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JOHANNA: Warum verwundert Sie das so?

DOKTOR: Ich würde mich nicht wundern, wenn… Wenn nicht die andere Frau gewesen wäre…

JOHANNA: (Hart.) Was die andere Frau betrifft, ist das ausschließlich das Ergebnis des Alkohols oder die Frucht Ihrer gestörten Wahrnehmung. Als Jurist weiß ich, dass Psychiater infolge dauernder Kontakte mit Verrückten nur schwer ihr seelisches Gleichgewicht bewahren. Vergessen Sie also diesen Wahn. Es war keine Frau da.

DOKTOR: Es war!

JOHANNA: (Unerbittlich.) Es war keine und kann keine gewesen sein. Sie kontrollieren sich nicht. Sie haben Probleme mit dem Gedächtnis. Sie haben sogar vergessen, dass Sie meinen Mann schon zwei Jahre behandeln. Sie haben seine Krankengeschichte verloren. Vielleicht haben Sie sie aus Unvorsichtigkeit oder Vorsatz vom PC gelöscht. Uns bleibt nichts anderes übrig, als sie wieder herzustellen. Dem Gesetz nach waren Sie verpflichtet, die Kranken-geschichte zu führen. Es wird Ihnen sehr schwerfallen, dem Gericht zu erklären, warum Sie das nicht getan haben.

DOKTOR: (Nervös.) Welches Gericht?

JOHANNA: Das Gericht, an das ich mich wende. Ich beabsichtige, meinen Mann in einer Pflegeeinrichtung unterzubringen, und Sie wissen ausgezeichnet, dass dazu eine lange und überzeugende Krankengschichte nötig ist.

DOKTOR: Sie wollen den Mann in ein Irrenhaus stecken?

JOHANNA: Achten Sie auf Ihre Ausdrucksweise. Wenn ich jemanden in ein Irrenhaus stecken will, dann sind Sie das. Und, glauben Sie mir, das gelingt mir. Schauen Sie sich im Spiegel an, betrachten Sie Ihren wahnsinnigen Anblick, und Sie stimmen mir zu.

DOKTOR: Geben Sie zu, dass Sie es satt haben, sich um den Mann zu kümmern, und Sie beschlossen haben, ihn loszuwerden.

JOHANNA: Erstens ist das meine Privatangelegenheit. Und zweitens, wenn es so wäre, was dann? Er hat vielleicht das Recht, seine wichtigste Verpflichtung zu vergessen, aber ich bin nicht verpflichtet, mein wichtigstes Recht zu vergessen. (Verächtlich.) Verstehen Sie das wenigstens, Doktor?

DOKTOR: „Verpflichtung“, „Recht“… Gleich zu sehen, dass Sie Jurist sind.

JOHANNA: Und das, dass ich Frau bin, ist nicht gleich zu sehen?

DOKTOR: Nicht gleich. Sie gleichen mehr der „Freiheitsstatue“.

JOHANNA: Von einem Arzt habe ich mehr Verständnis erwartet.

DOKTOR: Was wollen Sie von mir?

JOHANNA: Bescheinigung und Krankengeschichte.

DOKTOR: Nun, gut, kommen Sie morgen, ich bereite alles vor.

JOHANNA: Bis morgen denken Sie wieder irgendeine Ausrede aus. Ich brauche es heute. Jetzt.

DOKTOR: Jetzt beginnt bei mir die Sprechstunde im Krankenhaus. Ich muss gehen.

JOHANNA: Für lange?

DOKTOR: Etwa zwanzig Minuten.

JOHANNA: Ich werde warten.

DOKTOR: Heute schaffe ich es sowieso nicht. Eine Krankengeschichte wird nicht so schnell gefertigt, wie Sie glauben. Ich bitte Sie, kommen Sie morgen.

JOHANNA: Nein, ich gehe hier nicht weg, bevor ich die Bescheinigung nicht bekomme. (Setzt sich demonstrativ, nimmt ein medizinisches Journal und vertieft sich in dessen Lektüre, damit zeigend, dass sie vorhat, lange zu bleiben, und es nicht gelingen wird, sie loszuwerden.)

DOKTOR: (Hoffnungslos.) Aber ich muss wirklich in die Klinik hinunter.

JOHANNA: Gehen Sie, ich halte Sie nicht auf.

DOKTOR: Und Sie?

JOHANNA: Ich gehe und gebe Anton ein Butterbrot, dann bringe ich ihn hierher, und wir werden zusammen hier sitzen, bis wir unsere Krankengeschichte bekommen.

DOKTOR: Nun, denn… Wie es Ihnen beliebt.

Der Doktor gießt sich Cognac ein, dann, überlegt er es sich und nimmt das Fläschchen mit den Tropfen, dann wendet er sich wieder dem Cognac zu, und findet einen Kompromiss: Er gießt einige Tropfen in den Cognac, trinkt aus und geht, sich abwechselnd an Kopf und Herz fassend. Johanna begleitet ihn mit zufriedenem Blick, dann geht auch sie hinaus. Nach einiger Zeit kommen Marina und fast gleichzeitig der Mann herein.

