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Eine halbe Stunde ist bereits vergangen, wir werden nicht aufgerufen. Leute gehen hinein und kommen heraus. Einer fäl t mir besonders auf, da er schon zum dritten Mal hineingeht. Die Zeit verstreicht, und Lketinga regt sich auf. Er befürchtet, ins Gefängnis zu müssen, falls mit den Papieren etwas nicht in Ordnung ist. So gut es geht, versuche ich, ihn zu beruhigen. Wegen des Miraakonsums hat er fast nicht geschlafen. „Hakuna matata, wir sind in Afrika, pole, pole“, sagt Jutta, als plötzlich die Tür aufgeht und Lketinga und ich hereingebeten werden. Die Trauzeugen müssen warten. Jetzt wird auch mir etwas mulmig.

Der District-Officer sitzt wieder an seinem feudalen Pult, und am langen Tisch vor ihm befinden sich zwei weitere Männer. Einer von ihnen ist derjenige, der ständig rein- und rausgegangen ist. Wir sollen uns den beiden gegenüber hinsetzen. Die zwei Männer stellen sich als Polizisten in Zivil vor und verlangen meinen Paß sowie den Ausweis von Lketinga.

Mein Herz klopft bis in die Schläfen. Was ist hier los? Ich habe Angst, in der Aufregung das Beamtenenglisch nicht mehr zu verstehen. Viele Fragen prasseln auf mich nieder. Seit wann ich im Samburu-Gebiet lebe, wo ich Lketinga kennengelernt habe, seit wann, wie und wovon wir hier lebten, was mein Beruf sei, wie wir uns verständigen, usw. Die Fragen nehmen kein Ende.

Lketinga will ständig wissen, wovon wir sprechen, doch ich kann ihm das hier nicht auf unsere Art, uns miteinander zu verständigen, erklären. Bei der Frage, ob ich schon mal verheiratet war, platzt mir langsam der Kragen. Erregt antworte ich, daß meine Geburtsurkunde und mein Paß denselben Namen tragen und ich auch eine Bescheinigung der Schweizer Gemeinde auf Englisch habe. Diese wird nicht anerkannt, da die Botschaft in Nairobi das nicht bestätigt hat, sagt der eine. „Aber mein Paß“, entgegne ich aufgebracht. Doch weiter komme ich nicht. Der könnte ja ebenfal s gefälscht sein, antwortet der Officer. Nun bin ich außer mir vor Wut. Der Officer fragt Lketinga, ob er schon eine Samburu-Frau geheiratet habe. Er antwortet wahrheitsgetreu mit nein. Wie er das beweisen kann, will der Officer wissen. Ja, in Barsaloi wissen das alle. Wir sind aber hier in Maralal, ist die Antwort. In welcher Sprache wir denn getraut werden wollen? Ich denke in Englisch, gedolmetscht in Massai. Der Officer lacht dreckig und meint, für solche Spezialfälle habe er keine Zeit und übrigens könne er die Massai-Sprache nicht. Wir sollen wiederkommen, wenn wir dieselbe Sprache, Englisch oder Suaheli, sprechen, ich in Nairobi mein Papier gestempelt habe und Lketinga einen vom Chief unterzeichneten Brief bringt, daß er noch nicht verheiratet ist.

Vor Wut über diese Schikane raste ich völlig aus und schreie den Officer an, warum er das al es nicht schon beim ersten Mal erwähnt habe. Hochmütig erklärt er, hier bestimme immer noch er, wann er was mitteilt, und wenn es mir nicht paßt, könne er dafür sorgen, daß ich morgen das Land verlassen muß. Das sitzt! „Come, darling, we go, they don't want give the marriage.“

Wütend und heulend verlasse ich das Office, Lketinga hinter mir. Draußen zucken die Kameras von Sophia und Jutta, da sie glauben, wir hätten es hinter uns.

In der Zwischenzeit haben sich mindestens zwanzig Leute hier versammelt. Am liebsten würde ich im Boden versinken. Jutta bemerkt es als erste: „Was ist los, Corinne, Lketinga, what's the problem?“ „I don't know“, antwortet er verwirrt. Ich stürze zu meinem Landrover und rase zum Lodging. Ich wil allein sein. Dort falle ich aufs Bett und kann nur noch heulen, es schüttelt mich am ganzen Körper. „Diese verdammten Schweine!“ denke ich.

Irgendwann sitzt Lketinga neben mir und versucht mich zu beruhigen. Obwohl ich weiß, daß er mit Tränen wenig anfangen kann, schaffe ich es nicht, aufzuhören. Jutta schaut ebenfalls herein und bringt mir einen Kenia-Schnaps. Widerwil ig stürze ich ihn hinunter, und al mählich löst sich der Weinkrampf. Ich fühle mich müde und wie taub. Irgendwann geht Jutta, Lketinga trinkt Bier und kaut sein Miraa.

