DOKTOR: Hm… Ich fürchte, ich habe einen Irrtum zugelassen.
Die Frauen sehen den Doktor fragend an, der fühlt sich in die Enge getrieben und bekennt. Ich habe ihm welches geliehen.
JOHANNA: Wie viel?
DOKTOR: Tausend Euro.
JOHANNA: Sie sind verrückt geworden!
DOKTOR: (Schuldbewusst.) Ja, seit heute Morgen.
MARINA: (Ein Mobiltelefon klingelt. Marina nimmt es aus der Handtasche.) Hallo!.. Ja, mein Lieber. Wo bist du? (Hört lange zu. Alle folgen ihr gespannt. Ihr Gesicht drückt abwechselnd Angst, Hoffnung, Enttäuschung und Freude aus. Diese Veränderungen spiegeln sich sofort in den Gesichtern der anderen wider. Marina beendet das Gespräch.)
JOHANNA: Und, was?
MARINA: Natürlich ist er sofort, nachdem er das Geld erhalten hat, ins Casino gerannt.
JOHANNA: (Enttäuscht.) Hab ich´s doch gewusst
MARINA: Und hat fast alles verspielt.
JOHANNA: Wie immer.
MARINA: (Feierlich.) Aber dann hat er zwei Millionen Euro gewonnen! Er hat schon ein Taxi gerufen und fährt hierher mit dem Geld.
Allgemeiner Jubel.
JOHANNA: (Umarmt Marina.) Was für ein Glück! (An den Vizepräsidenten.) Gleich jetzt geben wir Ihnen das Geld zurück. Um nicht in Versuchung zu geraten.
VIZEPRÄSIDENT: Glauben Sie mir, ich bin darüber mehr froh, als irgendjemand anderer. Der Skandal in der Bank, Marina auf der Anklagebank, die Schlagzeilen in den Zeitungen… Das hätte mich um den Verstand gebracht.
DOKTOR: Ende gut, alles gut. Lassen Sie uns aus diesem Anlass Champagner trinken! (Öffnet eine Flasche und gießt jedem ein.) Auf was trinken wir?
JOHANNA: Auf den glücklichen Zufall.
MARINA: Auf das Glück!
Anton tritt ein, mit einem Köfferchen in der Hand. Ihn trifft ein Schwall von Grüßen und Glückwünschen.
DOKTOR: Ich begrüße Sie, mein Lieber. Wirklich, Sie haben mich den ganzen Tag an der Nase herum geführt, und dafür sollte man Ihnen den Kopf abreißen, aber, wie man so sagt, die Sieger verurteilt man nicht. Ihrer Schwester zuliebe verzeihe ich Ihnen.
JOHANNA: (Umarmt den Ehemann.) Wenn du wüsstest, wie wir uns aufgeregt haben!
MARINA: Endlich machen wir ein für alle Mal Schluss mit diesem Wahnsinn. Gib ihm (Nickt in Richtung des Bankiers.) dieses verhasste Geld.
ANTON: (Verwirrt.) Welches Geld?
MARINA: Die Millionen, die du gewonnen hast.
ANTON: Welche Millionen?
MARINA: Die du mitgebracht hast. Wo sind sie? In dem Köfferchen? (Anton schweigt schuldbewusst. Marina, die plötzlich die Situation erkennt, öffnet mit einem Ruck den Koffer. Er ist leer.) Was bedeutet das? Hast du uns betrogen? Hast du nichts gewonnen?
ANTON: Doch, ich habe gewonnen! Ich habe zwei Millionen gewonnen. Stell dir vor, zwei Millionen!
MARINA: (Mit einem Seufzer der Erleichterung.) Nun, dann gib sie der Bank zurück. Wo sind sie?
ANTON: Verstehst du, ich habe sie in den Koffer gelegt, das Taxi gerufen und dich angerufen. Und dann dachte ich: Wenn ich heute schon so ein Glück habe, dann setze ich nochmal auf das Pferd. Um nicht nur die Schulden zu tilgen, sondern auch euch abzusichern.
JOHANNA: Und alles verspielt?
ANTON: Nein, nicht alles.
JOHANNA: (Atmet erleichtert auf.) Gott sei Dank.
ANTON: Nicht alles, sondern zweimal so viel. Versteht ihr, nachdem ich alles verspielt hatte, habe ich mich entschlossen, alles auf vabanque zu setzen. Nun, und… (Verstummt.)
VIZEPRÄSIDENT: Wie groß ist denn jetzt die Schuldensumme?
ANTON: (Verwirrt.) Vier Millionen.
Alle sind schockiert. Marina fällt kraftlos in den Sessel. Der Doktor trinkt das nächste Glas Cognac. Der Vizepräsident fasst sich an den Kopf..
