Konteradmiral Sir Robert Napier blieb hinter seinem Tisch sitzen und deutete auf einen Stuhl an der breiten Heckgalerie: ein kleiner, leicht reizbarer Mann mit gebeugten Schultern und schütterem grauem Haar. Das Gewicht seines Paraderocks schien ihn niederzudrücken. Sein schmaler Mund verriet kleinliche Mißgunst.
«Ich habe Ihre Berichte gelesen, Bolitho. «Seine Augen huschten über das Gesicht des Jüngeren und kehrten dann zum Tisch zurück.»Über Ihr Treffen mit der Andiron bin ich mir immer noch nicht ganz im klaren.»
Bolitho hätte sich auf dem harten Stuhl gern bequem zurechtgesetzt und entspannt, aber etwas in dem verdrossenen Ton warnte ihn.
Am Fallreep war er mit dem üblichen Zeremoniell empfangen worden, und der Kapitän der Cassius, der so unruhig und bekümmert aussah, wie er es mit Sir Robert an Bord wohl sein mußte, hatte ihn höflich begrüßt. Man hatte ihn dann in eine Kajüte geführt und gebeten zu warten, ein erstes Zeichen, daß nicht alles zum besten stand. Man forderte ihm hastig Logbuch und Berichte ab und überließ ihn in der stickigen Kajüte gut eine Stunde lang seinen nagenden Gedanken.
Er sagte vorsichtig:»Wir haben gute Fahrt gemacht, trotz der Begegnung, Sir. Alle Reparaturen wurden ohne Verlust an Segelzeit ausgeführt.»
«Halten Sie das für ein Verdienst?«Der Admiral musterte den Kapitän kalt.
«Nein, Sir«, entgegnete Bolitho.»Aber ich dachte, daß Fregatten hier noch immer dringend benötigt werden.»
Die welke Hand des Admirals raschelte mit den Papieren.»So ist es. Aber die Andiron, Bolitho? Wie konnte sie entkommen?»
«Entkommen, Sir?«Bolitho starrte den Admiral fassungslos an.»Sie hat uns beinahe überwältigt, wie mein Bericht ausweist.»
«Das habe ich gelesen, verdammt. «Die Augen glühten gefährlich.»Wollen Sie mir weismachen, daß sie Fersengeld gab?»
Durch ein Fenster sah er zur Phalarope hinüber, die wie ein geschnitztes Modell vor Anker schwoite.»An Ihrem Schiff ist kaum ein Zeichen von Kampf oder Beschädigung zu erkennen, Bolitho.»
«Wir waren mit Ersatzspieren und Leinwand gut versorgt, Sir. Die Werft, die das Schiff ausrüstete, hatte solche Eventualitäten vorausgesehen. «Der Ton des Admirals reizte ihn, und er ignorierte die warnenden Zeichen in den Augen des Älteren.
«Verstehe. Kapitän Masterman verlor die Andiron vor vier Monaten bei einem Gefecht mit zwei französischen Fregatten. Die Franzosen überließen das eroberte Schiff ihren neuen Verbündeten, den Amerikanern. «Nun klang offene Geringschätzung mit.»Und Sie behaupten, daß die Andiron, obwohl die Phalarope schwer beschädigt war und leichter bestückt ist, sich davonmachte, ohne ihren Vorteil zu nutzen?«Jetzt lag Ärger in der Stimme.»Habe ich Sie richtig verstanden?
«Völlig richtig, Sir. «Bolitho bemühte sich, so ruhig wie möglich zu antworten.»Meine Leute haben sich wacker gehalten. Ich denke, der Feind hatte genug. Wäre ich in der Lage gewesen, ihn zu verfolgen, hätte ich es getan.»
«Das sagen Sie, Bolitho!«Der Admiral legte den Kopf schief wie ein kleiner, tückischer Vogel.»Ich weiß, was mit Ihrem Schiff los war. Ich habe Admiral Longfords Brief gelesen, alles, was er über die Vorfälle an Bord der Phalarope schreibt, als sie in der Kanalflotte Dienst tat. Ich bin nicht sonderlich beeindruckt, um es gelinde auszudrücken.»
Bolitho wurde rot. Was der Admiral sagen wollte, lag klar auf der Hand. In seinen Augen war die Phalarope ein gezeichnetes Schiff, ganz gleich, was sie erreichte.
«Ich habe mich nicht aus dem Staub gemacht, Sir«, sagte Bolitho kalt.»Es ereignete sich alles so, wie ich es berichtet habe. Meines Erachtens wollte das Kaperschiff weitere Schäden vermeiden. «Zwei Bilder standen ihm plötzlich wieder vor Augen: die krachende Breitseite und die Kettengeschosse, welche die Takelage der Andiron wie Spinnweben wegfegten; und dann die Toten, die dem Meer übergeben wurden.»Meine Männer hielten sich so gut, wie ich hoffen konnte, Sir. Sie hatten wenig Zeit, sich vorzubereiten.»
«Bitte nicht diesen Ton mir gegenüber, Bolitho!«Der Admiral funkelte Bolitho an. »Ich werde entscheiden, welchen Leistungsstand Ihre Männer erreicht haben.»
