»Was meinen Sie, Doktor?«, fragte der Lieutenant Dr. Weston. »Ist das ein indianischer Dämon? Oder ist es nur ein medizinisches Monstrum?«
Obwohl Dr. Weston noch zitterte von dem, was sie in der Intensivstation gesehen hatte, antwortete sie: »Es ist ein Monstrum. Es muss eines sein. Ich habe noch nie so etwas gesehen, aber wir können es nicht töten.«
»Angenommen …«, begann Dr. Jarvis.
»Nichts angenommen!«, unterbrach Dr. Weston. »Jim, dieses Geschöpf ist das seltsamste medizinische Ereignis, das wir je gesehen haben. Es ist, als wären siamesische Zwillinge vor unseren Augen entstanden. Wir können es jetzt nicht zerstören. Auf keinen Fall!«
»Dr. Weston«, meldete ich mich, »Sie haben nicht gesehen, wie Bryan Corder verletzt wurde. Sie waren nicht dabei, als die Augen von Dan Machin aufleuchteten wie die des Teufels … Was auch immer da drinnen ist, ob ein Dämon oder nicht, wir müssen unbedingt sichergehen, dass es nicht noch jemanden tötet!«
Dr. Weston wollte gerade antworten, aber dazu kam sie nicht mehr. Was jetzt passierte, war wie ein Autobahnunfall. Er rauschte so schnell an meinen Augen vorbei, dass ich es kaum begreifen konnte. Ich erinnere mich aber noch an zwei lebhafte und schreckliche Dinge, und ich nehme an, dass ich sie nie vergessen werde.
Jim rief plötzlich: »Es kommt hier entlang!«
Als wir uns umdrehten, um auf die Intensivstation zu schauen, hörten wir schon das Klirren zerspringenden Glases. Tausend Teile der Beobachtungsscheibe schwirrten durch den Raum. Einer der Polizisten fiel sofort auf die Knie, sein Gesicht sah aus wie zerhackte Leber, der andere drehte sich zur Seite und hielt die Hände über die Augen – Blut rann durch seine Finger. Meine eigenen Wangen wurden in dem Splitterregen zerschnitten, aber es war nicht das Glas, was mich erstarren ließ.
Es war Coyotes Erscheinung: Aufgerichtet wie eine riesige, bleiche Gottesanbeterin, den grinsenden Schädel regungslos auf dem formlosen Rumpf, drückte er mit seinen vier Armen die Reste der Glaswand beiseite, ohne Zeit zu verlieren.
Und mit ihm kam diese Hitze. Die entsetzliche, glühende Hitze. In der Intensivstation mussten 200 Grad herrschen, und jetzt drang von dort ein trockener, sengender Wind mit Geheul heraus, während Coyote durch das zerbrochene Fenster schnellte.
Lieutenant Stroud riss seine Einsatzwaffe vom Gürtel der Hose und feuerte zweimal auf den monströsen Dämon. Aber Coyote schwang einen Arm in Strouds Richtung, der daraufhin durch den ganzen Raum geschleudert wurde und mit dem Rücken krachend an der Wand landete. Die Pistole schlitterte in die Masse aus zerbrochenem Glas.
Jim schrie: »John, halt ihn fest!«Aber ich wusste, dass es keine Möglichkeit gab, dieses Wesen zurückzuhalten, deshalb riss ich die Tür auf und schrie: »Sinnlos! Um Gottes willen, kommt hier heraus!«
George Thousand Names hielt die Hände schützend über seinen Kopf. Er stolperte so schnell er konnte aus dem Raum. Dr. Weston folgte ihm, dann Jim und ich. Der Polizist mit den blutenden Augen wollte Lieutenant Stroud helfen, aber der Dämon schlug wieder mit seinem Arm zu und der Polizist schrie auf und stolperte hilflos in Richtung Tür.
»Ich brenne!«,schrie er. »Holt mich heraus! Oh Gott! Ich brenne!«
Jim rannte auf ihn zu, aber der Polizist öffnete jetzt den Mund und – eine glühende Flamme leckte zwischen seinen Lippen hervor. Er brannte innerlich,sein Magen und seine Lungen brannten, und jedes Mal, wenn er um Hilfe schreien wollte, strömte die Glut der Flammen aus ihm heraus.
»John! Eine Decke! Hol mir eine Decke!«, rief Dr. Jarvis, aber es war zu spät. Der Polizist fiel gegen die Flurwand und rutschte auf die Knie, wobei er eine Spur brennenden Blutes an der Wand hinterließ. Dann fiel er in sich zusammen, blieb still vor unseren Augen liegen und zu unserem Entsetzen drangen die Flammen, die ihn innerlich verbrannten, jetzt langsam nach außen, züngelten, setzten seine Uniform in Brand und dann seinen gesamten Körper, bis er wie ein ritueller Selbstmörder lodernd vor uns auf dem Boden lag.
