»Ich schätze, Sie haben recht. Seitdem ich an diesem verdammten Park gearbeitet habe, hat mich das Pech verfolgt.«
»War es der Park in Fremont? Wo Sie die Bärenfrau gefunden haben?«
Er nickte. »Es war eine ganz einfache Auslegerbrücke. Nur ein Überweg für Fußgänger, nichts Großartiges. Ich habe davon sicher 20, 30 in den verschiedensten Städten die ganze Küste entlang gebaut. Aber diese war verhext. Die Fundamente stürzten sechs-oder siebenmal zusammen. Drei der Wetbacks, Sie wissen, diese illegalen Mexikaner, wurden sehr schwer verletzt. Einer erblindete. Niemals war man sich einig, wie und wo die Brücke am besten aufgestellt werden sollte. Die Diskussionen mit dem Stadtrat trieben einen in den Wahnsinn. Ich habe vier Monate gebraucht, um diese Brücke aufzustellen, die normalerweise in vier Tagen hätte aufgesetzt werden können. Das schadete natürlich meinem Ruf. Ich kann Ihnen jedenfalls sagen, Mr. Hyatt, dass ich mich seit der Zeit in Fremont verfolgt fühlte.«
Ich hob das Whiskyglas und ließ den Inhalt kreisen, während ich mich umschaute. »Und das hier, dieses Atmen und all das, dachten Sie, es könnte mit dem Pech zusammenhängen?«
Er seufzte. »Ich weiß nicht. Es war nur so ein Gedanke. Manchmal frage ich mich, ob ich verrückt werde.«
In diesem Augenblick ertönte der Türklopfer zweimal.
»Ich mach schon auf«, sagte ich und ging in die schattige Halle, um die Haustür zu öffnen. Während ich die Riegel und Ketten löste, konnte ich nicht anders und blickte kurz hinüber zu der Bärenfrau. Im Dunkeln wirkte sie jetzt größer als bei Licht, struppiger, als ob die Schatten um sie herum zu Pelz gewachsen wären. An jeder Wand um mich herum hingen diese trüben und langweiligen Landschaftsbilder des Mount Taylor und des Cabezon Peak, Drucke, Stiche und Tuschezeichnungen, und sie waren alle bei schlechtestem Wetter gemalt. Da ich immerhin wusste, dass beide Berge im sonnigen New Mexico lagen, erschien es umso seltsamer, dass jede einzelne dieser Dutzend Ansichten an einem regnerischen Tag gemalt worden war.
Der Türklopfer knallte wieder aufs Holz. »Schon gut, schon gut!«, rief ich. »Ich hab euch doch gehört!«
Ich öffnete die Tür und Dr. Jarvis stand mit Jane auf der Schwelle. Es regnete und donnerte noch immer, aber nach der stickigen Enge in Seymour Wallis’ Büro war die Nachtluft kühl und erfrischend. Auf der anderen Straßenseite sah ich Bryan Corder, der mit hochgezogenen Schultern durch den Regen auf uns zukam.
»Ihr beide habt euch wohl getroffen«, sagte ich zu Jane und Dr. Jarvis, während ich sie ins Haus bat.
»Es war ganz zufällig, als wir beide in einem dunklen Türeingang Schutz suchten«, sagte Jane.
Bryan lief die Stufen hoch und schüttelte sich wie ein nasser Hund den Regen aus den Haaren. Er war ein untersetzter, kräftiger, etwa 40 Jahre alter Mann mit einem pausbäckigen, freundlichen Gesicht, das mich an einen lebenslustigen Mönch erinnerte, falls es so etwas gibt. Er griff nach meinem Arm. »Hi, John. Ich hätte es fast nicht geschafft. Und, wie läuft es?«
»Beängstigend«, antwortete ich. Ich meinte es auch so. Bevor ich die Tür schloss, konnte ich nicht widerstehen und schaute noch einmal kurz auf den Türklopfer, nur um zu sehen, ob er immer noch aus Bronze, immer noch leblos und immer noch so scheußlich war wie bisher.
Ich führte sie alle in Seymour Wallis’ Büro und stellte sie ihm vor. Wallis war freundlich, aber zerstreut, als wären wir Grundstücksmakler, die den Wert seines Eigentums beurteilen wollten. Er gab jedem die Hand, bot Whisky an und holte Stühle, aber dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch, starrte auf den schäbigen Teppich und sagte kaum noch etwas.