JOHANNA: Wenn du nur nicht zurückgekommen wärst.
ANTON: Aber ich weiß einen Ausweg!
JOHANNA: (Müde.) Welchen?
ANTON: Gebt mir wenigstens noch tausend, und ich gewinne alles zurück! Ich schwöre es euch!
Alle schweigen. Als Erster erholt sich der Doktor vom Schock.
DOKTOR: Sagen Sie, Anton, schämen Sie sich nicht, so ein Leben zu führen?
ANTON: Und welches Leben wollten Sie, das ich führe? Ein langweiliges, graues Dasein eines kleinen Angestellten? Ein Leben, wo heute, wie gestern ist und morgen wie heute? Jeden Groschen zu zählen und jeden Cent zu sparen? Sich zu langweilen und das Wochenende zu erwarten, den Urlaub, die Rente? Ist es nicht besser zu riskieren, alles was du hast auf ein Pferd zu setzen, vabanque zu spielen?
DOKTOR: Und wenn du verspielst? Gehst du ins Gefängnis?
ANTON: Und wenn schon? Womit ist das Gefängnis schlechter, als dieses graue, tägliche erniedrigende Leben, ein Leben ohne Risiko, ohne Funken, ohne Schärfe, ohne Pfeffer?
DOKTOR: (Der Doktor nimmt langsam den Geldbeutel und zieht Geldscheine heraus. Anton streckt ihm erfreut die Hand entgegen, aber der Doktor weicht mit ihr zur Seite aus und wendet sich an Marina.) Geben?
MARINA: (Müde.) Wie Sie wollen. Zwei Millionen Schulden, vier, acht, sechzehn – was macht den Unterschied? Trotzdem absitzen.
DOKTOR: Aber es gibt doch trotzdem keinen anderen Ausweg. Und vielleicht klappt´s? (Er gibt Anton das Geld. Dieser ergreift es erfreut und macht sich auf den Weg zum Casino.)
ANTON: Ich komm´ bald zurück, und alles wird gut! Ihr werdet sehen! Ich gewinne! Ich gewinne auf jeden Fall!
ENDE
Leichte Bekanntschaft
Легкое знакомство
Theaterstück in zwei Akten
Aus dem Russischen von Albrecht D. Holzapfel
Inhaltsangabe
Ein Mann und eine Frau treffen spät abends im Restaurant eines Hotels aufeinander und lernen sich kennen, wobei die Initiative in diesem Bekanntwerden die Frau ergreift. Sehr schwer zu verstehen, wer diese seltsame Unbekannte ist: Eine Nachtschwärmerin oder eine elegante Glücksritterin. Der Mann kann nicht bestimmen, ob sie ihm gefällt, ob sie mit ihm spielt, oder einfach verdienen will. Das mündliche Duell dieser Figuren spiegelt ihre gegenseitige Anziehung und Abstoßung wider, ihre Einsamkeit und den Versuch, sie zu überwinden, ihre Sehnsucht nach Liebe und die Angst davor.
Zwei über dem Abgrund
Aus dem Vorwort des Regisseurs Leonìd Cheìfez zur Veröffentlichung des Stücks in der Zeitschrift „Zeitgenössische Dramaturgie“.
Ich habe das Lesen diese Stücks lange vor mir hergeschoben. Ich wollte es „mit nüchternem Kopf“ lesen. Es klappte nicht. Dann entschied ich mich für die einfachste Variante: Ich lese den Anfang und dann stückweise und nach Möglichkeit. Ich begann zu lesen. Der Funke sprang über. Ich musste eine Pause machen. Aber ich wollte noch ein Stückchen lesen… Und dann las ich alles „in einem Atemzug“ durch.
Für mich ist das ein Wunder. Vielmehr ein seltener Fall. Ich habe schon lange kein Stück mehr auf einmal bewältigt. Ich war wie berauscht. Ich unterrichte im Institut, probe im Theater… Und dann hat Valentin Krasnogorov so ein Stück geschrieben. Man kann sagen, eine meisterliche Arbeit. Blendend aus handwerklicher Sicht. Auch zu heutigen Zeiten eine seltene Sache. Wort für Wort „ins Schwarze“. Wo gibt es jetzt noch so eine Dramaturgie? Halloooo!?
Ich wiederhole und bestehe darauf: Das Stück ist blendend gemacht… Hinter der meisterhaften Ausführung der Dialoge schlägt der Puls heißen Bluts.
Handelnde Personen:
Er
Sie
Immer wieder, ob wir der Liebe Landschaft auch kennen
und den kleinen Kirchhof mit seinen klagenden Namen
und die furchtbar verschweigende Schlucht, in welcher die anderen