MANN: Endlich habe ich Sie gefunden.

MARINA: Aufgespürt.

MANN: Ja, aufgespürt. Warum haben Sie vor mir verheimlicht, dass Sie verheiratet sind?

MARINA: Ich habe nichts verheimlicht.

MANN: Aber auch nie etwas davon erwähnt.

MARINA: Meinen Sie, eine Frau sollte ununterbrochen in Zeitungen, im Radio und Fernsehen verkünden, dass sie verheiratet ist? Oder umgekehrt, dass sie nicht verheiratet ist?

MANN: Nicht verkünden, aber auch nicht verheimlichen.

MARINA: Ich verheimliche nichts.

MANN: Wirklich? (Und da Marina nicht antwortet, fährt er fort.) Sie sind eine gefährliche Frau.

MARINA: Danke für das Kompliment.

MANN: Warum sagen Sie mir nicht die ganze Wahrheit?

MARINA: Sind Sie hierhergekommen, um private Verhältnisse zu klären?

MANN: Nein. Unser Thema wird viel ernster…

Johanna und Anton treten ein.

MARINA: Nun, weiter, warum hören Sie denn auf?

MANN: Das ist kein Gespräch für Außenstehende.

MARINA: Gut, setzen wir es in ein paar Minuten fort.

MANN: Ein paar Minuten – einverstanden, aber nicht mehr. (Geht hinaus.)

JOHANNA: Wer war das?

MARINA: Unwichtig. Wo ist der Doktor?

JOHANNA: Er ist in die Klinik gegangen.

MARINA: Und, wie ist er?

JOHANNA: (Zufrieden.) Genau so, wie er sein soll.

MARINA: Ganz?

JOHANNA: Es scheint so.

MARINA: Ist er in die Klinik gegangen, um zu behandeln, oder sich behandeln zu lassen?

JOHANNA: Um zu behandeln.

MARINA: Ich an seiner Stelle, würde mich behandeln lassen.

JOHANNA: Ich sehe, er tut dir Leid.

MARINA: Und dir nicht?

JOHANNA: Mir tun wir alle Leid.

MARINA: Er ist ein sehr guter Mensch.

JOHANNA: Wir sind auch keine schlechten Leute.

MARINA: Bist du sicher?

JOHANNA: Du brauchst mich nicht mit Fragen zu löchern. Ich schlaf´ auch so nächtelang nicht.

MARINA: (Anteilnehmend.) Du siehst nicht besonders aus.

JOHANNA: Du auch.

MARINA: Glaubst du, mir fällt es leicht?

JOHANNA: Und du glaubst, mir ist lustig dabei zumute?

ANTON: Um die Wahrheit zu sagen, auch für mich ist es kein Zuckerlecken.

JOHANNA: (Beißend.) Für ihn ist es „kein Zuckerlecken“! Und wegen wem, glaubst du, befinden wir beide uns hier?

ANTON: (Schuldbewusst.) Wegen mir.

JOHANNA: Gut, dass wenigstens du das begreifst. (Pause.)

ANTON: Eigentlich werde ich hier nicht mehr gebraucht. Kann ich gehen?

MARINA: Keinesfalls! Dich darf man nirgendwo allein hinlassen.

JOHANNA: Du weißt, dass wir dir das verbieten.

ANTON: Ich bin kein Kind.

MARINA: Hör auf! Wir haben auch so die ganze Zeit Angst, dass du wieder irgendetwas anstellst.

ANTON: Ich habe mich doch zu eurem Wohl bemüht.

JOHANNA: Danke, du hast uns schon viel Wohl bereitet.

ANTON: Ich will von hier weg.

JOHANNA: Wir wollen alle weggehen.

ANTON: Ich bin müde.

MARINA: Wir sind alle müde.

ANTON: Das ist alles ermüdend und unangenehm. Ich geh´.

JOHANNA: (Hält ihn fest.) Sitz!

MARINA: Hör auf, nervös zu sein, Lieber. Soll ich dir einen Kaffee machen?

JOHANNA: Lass das, du hast ihn auch so verwöhnt.

MARINA: Was soll ich tun? Ich liebe ihn.

JOHANNA: Ich liebe ihn auch. Aber man darf mit ihm doch nicht die ganze Zeit zu nachsichtig sein. Und woher nimmst du hier Kaffee?

MARINA: Aus der Thermoskanne des Doktors.

ANTON: Lasst uns lieber Cognac trinken. Er hat viel davon. (Öffnet die Bar.)

MARINA: Nein, Lieber, das dürfen wir nicht. Wir müssen in Form sein.

ANTON: Ihr liebt mich so, und ich verursache euch nur Unannehmlichkeiten. Glaubt ihr, dass mich das Gewissen nicht quält?

JOHANNA: Anstelle von Gesprächen über das Gewissen, solltest du dich lieber bemühen, gesund zu werden.

ANTON: Ich bemühe mich. Aber diese Anwandlung ist stärker, als ich.

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