffe dort auf Reede lagen. «Bolitho sah Angst in den Augen des Schiffers und nahm an, daß der Spanier genau wußte, welche Reede er meinte.
«Viele Schiffe, Exzellenz. «Er rollte mit den Augen.»Viele große Schiffe.»
«Und wer befehligt diese vielen großen Schiffe?»
«Der französische Admiral, Exzellenz. «Der Spanier räusperte sich, als ob er ausspucken wollte, bemerkte jedoch, daß die Wache ihn von der Tür her beobachtete, und schluckte geräuschvoll.»Ein französisches Schwein, dieser Mensch.«»Der Graf de Grasse?»
Der Schiffer nickte heftig.»Aber Sie ja alles wissen, Kapitän. Sie der Allmächtige haben gesegnet.»
Farquhar betrat die Kajüte, und Bolitho schaute hoch.»Nun?»
«Sie sprechen beide nur wenig englisch, Sir. «Er schien auf sich selber wütend zu sein.»Nach dem, was ich mir zusammenreimen kann, wollten sie nach Puerto Rico.»
Bolitho winkte der Wache.»Bringen Sie den Gefangenen hinaus, aber lassen Sie ihn nicht mit den anderen reden. «Dann sagte er abwesend:»Er hat gelogen. Er kam von Martinique. Die Franzosen würden ihm seine Handelsfahrten nie erlauben, wenn sie jederzeit selbst belagert werden könnten. «Er klopfte auf die Karte.»Nein, Mr. Farquhar, mag sein, daß er von Martinique kommt, aber sein Bestimmungsort ist ein anderer.»
Vibart kam herein und zog wegen der Decksbalken den Kopf ein.»Mr. Okes meldet, daß die Ladung mit dem übereinstimmt, was Sie bereits wissen, Sir. Aber unter der Hauptladung sind neue Stengen und Fässer mit Salzfleisch verstaut. Außerdem eine Menge Ersatzsegel und Tauwerk.»
«Genau, wie ich dachte. «Bolitho fühlte sich sonderbar euphorisch.»Der Lugger bringt Vorräte von Martinique nach… «Sein Finger glitt über die auf der Karte eingezeichneten Inseln.»Ja, wohin?«Seine Augen wanderten von Vibarts düsterem zu Farquhars verblüfftem Gesicht.»Bringen Sie den spanischen Schiffer noch mal her.»
Bolitho trat an die Heckfenster und beugte sich über das Wasser, wie um seine Gedanken zu ordnen. Ihm schien, daß der Spanier von den französischen Schiffen in Martinique so offen erzählt hatte, weil er wußte, daß britischen Patrouillenschiffen diese Nachricht bereits bekannt war. Der Spanier bildete sich offenbar ein, daß ihm, Bolitho, der Hauptpunkt entgangen war. Er drehte sich rasch um, als der Mann durch die Tür gestoßen wurde.»Hören Sie gut zu«, sagte er beherrscht, doch so schroff, daß der Spanier zu zittern begann.»Sie haben mich belogen. Ich habe Ihnen gesagt, was mit Ihnen passieren würde, nicht wahr?«Er sprach jetzt gefährlich leise.»Also, noch einmal: Ihr Bestimmungsort?»
Der Mann wankte.»Bitte, Exzellenz. Die mich töten, wenn es herausfinden.»
«Und ich werde Sie töten, wenn Sie mich warten lassen. «Bolitho bemerkte, daß Herrick die Szene von der Tür aus fasziniert verfolgte.
«Wir segeln nach Insel Mola, Kapitän. «Der Mann schien zusammengeschrumpft zu sein.»Die Ladung ist für Schiffe dort.»
Herrick und Farquhar wechselten verständnislose Blicke.
Bolitho beugte sich über seine Karte.»Mola ist holländisch. «Er maß die Entfernung mit dem Zirkel ab.»Dreißig Meilen nordöstlich unserer gegenwärtigen Postition. «Seine Augen bohrten sich mitleidslos in den Spanier.»Wie oft sind Sie schon dorthin gesegelt?»
«Oft, Exzellenz. «Der Spanier sah aus, als müsse er sich übergeben.»Soldaten dort, französische Soldaten. Kommen von Norden. Haben auch Schiffe.»
Bolitho atmete langsam aus.»Natürlich. De Grasse würde nie den Versuch unternehmen, seine Schiffe gegen Jamaika oder eine andere Insel zu schicken, wenn er sich nicht voller Infanterieunterstützung sicher wäre und ein Ablenkungsmanöver an anderem Ort in der Hinterhand hätte. «Er sah die anderen an.»Unsere Flotte beobachtet Martinique im Süden und wartet, daß sich die Franzosen regen, doch die ganze Zeit über sickern sie vom amerikanischen Festland ein und sammeln sich zu einem großen, entscheidenden Schlag.»
Vibart sagte:»Wir müssen die Cassius informieren, Sir.»
«Wir könnten mit dem Lugger das Flaggschiff suchen, Sir«, sagte Herrick lebhaft von der Tür her,»und selber hier in Bereitschaft bleiben.»