enden: immer wieder gehn wir zu zweien hinaus
unter die alten Bäume, lagern uns immer wieder
zwischen die Blumen, gegenüber dem Himmel.
Aus: R.M.Rilke, Die Gedichte 1910 – 1922 (Ende 1914)
Erster Akt
Saal eines Hotelrestaurants. Spät abends, das Restaurant ist fast leer. An einem der Tischchen, isst ein Mann mittleren Alters, sich nicht beeilend, zu Abend und liest, scheinbar zerstreut, handschriftliche Aufzeichnungen.
Einige Tische weiter entfernt sitzt eine gut gekleidete, anziehende Frau im besten Alter. Sie trinkt gemächlich Kaffee. Mann und Frau achten scheinbar nicht aufeinander. Obwohl sie ihm unbemerkt einige Blicke zuwirft. Der Mann klopft mit dem Messer an sein Glas, nachdem er den Saal mit Blicken nach dem Kellner abgesucht hat.
Die Frau, offenbar einen Entschluss gefasst, steht auf und tritt an seinen Tisch.
SIE: Entschuldigen Sie, ist hier frei?
Der Mann hebt den Kopf, sieht sich im leeren Saal um und schaut erstaunt auf die Frau.
SIE: Ich frage, ist hier frei?
ER: Ja, frei.
SIE: Kann ich mich auf diesen Stuhl setzen?
Er räumt unwillig die auf dem Stuhl liegende Aktentasche weg.
ER: Ja, bitte.
Sie setzt sich. Er nimmt aus der Tasche ein Papier und vertieft sich demonstrativ darin, einige Korrekturen machend. Sie hängt ihr Täschchen an die Lehne des Stuhls, richtet ihre Frisur und setzt sich bequemer auf dem Stuhl zurecht. Man merkt, dass sie sich „auf längere Zeit einrichtet“.
SIE: Entschuldigen Sie, haben Sie Streichhölzer?
ER: (Sich vom Lesen abwendend) Was?
SIE: Ich frage: Haben Sie Streichhölzer?
ER: Ich rauche nicht.
SIE: Schonen Sie die Gesundheit?
ER: Ich rauche einfach nicht.
SIE: Recht so. Ich rauche auch nicht.
ER: Warum haben Sie dann um Streichhölzer gebeten?
SIE: Ich habe nicht darum gebeten. Ich wollte einfach wissen, ob Sie welche haben oder nicht.
ER: Angenommen, nicht. Was dann?
SIE: Nichts.
ER: Und wenn ich welche habe?
SIE: Auch nichts.
ER: Der Versuch, ein Gespräch anzufangen?
SIE: Vielleicht.
ER: Gehen Sie davon aus, dass er nicht geklappt hat.
SIE: Überhaupt, geht man davon aus, – und ich weiß nicht warum, dass ein Gespräch anzufangen, dem Herren zusteht.
ER: Wenn er das will.
SIE: Und Sie wollen nicht?
ER: Und ich will nicht.
SIE: Nun denn, dann werden wir eben gemeinsam schweigen.
Er bemüht sich erneut, das Dokument zu lesen. Sie schaut ihn schweigend an.
ER: (Wendet sich gereizt vom Lesen ab.) Warum starren Sie mich an? Was wollen Sie?
SIE: Nichts. Vielleicht Sie ein bisschen reizen.
ER: Weshalb?
SIE: Ich weiß nicht. Wahrscheinlich aus Langeweile.
ER: Gehen Sie, vergnügen Sie sich woanders.
SIE: Ist Ihnen denn nicht langweilig? Sie sind zugereist hier, in einer fremden Stadt können Sie nichts unternehmen…
ER: Warum gehen Sie davon aus, dass ich zugereist bin?
SIE: Wer kann denn noch spät abends in einem Hotelrestaurant mit der Aktentasche sitzen und irgendein tristes Schriftstück lesen?
ER: Und Sie schlagen mir vor, mich zu vergnügen?
Sie antwortet nicht. Er schaut sie zum ersten Mal aufmerksam an und schätzt sie von Kopf bis Fuß ab.
SIE: (Seinem Blick folgend richtet sie sich auf, rückt die Schultern zurecht und fragt leicht ironisch, dabei posierend.) Nun, gefällt´s?
ER: (Ungern zugebend.) Nicht schlecht.
SIE: Danke. Also, vielleicht machen wir uns endlich bekannt?
ER: Danke für den Vorschlag, aber ich bin kein Liebhaber von leichten Bekanntschaften.
SIE: Aber warum gehen Sie davon aus, dass die Bekanntschaft mit mir leicht wird? Ich verspreche, dass sie schwierig wird.
ER: Sie wird… überhaupt nichts.
SIE: Aber sie hat doch schon stattgefunden.
ER: Nichts dergleichen. Ich kenne Sie nicht und will Sie nicht kennen.
