DOKTOR: Sie wieder?
MANN: Wie Sie sehen.
DOKTOR: Was wollen Sie denn eigentlich?
MANN: Ich führe eine kleine private Nachforschung durch.
DOKTOR: Ich habe gleich begriffen, dass Sie ein Schnüffler sind.
MANN: Ich bin kein Schnüffler. Ich bin Finanzist.
DOKTOR: Falls Sie Steuerinspektor sind, zeigen Sie einen Ausweis vor.
MANN: (Hart.) Wo ist Marina?
DOKTOR: Haben Sie etwa sie verfolgt?
MANN: Kann sein.
DOKTOR: Leider kann ich mit nichts helfen. Sie ist, wie Sie sehen, nicht hier.
MANN: Ich habe doch gesehen, wie sie vor zwanzig Minuten hier herein kam.
DOKTOR: Aber Sie haben nicht gesehen, wie sie vor einer Minute hinaus ging.
MANN: Kommt sie zurück?
DOKTOR: Ich weiß nicht. Was wollen Sie von ihr?
MANN: Ich habe nicht das Recht, Ihnen das zu sagen.
DOKTOR: Kein Recht, dann sagen Sie auch nichts. Alles Gute.
MANN: Ich bin dringend verpflichtet, sie zu finden, verstehen Sie? Eine Frage auf Leben und Tod.
DOKTOR: Hier ist keine Detektei. Suchen Sie sie also auf der Straße. Und, bitte, halten Sie mich nicht auf. Übrigens, Besuche bei mir sind sehr kostspielig.
MANN: Ich bin bereit zu zahlen, wenn Sie helfen, sie zu finden.
DOKTOR: Ich nehme kein Bestechungsgeld.
MANN: Wirklich?
DOKTOR: Ich nehme Honorare.
MANN: Also bin ich bereit, Ihnen ein Honorar zu bezahlen.
DOKTOR: Ich nehme es nur für Behandlung und nicht für die Bereitstellung von Information. Ich wünsche Ihnen Erfolg, und stören Sie mich nicht bei der Arbeit. Zu mir kommt man nur nach vorheriger Anmeldung. (Schiebt den Mann höflich zum zweiten Ausgang.) Ich bitte Sie. Nein, durch diese Tür. Durch diese kommen nur meine Kranken herein.
MANN: Nun denn, dann schicke ich Ihnen tatsächlich einen Steuerinspektor. (Schaut den Doktor aufmerksam an.) Nun, erschreckt?
DOKTOR: Nicht sehr.
MANN: Umsonst. Ich bin sicher, dass Sie es nicht mögen, Steuern zu zahlen.
DOKTOR: Ich, nicht mögen?
MANN: Sie.
DOKTOR: Ich?!
MANN: Sie.
DOKTOR: Na und? Wer mag das?
MANN: Vielleicht veranstalten wir eine kleine Prüfung?
DOKTOR: Bitte. Meine Einkünfte weiß ich gut zu verbergen.
MANN: Und ich weiß sie gut zu finden.
DOKTOR: Hören Sie auf, mir zu drohen. Ich hab doch gesagt, dass ich keine Prüfung fürchte.
MANN: Weil Sie kein Bestechungsgeld nehmen?
DOKTOR: Nein. Weil ich es gebe. Alles Gute.
MANN: (Ändert den Ton.) Doktor, Sie wissen doch, dass ich jetzt eine äußerst private Angelegenheit habe, die weder Verbindung zur Medizin, noch zu Steuern hat. Ich brauche Marina.
DOKTOR: Auf Wiedersehen. Die Ausgangstür ist hier.
MANN: (Bleibt in der Türe stehen.) Doktor, warum kommt sie eigentlich zu Ihnen? Haben Sie etwas mit ihr?
DOKTOR: Sie betrifft das in keiner Weise.
MANN: Ist sie denn krank?
DOKTOR: Jegliche Einzelheiten bezüglich meiner Besucher, gesund oder krank, verlassen nicht die Grenzen dieses Kabinetts.
MANN: (Trocken, fast drohend.) Hervorragend. Obwohl ich spüre, dass es zwischen ihnen irgendeine Verbindung gibt, und ich halte es für meine Pflicht, Sie zu warnen: Seien Sie vorsichtig!
DOKTOR: Ich welchem Sinn?
MANN: In allen Sinnen. Sie ist verwirrt und weiß selbst nicht, was sie macht. (Wendet sich zum Gehen.) Wenn Sie sie trotzdem sehen, sagen Sie, dass ich versuche, sie zuhause anzutreffen und, falls ich sie nicht finde, wieder hierher komme.
DOKTOR: Ich glaube nicht, dass ich Sie hereinlasse.
MANN: Und ich glaube, dass ich Sie nicht fragen werde.
(Der Mann geht. Der Doktor setzt sich wieder an den PC. Marina tritt ein.)
MARINA: Gehe ich Ihnen noch nicht auf die Nerven?
DOKTOR: So schnell haben Sie ein Taxi gefunden?
