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[Laß mich hoch, du zu groß geratener kurzfristiger Dreckskerl! Dummer alter Esel! Häßliches Faltengesicht!]

[»In letzter Zeit sehe ich ein bißchen besser aus, mein Freund. Ist dir das nicht auch aufgefallen?«]

[Arschloch! Dummes kurzfristiges Arschloch! Das wird dir noch leid tun! Das wird dir noch leid tun!]

Nun, dachte Ralph, wenigstens fleht er nicht. Ich hätte fast damit gerechnet, daß er jetzt anfängt zu flehen.

Atropos fuchtelte weiter kläglich mit dem Skalpell. Ralph wehrte zwei oder drei Stöße mühelos ab, dann legte er der Kreatur unter sich eine Hand um den Hals.

[»Ralph! Nein! Nicht!«]

Er schüttelte den Kopf in ihre Richtung, wußte aber nicht, ob er Ärger, Trost oder beides ausdrücken wollte. Er berührte Atropos’ Haut und spürte, wie der erschauerte. Der kahlköpfige Doc stieß einen erstickten Schrei des Ekels aus, und Ralph wußte genau, wie ihm zumute war. Es war für sie beide ekelerregend, aber er nahm die Hand nicht weg. Statt dessen versuchte er, sie um Atropos’ Hals zu schließen und war nicht besonders überrascht, daß er es nicht konnte. Aber hatte Lachesis nicht gesagt, daß sich nur Kurzfristige dem Willen von Atropos widersetzen konnten? Die Frage war nur, wie?

Unter ihm lachte Atropos häßlich.

[»Bitte, Ralph! Bitte nimm nur meine Ohrringe, und dann gehen wir!«]

Atropos verdrehte die Augen in ihre Richtung, dann sah er Ralph wieder an.

[Hast du gedacht, du könntest mich töten, Kurzer? Nun, das war wohl nichts.]

Nein, das hatte er nicht gedacht, aber er mußte es ganz sicher wissen.

[Das Leben ist beschissen, was, Kurzer? Warum gibst du mir nicht einfach den Ring zurück? Früher oder später werde ich ihn doch bekommen, das garantiere ich dir.]

[»Hol dich der Teufel, du kleine Ratte.«]

Große Worte, aber Worte konnten nichts ausrichten. Die drängendste Frage war immer noch unbeantwortet: Was, zum Teufel, sollte er mit diesem Monster anfangen?

Was auch immer, du wirst es nicht tun können, so lange Lois da steht und dich beobachtet, riet ihm eine kalte Stimme, die nicht ganz die von Carolyn war. Als sie wütend war, ging es gut mit ihr, aber jetzt ist sie nicht wütend. Sie ist zu zart besaitet für das, was als nächstes passieren wird, Ralph. Du mußt sie hier rausschaffen.

Er drehte sich zu Lois um. Sie hatte die Augen halb geschlossen. Es sah aus, als könnte sie sich unter dem Torbogen hinlegen und einschlafen.

[»Lois, ich möchte, daß du hier verschwindest. Sofort. Geh die Treppe hinauf und warte unter dem Baum aufm -«]

Das Skalpell schnellte wieder in die Höhe, und diesmal schnitt es fast Ralphs Nasenspitze ab. Er schrak zurück, und sein Knie rutschte auf Nylon ab. Atropos bäumte sich gewaltig auf und wäre um ein Haar unter ihm hervorgerollt. Im letzten Augenblick drückte Ralph dem kleinen Mann den Kopf mit dem Handballen hinunter - das, so schien es, ließen die Regeln zu - und rückte das Knie wieder zurecht.

[Auuul Auuul Aufhören! Du bringst mich um!]

Ralph beachtete ihn gar nicht, sondern sah Lois an.

[»Geh schon, Lois. Geh rauf! Ich komme nach, sobald ich kann!«]

[»Ich glaube nicht, daß ich alleine klettern kann. Ich bin zu müde.«]

[»Doch, du kannst. Du mußt, und du kannst.«]

Atropos fügte sich wieder - jedenfalls vorläufig -, ein kleines, keuchendes Bündel unter Ralphs Knie. Aber das reichte bei weitem noch nicht aus. Die Zeit verging im Flug, die Zeit verging viel zu schnell, und im Augenblick war die Zeit der wahre Gegner, nicht Ed Deepneau.

[»Meine Ohrringe…«]

[»Ich bringe sie mit, wenn ich komme, Lois. Ich verspreche es.«]

Lois richtete sich auf, wie es schien unter größter Anstrengung, und sah Ralph ernst an.

[»Du solltest ihm nicht wehtun, Ralph, wenn es sich vermeiden läßt. Es wäre nicht christlich.«]

Nein, ganz und gar nicht christlich, stimmte ein übermütiges kleines Wesen in Ralphs Kopf zu. Ganz und gar nicht christlich, aber trotzdem… ich kann es nicht erwarten, bis ich endlich anfangen kann.

