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Zuerst dachte ich, die Bärenfrau wäre tot. Das Messer hatte sie auf der linken Hälfte des Gesichtes getroffen und dort ein tiefes, blutiges V in ihre Stirn geschnitten und zudem ihr linkes Auge verletzt. Die Schnelligkeit ihres eigenen Sprungs hatte den meisten Schaden angerichtet, denn ichhätte niemals auf jemanden so heftig eingestochen. Ich kniete neben ihr, zitternd und vom Schrecken ergriffen. Fast wären mir meine letzten Tassen Kaffee hochgekommen.

Sie öffnete ihr rechtes Auge und sah mich an. Ich zuckte nervös zusammen und stand auf, um außer Reichweite dieser Klauen und Zähne zu kommen. Sie lächelte. Eine Art bitteres und selbstzufriedenes Grinsen.

»Mein Herr wird dich jetzt haben wollen«,flüsterte sie. »Er hat so lange auf seine wunderschöne Bärenjungfrau gewartet, und schau, was du getan hast. Mein Herr wird dich hetzen und dafür sorgen, dass du den schlimmsten Tod stirbst, den man sich nur vorstellen kann.«

Ich fragte schwerfällig: »Jane?«

Obwohl das Gesicht so aussah wie das von Jane, so gab es jedoch nichts im Verstand dieser Kreatur, das an Jane erinnerte oder dass sie mich überhaupt kannte. Sie lag da, keuchte und blutete. Ich hatte sie nicht getötet und es würde nicht lange dauern, bis sie mich wieder angriff.

Aus dem Telefonhörer drang: »Hallo? Hallo? John!«

Ich nahm es vom Boden auf. »Ich bin hier, George. Im Augenblick geht es mir gut. Die Bärenfrau ist hier. Es ist Jane. Die Bärenfrau ist Jane.«

»Hauen Sie dort ab, schnell, solange Sie noch die Chance dazu haben.«

»Sie ist verletzt. Ich habe sie mit einem Fleischermesser getroffen.«

»Das wird Coyote nicht gefallen. Hören Sie, nehmen Sie Ihre Karte und ab dafür.«

» Ab dafür?Das habe ich ja ewig nicht gehört, seit meiner Kindheit nicht mehr.«

»John, Sie sind hysterisch. Machen Sie schnell, dass Sie da rauskommen.«

Mit zitternden Knien schnappte ich mir die Straßenkarte und die Brieftasche und sprang über die zuckenden Beine der Bärenfrau zur Tür. Sie rollte ihren Augapfel herum, um mich zu sehen. Sie flüsterte: »Coyote wird dich kriegen. Nur keine Sorge.«

Ich riss die Wohnungstür auf, lief hinaus und bevor ich sie wieder schloss, schaute ich nach, ob das Halsband noch fest um den Türgriff gedreht war. Dann lief ich mit weichen Knien zum Aufzug. Erst als ich auf der Straße ein Taxi angehalten hatte und wir uns bereits mitten im Verkehr befanden, merkte ich, dass mir schlecht wurde.

Ich tippte der Fahrerin auf die Schulter.

»Ja, was is’n?«, fragte sie.

»Entschuldigung, ich glaube, ich muss mich übergeben.«

Sie drehte den Kopf zu mir und starrte mich an. Eine Zigarette hing an ihrer Unterlippe. »Mister«, sagte sie, »das hier ist keine verdammte Airline. Kotztüten gibt’s hier nicht.«

»Was dann? Was soll ich jetzt tun?« Ich schwitzte.

Sie fuhr mit 40 Meilen in der Stunde über eine Kreuzung, die Federung des Taxis wogte wild auf und ab. »Schlucken Sie’s runter.« Und damit war die Diskussion beendet.

Es mag sein, dass Indianer selbstbeherrscht und asketisch sind, aber an diesem Morgen war George Thousand Names nicht so selbstbeherrscht, dass er nicht meine Hand in seine beiden nahm, als ich durch die Tür seines Zimmers im Mark Hopkins trat, und er war auch nicht so asketisch, dass er uns nicht beiden einen großen Jack Daniels einschenkte.

»Es ist ein Albtraum. Die ganze verfluchte Sache ist ein Albtraum«, sagte ich.

Er trug einen roten Satin-Morgenmantel und Slipper, die komplett mit Perlen bestickt waren. Er wirkte wie ein Star in einem Cowboy-Film, produziert von Liberace. »Das ist der schlimmste Fehler, den Sie machen können, zu denken, dass es ein Albtraum ist. Wenn Sie das glauben, werden sie die Augen vor allem schließen, was passiert, und ständig hoffen, aufzuwachen. Aber Sie sindwach, John, und das alles passiert wirklich.«

»Aber wie zur Hölle kann eine Frau, die ich kenne, eine Frau, in die ich verliebt war, verdammt, die ich immer nochliebe, sich in eine solche Kreatur verwandeln?«

Der alte Indianer setzte sein Glas auf dem Fernseher ab. Auf dem Bildschirm verkündete irgendein Golfpromi die Vorteile einer Zahnpolitur.