Aus dem Innern des Raumes drang ein weiterer heißer Luftzug. Wir hörten ein Brummen und Gestöhn, der Klang eines teuflischen Biestes, das entschlossen war, uns zu vernichten. Plötzlich, wie bei einem Wunder, tauchte Lieutenant Stroud im Türrahmen auf und rollte sich seitwärts auf uns zu. Er schnappte nach Luft wie ein überanstrengter Athlet. George Thousand Names und Dr. Jarvis knieten sich neben ihm nieder.
»Okay, ich bin okay«, sagte er und versuchte aufzustehen. »Mein Rücken ist völlig zerkratzt, aber ich glaube, ich bin okay. Um Himmels willen, lasst uns schnell hier verschwinden. Das Vieh dreht völlig durch.«
»Es dreht nicht durch. Das ist sein natürliches Benehmen«, sagte George Thousand Names. »Er wird uns vernichten und verschlingen, und wir können nichts dagegen tun.«
Lieutenant Stroud stand unter Schmerzen auf, seine Augen fest auf die dunkle Tür gerichtet, hinter der Coyote lauerte.
»Vielleicht können Sienichts tun, Medizinmann, aber ich weiß, was ichtun werde. Das … das Dingdarin hat uns den Krieg erklärt, und wenn es Krieg will, verdammt, dann soll es ihn bekommen!«
George Thousand Names griff nach dem Lieutenant und hielt ihn zurück. »Bitte, Lieutenant. Sie haben es hier nicht mit irgendeiner Kreatur aus dem Fernsehen zu tun. Bomben und Tränengas können Coyote nicht verletzen. Sie können nicht mehr als …«
Seine Worte gingen unter in einem Gebrüll, das das ganze Gebäude erzittern ließ. Türteile, Fetzen von Teppichen, Mörtelstücke und eine trockene, wilde Hitze, die nach Tieren und Tod stank, schlugen auf uns ein. Coyote drängte aus dem Zimmer, um sein Blut und sein Gesicht zu suchen, und er kam, um uns abzuschlachten. Es war Coyote, der Dämon des Zornes und der Angst!
5
Ich war fast bewusstlos. Ein Stück Holz des Türrahmens hatte mich an der linken Seite des Kopfes getroffen und anschließend hatten meine Beine unter mir nachgegeben. Ich lag an einer Seitenwand des Flures, eingehüllt in zerfetzten Teppichbelag, und mir kam es vor, als fiele die ganze Welt um mich herum auf mich herab. Der heiße Hurrikan brüllte und kreischte, Trümmerteile wurden emporgeschleudert und flogen durch den Korridor. Als Coyote auf uns zukam, hörte ich über allem ein Geräusch, als ob jemand in ein Rohr hineinschreien würde, das das Echo immer wieder zurückwarf; ein hoffnungsloses, verzweifeltes Schreien, das mich mehr erschreckte als alles andere.
Ich kniff zum Schutz gegen den glühenden Wind die Augen zusammen und versuchte etwas zu erkennen. George Thousand Names lag gegenüber an der Wand und Lieutenant Stroud hockte neben ihm. Jim stand etwas weiter entfernt; er hatte die Hände über seinem dünnen Haar verschränkt. Nur Dr. Weston sah ich nicht.
Dann schien sich die Luft selbst zu verdunkeln und aus dieser Dunkelheit heraus kam etwas, dass mit Bryan Corder und Dan Machin gar nichts mehr zu tun hatte. Es war eine gespenstische Erscheinung: ein Geist von unheimlicher Dichte, gebildet aus verrenktem Fleisch. Eine Art negatives Glühen umgab die Gestalt, ein Glühen aus düsteren Schatten oder glühender Leere. Sie glitt dunkel über den Korridor, der Knochenschädel lächelte grausig aus dem widerlichen Fleischumhang heraus.
Das Schreien wurde schriller und lauter, als Coyote vorüberschritt, aber da war noch ein anderes Geräusch, das seine Bewegungen begleitete. Es war das Klatschen von toter Haut,das mich an lose im Wind flatternde Teerpappe auf einem Dach erinnerte. Es war fast mehr, als ich ertragen konnte.
Das Geräusch und der Wind schienen für alle Ewigkeiten weiterzudröhnen, aber plötzlich, als ich den Kopf vorsichtig hob, wurde mir klar, dass Coyote an uns vorbeigegangen war, ohne uns zu verletzen. Ich hob den Kopf noch etwas mehr und schaute mich um. Der Dämon war verschwunden.