[»Geh nur, Lois. Überlaß ihn mir.«]

Sie sah ihn traurig an.

[»Es würde nichts nützen, wenn du mir versprechen müßtest, ihm nicht wehzutun, oder?«]

Er dachte darüber nach, dann schüttelte er den Kopf.

[»Nein, aber soviel werde ich dir versprechen: Es wird nicht schlimmer werden, als er es macht. Ist das gut genug?«]

Lois dachte gründlich darüber nach, dann nickte sie.

[»Ja, ich denke, das genügt. Und vielleicht schaffe ich es doch bis nach oben, wenn ich es langsam und vorsichtig mache… was ist mit dir?«]

[»Ich komme zurecht. Warte unter dem Baum auf mich.«]

[»Gut, Ralph.«]

Er sah ihr nach, wie sie durch das schmutzige Zimmer ging; Helens Turnschuh baumelte an ihrem Handgelenk. Sie duckte sich unter dem Torbogen zwischen Apartment und Treppe hindurch und begann mit dem langsamen Aufstieg. Ralph wartete, bis ihre Füße nicht mehr zu sehen waren, dann wandte er sich wieder Atropos zu.

[»Nun, mein Freund, da sind wir wieder - zwei alte Kameraden, endlich vereint. Was sollen wir machen? Spielen? Du spielst doch gerne, oder nicht?«]

Atropos fing sofort wieder an, sich zu wehren, während er gleichzeitig mit dem Skalpell über Ralphs Kopf fuchtelte und versuchte, Ralph abzuwerfen.

[Hör auf! Faß mich nicht an, du alte Schwuchtel!]

Atropos schlug so wild um sich, daß es Ralph vorkam, als würde er auf einer Schlange knien. Aber er achtete nicht auf die Schreie, das Aufbäumen und das blind um sich stoßende Skalpell. Atropos’ ganzer Kopf ragte jetzt aus dem Slip heraus, was es viel einfacher machte. Er griff nach Lois’ Ohrringen und zog. Sie blieben, wo sie waren, aber er erntete einen Schmerzensschrei von Atropos, der aus vollem Herzen kam. Ralph beugte sich nach vorne und lächelte verhalten.

[»Die sind für Ohrlöcher gemacht, richtig, Kumpel?«]

[Ja! Ja, gottverdammt!]

[»Um dich zu zitieren: Das Leben ist beschissen, oder nicht?«]

Ralph packte die Ohrringe wieder und riß sie los. Zwei Blutrinnsale sprudelten, als die Löcher in Atropos’ Ohrläppchen zu Rissen wurden. Der Schrei des kahlköpfigen Mannes war schrill wie ein Bohrer. Ralph verspürte eine unangenehme Mischung aus Mitleid und Verachtung.

Der kleine Dreckskerl ist daran gewöhnt, anderen Menschen wehzutun, aber nicht, daß ihm selbst wehgetan wird. Vielleicht hat ihm noch nie jemand wehgetan. Nun, herzlich willkommen bei uns Normalsterblichen, Kumpel.

[Hör auf! Hör auf! Das kannst du mit mir nicht machen!]

[»Ich hab Neuigkeiten für dich, Freundchen… ich mache es schon. Also warum findest du dich nicht einfach mit dem Programm ab?«]

[Was willst du damit erreichen, Kurzer? Weißt du, es wird sowieso passieren. Die Leute im Bürgerzentrum sind hinüber, und wenn du den Ring nimmst, wirst du daran nichts ändern.]

Was du nicht sagst, dachte Ralph.

Atropos keuchte immer noch, aber er schlug nicht mehr um sich. Ralph konnte den Blick einen Moment von ihm abwenden und rasch durch den Raum schweifen lassen. Er vermutete, daß er in Wirklichkeit nach einer Inspiration suchte - eine kleine würde schon genügen.

[»Darf ich einen Vorschlag machen, Mr. A.? Als neuer Freund und Spielgefährte? Ich weiß, du bist beschäftigt, aber du solltest dir die Zeit nehmen und hier etwas aufräumen. Ich meine nicht, daß House Beautiful darüber berichten sollte oder so, aber igitt! Was für ein Schweinestall!«]

Atropos, verdrossen und argwöhnisch zugleich: [Glaubst du, deine Meinung interessiert mich einen Scheißdreck, Kurzer?]

Ihm fiel nur eine weitere Vorgehensweise ein. Sie gefiel ihm nicht, aber er würde sie trotzdem durchziehen. Er mußte sie durchziehen; vor seinem geistigen Auge sah er ein Bild, das dafür sorgte. Es war das Bild von Ed Deepneau, der mit einem Kleinflugzeug von der Küste Richtung Derry flog und entweder Sprengstoff oder einen Tank mit Nervengas im Bug verstaut hatte.

[»Was kann ich nur mit dir anstellen, Mr. A.? Irgendwelche Vorschläge?«]

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