Dr. Jarvis sah in seiner marineblauen Sportjacke und Hose nun etwas weniger nach einem Mediziner aus. Er hatte ein elegant geschnittenes Gesicht, war klein und rotblond, und ich fing an, ihn zu mögen. Er trank einen Schluck Whisky, hustete und meinte: »Ihr Freund hat keine großen Fortschritte gemacht, muss ich leider gestehen. Er erlitt zwar keinen weiteren Anfall, aber er leidet immer noch unter Atembeschwerden und wir können ihn nicht aus seinem Koma wecken. Heute Abend werden wir noch ein EKG und ein EEG machen, um festzustellen, ob es irgendein Anzeichen einer Hirnschädigung gibt.«
»Hirnschädigung? Aber er ist doch bloß vom Stuhl gefallen.«
»Ich habe erlebt, dass Leute durch den Fall von einem Stuhl gestorben sind.«
»Glauben Sie immer noch an eine Gehirnerschütterung?«, fragte Jane. »Was ist mit seinen Augen?«
Dr. Jarvis drehte sich auf seinem Sitz herum. »Würde ich glauben, dass es nur eine Gehirnerschütterung ist und nichts anderes, wäre ich nicht hier. Es scheint so, als ob da noch etwas mit im Spiel ist, aber bis jetzt habe ich noch keine echte Idee, was es sein könnte.«
Bryan fragte: »Ist das hier der Raum, in dem es passierte? Das Atmen und auch das Übrige?«
»Ja.«
Bryan stand auf und ging an den Wänden des Zimmers entlang, tastete sie an einigen Stellen ab und schaute in den Kamin. Hier und da klopfte er mit seinen Knöcheln den Verputz ab, um nach Hohlräumen zu hören. Nach einer Weile blieb er mitten im Raum stehen und blickte sich verwundert um.
»Die Tür war geschlossen?«, fragte er mich.
»Die Tür und die Fenster.«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Das ist wirklich seltsam.«
»Was ist seltsam?«
»Also, normalerweise, wenn sich aufgrund von Zugluft oder Luftströmungen ein Druck bildet, dann ist der Kamin frei und der Schornstein nicht blockiert. Aber Sie können Ihre Hand hier in den Kamin halten und es selbst spüren. Hier ist keine Luftströmung vorhanden. Der Schornstein ist komplett zu.«
Ich ging hinüber und kniete mich auf den fadenscheinigen verblichenen Indianerteppich vor der Feuerstelle. Es war einer dieser schmalen viktorianischen Zimmerkamine mit einer verzierten Stahlhaube und einem feuerfesten Gitter. Ich steckte meinen Kopf hinein und schaute hoch in die kalte, nach Ruß riechende Finsternis. Bryan hatte recht, es gab keinen Luftzug, keinen Windhauch. Normalerweise, wenn man unter einem Kaminschacht hockt, kann man die Geräusche der Nacht hören, die herabrauschen, aber in diesem Schornstein war es still.
»Mr. Wallis«, sagte Bryan, »sind Sie sicher, dass dieser Schornstein frei ist? Oder hat ihn jemand zugemauert?«
Wallis bedachte uns mit einem mürrischen Blick. »Der Kamin ist nicht zugemauert. Ich habe erst vor wenigen Tagen ein Feuer gemacht und einige alte überflüssige Unterlagen darin verbrannt.«
Bryan schaute noch einmal den Kaminschacht hinauf. »Also, Mr. Wallis, selbst wenn er zu dem Zeitpunkt noch frei war, jetzt ist er mit Sicherheit zu. Vielleicht hängt das mit den Geräuschen zusammen, die Sie gehört haben. Dürfte ich vielleicht in dem oberen Raum einen Blick in den Kamin werfen?«
»Nur zu«, antwortete Wallis. »Aber ich bleibe hier, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich habe für heute von alldem wirklich genug.«
Wir vier gingen in die Diele und schalteten das schwache Licht ein, das die Treppe beleuchtete. Es war so schwach, weil es von einem grün und gelb gemusterten Glas abgedeckt wurde, das in Staub und Spinnweben gehüllt war. Alles im Haus schien muffig, verblichen und mit Staub bedeckt zu sein, aber genau das nannte Wallis wahrscheinlich Charakter. Mich überkam geradezu eine Sehnsucht nach Plastik und billigen modernen Wohnblöcken.
Als Bryan die erste Stufe betrat, bemerkte Jane plötzlich die Bronzestatue der Bärenfrau.
» Dieist aber ungewöhnlich«, sagte sie. »Gehörte sie schon immer zum Haus?«
»Nein. Seymour Wallis hat sie in Fremont ausgegraben, irgendwo, als er an einer Brücke gearbeitet hat. Er baut nämlich Brücken, zumindest hat er das getan.«
Jane berührte das feierliche Gesicht der Statue, als erwartete sie, dass sie jeden Moment die Augen öffnete.
»Sie erinnert mich an etwas«, sagte sie gedankenvoll. »Sie verursacht mir ein ganz seltsames Gefühl. Es ist fast so, als hätte ich sie schon früher einmal gesehen, aber das kann nicht sein.«