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Sieben lange Tage, seit sie Antigua überstürzt verlassen hatten, sieben Tage des Wartens und der Beobachtung des glatten Horizonts.

Herrick blickte nach vorn. Die Männer der Freiwache lagen wie Tote im dunklen Schatten des Schanzkleides. Die halbnackten Leiber waren gebräunt. Mehrere Matrosen, an die gnadenlos glühende Sonne nicht gewöhnt, hatten böse Verbrennungen erlitten.

Fähnrich Maynard lehnte an den Netzen. Sein rundes Gesicht war ausdruckslos. Inaktivität und Hitze hatten ihn ebenfalls zermürbt.

Es war schwer zu glauben, daß außerhalb ihrer eigenen Welt noch etwas existierte. St. Kitts lag etwa fünfzig Meilen südöstlich, und die Anegada Passage, die die Jungferninseln von den umstrittenen Inseln trennte, lag in dem sengenden Glast jenseits des bewegungslosen Bugspriets.

Von Hoods Anstrengungen, St. Kitts zu halten, hatten sie nichts weiter gehört, und nach allem, was Herrick wußte, konnte der Krieg ebensogut schon zu Ende sein. Als das Flaggschiff ihnen begegnete, hatte Bolitho durch ein Signal die neuesten Nachrichten erbeten, aber die Antwort war unbefriedigend gewesen, um es gelinde auszudrücken. Die Phalarope hatte gerade Geschützübungen angesetzt, bei denen mehrere alte und nutzlose Fässer als Ziel dienten. Bolitho hatte das Übungsschießen angeordnet, um die Eintönigkeit zu unterbrechen, nicht weil er hoffte, durch solche Methoden die Treffsicherheit zu erhöhen.

Die Cassius hatte ein Signal gesetzt. Maynard meldete, daß der Admiral sofortige Feuereinstellung forderte.»Pulver und Kugeln sparen!«hatte das Signal kurz befohlen.

Bolitho hatte sich jeder Bemerkung enthalten. Herrick kannte seinen Kapitän jedoch jetzt gut genug, um den Ärger zu begreifen, der in Bolithos grauen Augen aufflackerte. Alles erweckte den Eindruck, als hätte der Admiral vorsätzlich diesen Kurs gesteuert, um die Phalarope zu isolieren, so wie der Arzt einen Aussätzigen von seinen Mitmenschen absondert.

Herrick riß sich aus seinen Gedanken, als Bolithos Kopf und Schultern im Kajütniedergang auftauchten. Wie die anderen Offiziere trug er nur Hemd und weiße Kniehose. Das dunkle Haar klebte ihm schweißnaß auf der Stirn. Er wirkte gereizt. Herrick spürte geradezu seine Ruhelosigkeit.

«Noch immer kein Wind, Sir.»

Bolitho warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Dann nahm er sich zusammen.»Danke, Mr. Herrick. Ich sehe es. «Er trat an den Kompaß. Sein Blick streifte die beiden Rudergänger. Schließlich ging er zur Steuerbordreling. Herrick sah ihn zusammenfahren, als die Sonne mit der Hitze eines Schmelzofens seine Schultern traf.

«Und wie fühlen sich die Männer?»

«Nicht sehr wohl, Sir«, erwiderte Herrick vage.»Auch ohne gekürzte Wasserration ist es schlimm genug hier draußen.»

«Stimmt. «Bolitho nickte, ohne sich umzudrehen.»Aber die Rationierung ist notwendig. Weiß Gott, wie lange uns die Flaute festnagelt.»

Bolithos Hand glitt über die Narbe unter der rebellischen Haarsträhne. Herrick hatte diese unbewußte Bewegung schon mehrmals bemerkt, gewöhnlich, wenn Bolitho völlig in Gedanken verloren schien. Herrick hatte Stockdale wegen der Narbe gefragt und erfahren, daß Bolitho verwundet wurde, als er — damals noch Leutnant — mit einem Häuflein Matrosen an Land geschickt worden war, um auf einer Insel die Wasserfässer zu füllen.

Weder der Kapitän noch sonst jemand hatte gewußt, daß die Insel bewohnt war. Die Barkasse war kaum gelandet, als brüllende Eingeborene die Abteilung aus dem Hinterhalt überfielen. Einer entriß einem sterbenden Matrosen das Entermesser und griff Bolitho an, der seine zahlenmäßig unterlegenen Männer um sich zu scharen versuchte. In seiner holprigen Sprechweise beschrieb Stockdale die Szene, bei der die Hälfte der Matrosen niedergemacht wurde, während die anderen sich verzweifelt auf dem Wasser in Sicherheit zu bringen versuchten. Bolitho, zu Boden gestürzt, wurde von seinen Leuten getrennt. Aus der Wunde, die das Entermesser gerissen hatte, strömte Blut. Ein Wunder, daß ihn der Hieb nicht getötet hatte. Die Matrosen wollten ihren Offizier, den sie sowieso für tot hielten, liegen lassen. Aber in letzter Minute sammelten sie sich doch noch. Andere Boote eilten ihnen zu Hilfe und brachten Bolitho in Sicherheit.

