Wir warten, daß ich aufgerufen werde. Die Zeit vergeht. Schon über eine Stunde sitzen wir in der stickigen Halle. Das Geschwätz der Menschenmenge kann ich kaum mehr ertragen. Ich schaue auf die Uhr. In fünfzehn Minuten schließt das Office, und morgen fängt die Warterei von vorne an.
Endlich jedoch wird mein Paß in die Höhe gehalten. „Miß Hofmann!“ ertönt eine resolute Frauenstimme. Ich zwänge mich zum Schalter. Die Frau schaut mich an und fragt, ob ich einen Afrikaner heiraten wolle.
„Yes!“ ist meine knappe Antwort. „Where is your husband?“
Ich zeige in die Richtung, wo Lketinga steht. Die Frau fragt belustigt, ob ich tatsächlich die Frau eines Massai werden wol e. „Yes, why not?“
Sie geht und kommt mit zwei Kolleginnen zurück, die ebenfal s auf Lketinga und dann auf mich starren. Alle drei lachen. Ich stehe stolz da und lasse mich von ihren Unverschämtheiten nicht kränken. Endlich klatscht der Stempel auf eine Seite des Passes, ich habe mein Visum. Höflich bedanke ich mich, und wir verlassen das Gebäude.
Malaria
Draußen ist die Luft stickig, und die Autoabgase sind mir noch nie so unangenehm aufgefallen wie heute. Es ist sechzehn Uhr, alle meine Papiere sind in Ordnung. Ich möchte mich so gerne freuen, aber ich bin zu erschöpft. Wir müssen zurück in die Gegend, wo wir ein Lodging finden können. Schon nach einigen hundert Metern wird mir schwindlig. Meine Beine drohen wegzusacken. „Darling, help me!“
Lketinga fragt: „Corinne, what's the problem?“
Alles dreht sich. Ich muß mich setzen, doch es gibt kein Restaurant in der Nähe.
Ich lehne mich an ein Schaufensterbrett und fühle mich elend und enorm durstig.
Lketinga ist es peinlich, denn die ersten Passanten bleiben stehen. Er will mich weiterziehen, doch ich schaffe es nicht, ohne gestützt zu werden. Sie schleppen mich in Richtung Lodging. Plötzlich bekomme ich Platzangst. Die Leute, die mir entgegenkommen, verschwimmen vor meinen Augen. Und diese Gerüche! An jeder Ecke brät jemand Fisch, Maiskolben oder Fleisch. Mir ist schlecht. Wenn ich nicht sofort von dieser Straße wegkomme, muß ich mich auf der Stelle übergeben. Eine Bierbar ist in der Nähe. Wir gehen hinein. Ich will ein Bett. Zuerst wollen sie mir keines geben, doch als unser Begleiter sagt, daß ich nicht mehr gehen kann, führen sie uns in den oberen Stock in ein Zimmer.
Es ist ein typisches Stundenhotel. Im Zimmer hört man das Gedudel der Kikuyu-Musik fast so laut wie im unteren Stock an der Bar. Ich lasse mich auf das Bett fal en, und augenblicklich ist mir übel. Ich deute an, daß ich erbrechen muß. Lketinga stützt mich und schleppt mich zur Toilette. Doch ich schaffe es nicht mehr. Schon im Gang stürzt die erste Fontäne aus meinem Mund. Auf der Toilette geht es weiter. Ich würge, bis nur noch gelbe Galle kommt. Mit schlotternden Beinen kehre ich ins Zimmer zurück. Mir ist die Schweinerei peinlich. Ich lege mich ins Bett und habe das Gefühl zu verdursten. Lketinga besorgt mir Schweppes. Ich leere die Flasche in einem Zug, dann noch eine und noch eine. Plötzlich friere ich. Ich friere, als säße ich in einem Kühlschrank. Es wird immer schlimmer. Meine Zähne klappern so sehr, daß mein Kiefer schmerzt, aber ich kann es nicht abstel en. „Lketinga, I feel so cold, please give me blankets!“
Lketinga gibt mir die Decke, doch es nützt nichts. Jomo geht und bringt zwei weitere Decken vom Lodging. Trotz der vielen Decken hebt sich mein steifer, klappernder Körper vom Bett ab. Ich will Tee, ganz, ganz heißen Tee. Ich habe das Gefühl, es vergehen Stunden, bis ich ihn endlich bekomme. Weil ich so zittere, kann ich ihn kaum trinken. Nach zwei, drei Schlucken dreht sich mein Magen schon wieder um. Doch aus dem Bett kann ich nicht mehr. Lketinga eilt und holt eines der Waschbecken, die überall in den Duschen stehen. Ich erbreche al es, was ich getrunken habe.