Eine Weile später klopft es an der Tür. Ich liege im Bett und starre die Decke an.

Lketinga öffnet, und die zwei zivilen Polizisten schleichen herein. Sie entschuldigen sich höflich und wollen ihre Hilfe anbieten. Da ich nicht reagiere, spricht der eine, ein Samburu, mit Lketinga. Als mir klar wird, daß diese Schweine nur viel Geld wollen, damit sie uns heiraten lassen, platzt mir noch mal der Kragen. Ich schreie sie an, unser Zimmer zu verlassen. Ich werde diesen Mann eben in Nairobi oder sonstwo heiraten, und zwar ohne ihre dreckigen Angebote. Betreten verlassen sie unseren Raum.

Morgen werden wir nach Nairobi fahren, um mein Formular bestätigen und vorsorglich mein Visum verlängern zu lassen. Jetzt, mit den Heiratsantragsformularen, sollte das gehen. Dann haben wir wieder drei Monate Zeit, um das Papier vom Chief zu bekommen. Es wäre ja gelacht, wenn es nicht ohne Schmiergeld ginge! Der unsympathische Jomo schaut herein, als ich gerade schlafen wil. Lketinga erzählt ihm unseren Plan, und er möchte uns begleiten, da er Nairobi bestens kenne, wie er versichert. Weil die Straße nach Nyahururu immer noch in sehr schlechtem Zustand ist, beschließen wir, über Wamba nach Isiolo zu fahren und von dort mit den öffentlichen Bussen nach Nairobi. Wegen des bevorstehenden Festes haben wir nur vier bis fünf Tage Zeit.

Die Strecke ist neu für mich, doch verläuft alles problemlos. Nach etwa fünf Stunden erreichen wir Isiolo. Ich frage mich zur Mission durch, um dort mit etwas Glück unseren Wagen zu parken. Vom Missionar bekomme ich die Erlaubnis. Würde man das Fahrzeug einfach irgendwo abstellen, wäre es mit Sicherheit nicht sehr lange dort.

Da es von hier nochmals drei bis vier Stunden bis Nairobi sind, beschließen wir, zu übernachten, um frühmorgens loszufahren und nachmittags das Office aufzusuchen.

Nun erklärt mir unser Begleiter, daß er kein Geld mehr habe. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als sein Zimmer, Essen und Trinken zu bezahlen. Ich mache es nicht gern, da er mir immer noch nicht sympathisch ist. Im Zimmer falle ich ins Bett und schlafe ein, bevor es dunkel ist. Die beiden trinken Bier und reden. Am Morgen fühle ich mich sehr durstig. Wir frühstücken und steigen in einen Bus nach Nairobi. Nach mehr als einer Stunde ist er endlich vol, so daß die Reise losgeht. Kurz vor Mittag erreichen wir Nairobi.

Wir suchen zuerst die Schweizer Botschaft auf, um mein Gemeindepapier beglaubigen zu lassen. Doch so etwas machen sie nicht, und überhaupt müsse ich zur deutschen Botschaft mit meinem deutschen Paß. Ich bezweifle, daß die Deutschen die Schweizer Gemeindestempel kennen, aber sie lassen sich nicht überzeugen. Die deutsche Botschaft liegt in einem anderen Stadtteil. Mühsam schleppe ich mich durch das schwüle, stickige Nairobi. Bei den Deutschen ist viel Betrieb, man muß anstehen. Als ich endlich an die Reihe komme, schüttelt der Sachbearbeiter den Kopf und will mich an die Schweizer Botschaft verweisen. Als ich entnervt sage, daß wir gerade von dort kommen, greift der Mann zum Hörer und fragt bei den Schweizern nach. Kopfschüttelnd kommt er zurück und meint, er mache jetzt etwas völlig Sinnloses. Aber für Maralal reiche es, wenn nur möglichst viele Stempel und Unterschriften auf dem Papier sind. Dankend verlasse ich die Botschaft.

Lketinga will wissen, warum al e meine Papiere nicht gut finden. Mir fällt keine Antwort ein, und so wächst sein Mißtrauen gegen mich. Nun trotten wir wieder in einen anderen Bezirk zum Nyayo-Gebäude für mein Visum, das in zehn Tagen abläuft. Meine Beine sind wie bleischwere Klumpen, aber ich will das Visum in den verbleibenden anderthalb Stunden bekommen. Im Nyayo-Gebäude heißt es wieder Formulare auszufüllen. Jetzt bin ich froh um unsere Begleitung, denn mein Kopf schwirrt, und ich kapiere nur jede zweite Frage einigermaßen. Lketinga, der von al en angestarrt wird in seiner Aufmachung, hat seinen Kanga tief ins Gesicht gezogen.

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