»Sie war ein Bär,George. Sie hatte überall Haare, nur ihr Gesicht war frei. Und sie erkannte mich nicht einmal. Ich konnte nichts sagen. Sie kam quer durch die Küche auf mich zu wie eine Lokomotive, und sie hätte mich getötet, wenn ich ihr die Chance dazu gegeben hätte.«

George Thousand Names setzte sich auf die Bettkante. Es sah nicht benutzt aus. Ich hatte mal gehört, dass gut trainierte Indianer im Stehen schlafen können. Vielleicht war das ja nur ’ne blöde Legende, aber irgendwie konnte ich mir gut vorstellen, wie George Thousand Names in einer Ecke stand, die Arme ineinander verschränkt, und friedlich durch die Nacht schnarchte.

»Irgendwann in der Zwischenzeit, in der Sie Jane fortgeschickt haben, um den Türklopfer zu holen, und bis wir sie in der 17th Street fanden, muss Coyote sie angefallen haben.«

Ich nahm einen großen Schluck Whisky. »Angefallen? Ich verstehe nicht!«

George Thousand Names sah zu mir herüber mit ehrlicher Besorgnis. In diesem Moment spürte ich für diesen Mann zum ersten Mal echte Gefühle, wie ein Sohn sie für seinen Vater empfinden sollte. Er sorgte sich um mich und verstand mich, aber er war auch zynisch und weise, und man wusste, dass alles, was er sagte, Gottes ehrliche Wahrheit war. Oder die ehrliche Wahrheit des Manitou.

»Coyote ist der lüsternste aller Dämonen. Er hat sie wahrscheinlich vergewaltigt. Es gibt ein altes Navaho-Lied über das Zusammentreffen von Coyote und einer Jungfrau auf einem Bergpfad. Eines Tages traf Coyote auf dem Bergpfad eine junge Frau. Was hast du in dem Paket, fragte sie. Fischeier, antwortete Coyote. Kann ich welche davon haben?, fragte die Jungfrau. Nur, wenn du die Augen schließt und dein Kleid hochhebst. Sie tat, was ihr gesagt wurde. Höher, sagte Coyote und trat an die Frau heran. Ich kann nicht, sagte sie, irgendetwas krabbelt zwischen meinen Beinen herum. Keine Sorge, sagte Coyote, es ist ein Skorpion, ich fang ihn. Dann ließ die Frau ihr Kleid fallen. Du warst nicht schnell genug, er hat mich gestochen.«

Er hatte den Text des Liedes mit flacher, monotoner Stimme aufgesagt. Als er geendet hatte, schaute er mich an. »Verstehen Sie? Er ist ebenso listig wie brutal. Wenn ich sage, angefallen, dann meine ich verführt.«

Ich konnte es nicht glauben. »Das Ding, das Ding, das wir vergangene Nacht gesehen haben, dashatte Sex mit Jane?«

George Thousand Names nickte. »Höchstwahrscheinlich. Der Legende nach wuchsen der Bärenjungfrau das Fell und die Krallen erst, nachdem Coyote ihren Verstand mit den übelsten Gedanken verdorben hatte. Tut mir leid, John, aber wenn wir dieses Wesen schlagen wollen, müssen wir den Tatsachen in die Augen sehen.«

»Oh, sicher.« Bitterkeit stieg in mir hoch. Von all den Menschen, warum Jane? Wäre ich nicht so dumm gewesen und hätte sie losgeschickt, dann wäre sie vielleicht verschont geblieben.

George Thousand Names ging zum Fenster und spähte durch die Gardinen des Hotels hindurch auf die Innenstadt von San Francisco. »John«, sagte er, »ich weiß, dass Sie das ziemlich trifft, aber begreifen Sie bitte, dass wir hier einer Situation ausgesetzt sind, in der wir um Leben und Tod kämpfen.«

Ich versuchte zu lächeln. »Es hängt davon ab, wessen Leben, oder?«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht wessenLeben, sondern wie viele Leben. Da draußen leben Leute, John, Tausende, und falls Coyote durchdreht, wird er diese Straßen schnell in ein bluttriefendes Schlachthaus verwandeln. Coyote ist ein tobsüchtiger Killer, John. Wahnsinniger als alle Wahnsinnigen. Der einzige Weg, ihn zu zerstören, ist, ihn zu überlisten und dafür zu sorgen, dass er Big Monsters abgeschnittenes Haar nicht findet.«

»Aber alle Bilder sind in meiner Wohnung.«

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