«Ja, Sir. «Bolitho fühlte sich ausgelaugt. Mit diesem Mann zu argumentieren, war zwecklos.
«Vielleicht erinnern Sie sich künftig daran. «Er sah auf die Papiere und sagte:»Sir George Rodney ist in die Heimat gesegelt, um seine Flotte zu reorganisieren. Wir erwarten ihn jeden Augenblick aus England zurück. Und Sir Samuel Hood verteidigt St. Kitts gegen die Franzosen.»
«St. Kitts, Sir?«St. Kitts lag kaum hundert Meilen weiter westlich, doch der Admiral sprach von der Insel, als läge sie auf der anderen Seite der Welt.
«Ja. Die Franzosen haben Truppen gelandet und versuchen, unsere Garnison ins Meer zu treiben. Admiral Hoods Geschwader konnte jedoch die Reede zurückerobern und hält jetzt die wesentlichen Stützpunkte, die Hauptstadt Basseterre inbegriffen. «Er betrachtete Bolithos nachdenkliches Gesicht.»Doch das soll nicht Ihre Sorge sein. Bis der Oberkommandierende zurückkehrt oder Admiral Hood es für richtig hält, mich abzulösen, führe ich hier das Kommando. Sie erhalten Ihre Befehle von mir.»
Bolitho vernahm nur halb, was die gereizte Stimme sagte. Ihm stand die winzige Insel St. Kitts vor Augen, und er wußte genau, was ihr sicherer Besitz für die unablässig bedrängten Briten bedeutete. Die Franzosen waren in diesen Gewässern stark. Sie hatten zu den britischen Niederlagen am Chesapeake erheblich beigetragen. Vom amerikanischen Kontinent vertrieben, hingen die britischen Geschwader in immer stärkerem Maß von der Inselkette ab. Die Antillen bildeten nun die Basis für Nachschub und Ausbesserungen. Fielen auch sie, gab es kein Mittel, die Franzosen oder Ihre Verbündeten daran zu hindern, noch die letzten britischen Besitzungen im karibischen Raum zu schlucken.
Die französische Flotte in Westindien war gut ausgebildet und kampferfahren. Ihr Admiral, Graf de Grasse, hatte die überforderten britischen Schiffe mehr als einmal überlistet und niedergekämpft. Er hatte einen Keil zwischen Admiral Graves und das eingeschlossene Cornwallis getrieben, den Rebellengeneral Washington unterstützt und die amerikanischen Kaperschiffe zu einer brauchbaren und tödlichen Macht organisiert.
Jetzt testete de Grasse mit der gleichen kundigen Strategie, die ihn zum wertvollsten Befehlshaber seines Landes gemacht hatte, die Stärke der einzelnen britischen Stützpunkte. Dabei benutzte er Martinique als Basis. Wenn er wollte, konnte er von dort aus jede beliebige Insel angreifen oder — bei dem Gedanken überlief Bolitho ein Schauder — nach Westen segeln und sich auf Jamaika stürzen. Eroberte er Jamaika, blieb den Briten kein Stützpunkt mehr in diesen Gewässern. Sie mußten auf den Atlantik hinaus, und dort würde sie nichts vor der völligen Vernichtung schützen.
«Ich gebe Ihnen Order, nach Westen hin Patrouille zu fahren, Bolitho«, sagte der Admiral, ohne zu stocken.»Ich werde die Befehle sofort ausfertigen. Der Feind wird sicher versuchen, noch andere Truppen vom amerikanischen Festland aus auf die Antillen zu transportieren, ja womöglich sogar noch weiter nach Süden auf die kleinen Antillen. Sie werden mit meinem übrigen Geschwader Kontakt halten, doch mit Admiral Hood auf St. Kitts nur, wenn absolut notwendig. »
Bolitho hatte das Gefühl, die Kajütendecke stürze über ihm zusammen. Der Admiral dachte nicht im Traum daran, der Phalarope Vertrauen zu schenken und sie im Geschwader segeln zu lassen. Wieder schien die beargwöhnte Fregatte zur Einsamkeit verdammt.
«Die Franzosen dürften durch Freibeuter verstärkt werden, Sir«, sagte Bolitho.»Ich hätte gedacht, mein Schiff könnte näher unter Land nützlicher sein.»
Der Admiral lächelte.»Natürlich, Bolitho, das vergaß ich beinahe. Sie sind hier ja kein Fremder. Ich glaube, irgendwo habe ich etwas über Ihre kleinen Heldentaten gelesen. «Das Lächeln erlosch.»Ich will nichts mehr von Freibeutern hören, es macht mich krank. Freibeuter sind nichts als Aasfresser und Piraten! Kein Kaperschiff kann sich mit einem meiner Schiffe messen. Auch daran erinnern Sie sich bitte, Bolitho. Die Eroberung der Andiron war eine Schmach, der man hätte vorbeugen sollen. Wenn Sie der Andiron nochmals begegnen, fordern Sie bitte Verstärkung an, damit es nicht wieder zu einem so erbärmlichen Fehlschlag kommt und sie endlich zurückerobert oder versenkt wird!»