MARINA: Ich hab´ keines gesucht… Ich habe beschlossen, meinen Mann in meinem Auto mitzunehmen. Es steht hier ganz in der Nähe, auf einem Parkplatz. Bewachen Sie ihn noch zwei Minuten, gut? (Schaut den Doktor aufmerksam an.) Was ist schon wieder passiert?
DOKTOR: Gerade eben hat wieder dieser… Nun… Ihr Mann nach Ihnen gefragt.
MARINA: Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich keinen Mann habe! Außer Anton versteht sich.
DOKTOR: Ich weiß nicht, ich weiß nicht… Er hat mich gewarnt, dass man mit Ihnen vorsichtig sein muss. Er hat sogar versucht, mir zu drohen.
MARINA: Hat er nicht erklärt, um was es geht?
DOKTOR: Nein, aber er hat gesagt, dass es sehr wichtig ist. Eine Frage auf Leben und Tod.
MARINA: (Sehr verwirrt.) Es scheint, ich kann mir vorstellen, von wem die Rede ist.
DOKTOR: Ist er tatsächlich Ihr Mann?
MARINA: Nicht ganz…
DOKTOR: Nicht ganz?
MARINA: Überhaupt nicht. Das ist mein Kollege… Genauer, sogar mein Vorgesetzter.
DOKTOR: Sagen Sie die Wahrheit?
MARINA: Ich schwöre.
DOKTOR: Und was will er so Wichtiges von Ihnen?
MARINA: Nichtigkeiten. Er ist einfach, wie soll ich Ihnen das sagen… leicht ungleichgültig gegenüber mir und ziemlich eifersüchtig. Er schüchtert alle meine Bekannten ein. Er will ewig mit mir etwas klären, etwas bereden… Und dabei immer dringend.
DOKTOR: Ich verstehe.
MARINA: Also, ich gehe, das Auto holen.
DOKTOR: (Hält sie fest.) Ich will Sie nicht weglassen.
MARINA: (Befreit sich sanft.) Ich komm´ schnell zurück. Wirklich in einer Minute.
DOKTOR: Und fahren wieder weg.
MARINA: (Küsst ihn auf die Wange.) Um uns abends zu treffen.
Marina geht. Der Doktor lächelt glücklich. Er geht zum Spiegel, besieht sich kritisch, bringt die Krawatte und die Frisur in Ordnung, nimmt aus dem Schrank ein anderes, helleres Jackett und zieht es an. Johanna tritt ein, noch entschiedener als vorher eingestellt. Der Doktor, darauf eingestellt, den Gast mit offenen Armen zu empfangen, ist unangenehm überrascht.
DOKTOR: Sie sind das?
JOHANNA: Wen haben Sie denn erwartet?
DOKTOR: Eine andere Frau. Die Frau Ihres Mannes. Das heißt… Ich wollte sagen – Antons Frau. Das heißt…
JOHANNA: Antons Frau – das bin ich.
DOKTOR: Jetzt habe ich große Zweifel daran.
JOHANNA: Zum ersten Mal treffe ich einen Arzt, der sich anstatt mit Behandlung mit Ermittlung befasst. Ist die Krankengeschichte fertig?
DOKTOR: Nein. Und wenn sie es wäre, würde ich sie Ihnen nicht geben. Wer sind Sie eigentlich?
JOHANNA: Ich habe geahnt, dass Sie beliebige Ausflüchte suchen werden, nur um auszuweichen, und habe für diesen Fall das ganze Spektrum an Dokumenten der Reihe nach vorbereitet. (Zeigt einen ordentlich geführten Ordner.) Hier, mein Pass. Hier meine Heiratsurkunde mit Anton. Hier die Geburtsurkunden unserer Kinder, in denen übrigens die Namen der Eltern aufgeführt sind, das heißt meiner und der meines Mannes. Hier unser Hochzeitsbild, das hier auch, aber mit Gästen, und hier unsere Fotos mit den Kindern. Hier die Stromrechnung und andere auf unseren gemeinsamen Namen. Sind Sie jetzt zufrieden?
DOKTOR: (Völlig verblüfft sieht er die Papiere durch und gibt sie Johanna zurück.) Ich… Ich… (Will zu den Tropfen greifen, stellt aber das Fläschchen zur Seite und gießt sich eine großzügige Portion Cognac ein.) Das heißt, Sie sind trotzdem seine Frau?
JOHANNA: Wer denn sonst, Ihrer Meinung nach etwa die Großmutter?
DOKTOR: Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich denken soll. (Greift wieder zum Cognac.) JOHANNA: (Im Befehlston.) Stellen Sie das Glas zurück! (Schiebt die Flasche energisch zur Seite.) Ich beginne, mir ernsthaft Sorgen um die Gesundheit meines Mannes zu machen.
DOKTOR: Warum?
JOHANNA: Weil sein Arzt Alkoholiker ist.
DOKTOR: Ich trinke überhaupt nicht.
JOHANNA: Das sehe ich.
DOKTOR: Sind Sie wirklich seine Frau?