Herrick ahnte, daß noch eine Menge mehr dahintersteckte. Und er vermutete, daß Stockdale die Panik eingedämmt und den Mann gerettet hatte, dem er nun wie ein treuer Hund diente.

Bolitho blickte zum Bugspriet.»Der Dunst erinnert ein wenig an den Nebel im Kanal.»

Herricks trockene Lippen knisterten, als er kläglich lächelte.»Ich hätte nie gedacht, daß ich die Kanalflotte vermissen würde, Sir. Doch nun würde ich gern wieder den Wind hören und das kalte Spritzwasser spüren.»

«Kann sein«, sagte Bolitho gedankenverloren.»Aber ich habe so ein Gefühl, daß wir bald Wind bekommen.»

Herrick sah ihn verdutzt an. Das ist kein leeres Hoffnungsgeschwätz, sondern gehört zum Bild dieses Mannes, zu seiner gelassenen Zuversicht, dachte er.

Schritte näherten sich, und Vibart sagte rauh:»Auf ein Wort, Kapitän.»

«Worum geht es?»

«Um Ihren Schreiber Mathias, Sir. Er ist im Laderaum verunglückt, Sir.«»Schwer?»

Vibart nickte.»Ich glaube, er wird den Tag nicht überleben. «In seiner Stimme klang kein Mitleid mit.

Bolitho biß sich auf die Lippen.»Ich hatte ihn hinuntergeschickt, um einige Vorräte zu prüfen. «Er schaute bekümmert hoch.»Sind Sie sicher, daß ihm nicht geholfen werden kann?»

«Der Arzt verneint es. «Es klang gleichgültig.»Er hat sich nicht nur die Rippen gebrochen, sondern auch den Schädel aufgeschlagen.

Ein Spalt, in den ein Marlspieker passen würde.»

«Ach so. «Bolitho blickte auf die Reling.»Ich kannte den Mann kaum, aber er hat schwer gearbeitet und sich bemüht, sein

Bestes zu geben. «Er schüttelte den Kopf.»Im Kampf zu fallen, ist eins, aber so… »

Herrick sagte schnell:»Ich werde sofort einen anderen Schreiber abkommandieren, Sir. Ich denke an Ferguson, einer von den in Falmouth gepreßten Leuten. Er kann lesen und schreiben und ist an solche Arbeit eher gewöhnt. «Herrick entsann sich an Fergusons ve rzweifeltes Gesicht, als sie Antigua verließen. Er hatte ihm versprochen, für ihn einen Brief an seine Frau zu besorgen. Wenn Ferguson der schweren Matrosenpflichten ledig wurde und der harten Aufsicht der Maate entkam, glich das die Unterlassung vielleicht irgendwie aus.

Bolitho sah ernst aus. Herrick fragte sich, wie der Kapitän die Kraft fand, sich über einen Matrosen Gedanken zu machen, wenn ihm selber eine so schwere Bürde der Verantwortung auf den Schultern lag.

«Gut. Kommandieren Sie Ferguson ab und klären Sie ihn über seine Pflichten auf.»

«An Deck!«erscholl es vom Großtoppausguck.»Bö an Steuerbord voraus!»

Herrick rannte an die Reling und beschattete die Augen. Ungläubig sah er, wie das leichte Gekräusel auf das stilliegende Schiff zulief und hörte, wie sich die Takelage rührte, als die Segel sich langsam füllten.

Bolitho verschränkte die Hände auf dem Rücken.»Was soll das Starren? Bringen Sie die Männer in Trab, Mr. Herrick, damit das Schiff Fahrt aufnimmt.»

Herrick nickte. Er hatte die Erregung hinter Bolithos Ausbruch wahrgenommen. Als die Segel knatternd zu ziehen begannen, zeigte Bolithos Gesicht eine fast jungenhafte Freude.

Viel Kraft hatte der Wind nicht, aber er reichte aus, die Phalarope in Fahrt zu bringen. Das Wasser gurgelte um das Ruder, und als die Brassen in den Blöcken quietschten, schwangen die Rahen herum, um auch noch das letzte bißchen Wind einzufangen, voller Gier nach dem Leben, das er ihnen schenkte.

«Gehen Sie auf Nordnordwest, Mr. Herrick«, sagte Bolitho schließlich.»Diesen Kurs werden wir bis Sonnenuntergang beibehalten.»

«Aye, aye, Sir.»

Bolitho trat an die Heckreling und schaute auf das schwache

Kielwasser. Man sieht ihm seine Besorgnis nicht an, überlegte Herrick. Der Wind war zwar erfreulich, aber nichts im Vergleich zu der endlosen, sinnlosen Patrouille, doch Bolitho verhielt sich zumindest nach außen hin, als wäre alles normal.

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