SIE: Warum denn so schroff?
ER: Um gleich den Punkt auf das I zu setzen. Geh und fang dir einen anderen Mann! (Steckt entschlossen das Papier in die Aktentasche.)
SIE: Und wenn ich ausgerechnet Sie fangen will?
ER: Vergeude keine Zeit, das klappt nicht. Zufällige Verbindungen sind nicht mein Stil. Außerdem liebe ich meine Frau.
SIE: (Mit gespielter Verwunderung.) Was Sie nicht sagen? Ein Mann wohnt im Hotel und gesteht einer Frau, dass er verheiratet ist! Und seine Frau auch noch liebt! Ein seltenes Beispiel von Aufrichtigkeit und Ordnungssinn.
ER: So oder so, ich bin verheiratet und damit Schluss.
SIE: Aber wen stört das? Habe ich denn mit einem Wort bemerkt, dass Sie mich heiraten sollten?
ER: Bisher nicht, aber deiner Eile nach, spielst du vielleicht bald darauf an. (Sieht sich im Saal um.) Wohin ist dieser verdammte Kellner verschwunden?
SIE: (Sich noch gemütlicher setzend.) Ich spüre, dass Sie nicht von Ihrer Standhaftigkeit überzeugt sind und mich deshalb vertreiben.
ER: Hören Sie zu, das beginnt mir lästig zu werden. Hier gibt es ausreichend freie Tische. Warum, haben Sie sich ausgerechnet zu mir gesetzt?
SIE: Weil ich das wollte.
ER: Ich sehe, so einfach lassen Sie nicht von mir ab, deshalb, lass uns eines klar stellen: Ich bin dagegen und habe mit Straßenmädchen nichts am Hut. Du hast keinerlei Chance.
SIE: Und Sie, versteht sich, bevorzugen ordentliche.
ER: Versteht sich.
SIE: Aber was ist denn nach Ihrer Meinung ein Straßenmädchen?
ER: Eine, die Liebe für Geld verkauft.
SIE: Das heißt, Sie bevorzugen ordentliche aus Sparsamkeit?
ER: Ärger´ mich nicht!
SIE: Das werd´ ich nicht. Das heißt, für Sie bin ich eine von der Straße?
ER: Was denn sonst?
SIE: Mache ich mich denn auf der Straße an Sie heran?
ER: Auf der Straße, im Restaurant – welcher Unterschied? Hauptsache, für Geld.
SIE: Habe ich Sie um Geld gebeten?
ER: (Unwillig.) Bisher nicht.
SIE: Sagen Sie, und wenn eine Frau ihren Mann kostenlos betrügt, ist sie dann ordentlich?
ER: (Weiß nicht, was er sagen soll.) Mach mich nicht an!
SIE: Und wenn ich mit Ihnen eine Nacht ohne Geld verbringe, werde ich ordentlich sein?
ER: Ich hab´ doch gesagt, mach mich nicht an!
SIE: Mit einem Wort, Sie lehnen mich ab.
ER: Ja.
SIE: Warum?
ER: Ich fürchte, dass ich nach dieser feurigen Nacht zum Arzt muss, und dann wird sie wirklich unvergesslich.
SIE: Fürchten Sie sich tatsächlich davor, oder wollten Sie mich beleidigen?
ER: Ich fürchte mich tatsächlich davor.
SIE: Aber ich dachte doch, dass Sie vor der Verführung die Ordentlichkeit bewahrt.
ER: Und Ordentlichkeit auch.
SIE: Sehr löblich. Wie hat Horazius noch geschrieben, „Fliehe vor aller Lust, der Preis der Lust ist Leiden“.
ER: (Kann seine Verwunderung nicht verbergen.) Zum ersten Mal treffe ich eine Frau, vom Leichten Gewerbe, die Horazius zitiert.
SIE: Treffen sie sich denn oft mit solchen Damen?
ER: Das geht nur mich an.
SIE: Haben Sie denn viele Ingenieure getroffen, die Horazius zitierten? Oder Ärzte?
ER: Ehrlich gesagt, nicht viele. Überhaupt keine. Woher haben Sie diesen Horizont?
SIE: Das hab´ ich bei den Kunden aufgefangen. Unter denen gibt es durchaus auch intelligente. (Betont.) Manchmal auch mit akademischen Grad.
ER: (Wirft ihr einen prüfenden Blick zu.) Wissen Sie irgendetwas über mich?
SIE: Kann sein.
ER: Ich sehe, bei Ihnen muss man auf der Hut sein. Und um Worte sind Sie auch nicht verlegen.
SIE: Verlegenheit ist meine Sache nicht.
ER: (Sieht sie wieder aufmerksam an.) Ich kann Sie einfach nicht durchschauen.
SIE: Ich denke, das lohnt sich nicht. Sie würden es bedauern.