Lketinga ist verzweifelt. Er fragt mich dauernd, was los sei, doch ich weiß es auch nicht. Ich habe Angst. Der Schüttelfrost hört auf, und ich falle wie Pudding in die Kissen. Mein ganzer Körper schmerzt. Ich bin so erschöpft, als wäre ich Stunden um mein Leben gerannt. Jetzt spüre ich, wie ich heiß werde. Nach kurzer Zeit bin ich am ganzen Körper patschnaß. Meine Haare kleben am Kopf. Ich habe das Gefühl, ich verglühe. Nun will ich kaltes Cola. Wieder stürze ich das Getränk hinunter. Ich muß auf die Toilette. Lketinga bringt mich hin, und schon geht der Durchfal los. Ich bin froh, daß Lketinga bei mir ist, obwohl er völlig verzweifelt ist. Wieder im Bett will ich nur schlafen. Ich kann auch nicht sprechen. Vor mich hindösend lausche ich den Stimmen der beiden, die leiser sind als das Gedudel unten an der Bar.
Ein neuer Anfall bahnt sich an. Die Kälte schleicht in meinen Körper, und kurz darauf klappere ich schon wieder. Voller Panik halte ich mich so gut es geht am Bett fest. „Darling, help me!“
flehe ich. Lketinga legt sich mit seinem halben Körper auf mich, und ich zittere weiter. Unser Begleiter steht daneben und meint, ich hätte wohl Malaria und müsse in ein Spital. In meinem Kopf dröhnt es: Malaria, Malaria, Malaria! Von einer Sekunde zur anderen höre ich auf zu zittern und schwitze aus al en Poren. Die Bettlaken sind richtig naß. Durst, Durst! Ich muß trinken. Die Lodging-Vermieterin steckt den Kopf ins Zimmer. Als sie mich sieht, höre ich „Mzungu, Malaria, Hospital“.
Doch ich schüttle den Kopf. Hier in Nairobi will ich nicht in ein Spital. Ich habe soviel Schlimmes gehört. Und dann Lketinga! Er ist verloren al ein in Nairobi.
Die Zimmerwirtin geht und kommt mit Malariapulver zurück. Ich trinke es mit Wasser und bin müde. Als ich wieder erwache, ist al es dunkel. Mein Kopf brummt.
Ich rufe Lketinga, doch niemand ist hier. Nach weiteren Minuten oder Stunden, ich weiß es nicht, kommt Lketinga ins Zimmer. Er war unten an der Bar. Ich rieche die Bierfahne, und schon dreht sich mein Magen von neuem. Während der Nacht löst ein Schüttelfrost den anderen ab.
Als ich am Morgen aufwache, höre ich die beiden diskutieren. Es geht um das Fest zu Hause. Jomo kommt ans Bett und fragt, wie es mir geht. Einfach schlecht, erwidere ich.
Ob wir denn heute nicht zurückfahren? Für mich ist das unmöglich. Ich muß auf die Toilette. Meine Beine wackeln, ich kann kaum stehen. Ich sol te essen, geht es mir durch den Kopf.
Lketinga geht hinunter und kommt mit einem Tel er Fleischbrocken zurück. Als ich das Essen rieche, verkrampft sich mein Magen, der inzwischen höl isch schmerzt. Ich übergebe mich schon wieder. Außer etwas gelber Flüssigkeit kommt nichts mehr, aber gerade diese Art von Brechen schmerzt gräßlich. Durch die Würgerei setzt auch noch der Durchfall ein. Mir ist hundeelend, und ich habe das Gefühl, meine letzten Stunden sind gezählt.
Am Abend des zweiten Tages schlafe ich während der Hitzewellen ständig ein und verliere jegliches Zeitgefühl. Das Gedudel geht mir so auf den Geist, daß ich heule und mir die Ohren zuhalte. Jomo wird wohl alles zuviel, denn er meint, er gehe Verwandte besuchen, sei aber in drei Stunden zurück. Lketinga zählt unser Bargeld, und mir ist, als würde einiges fehlen. Aber es ist mir gleichgültig. Mir wird langsam klar, wenn ich jetzt nichts unternehme, werde ich Nairobi, ja nicht einmal dieses schreckliche Lodging überleben.
Lketinga geht los, um Vitamintabletten und das einheimische Malariamittel zu holen. Die Tabletten würge ich hinunter. Wenn ich breche, schlucke ich sofort wieder eine. Mittlerweile ist es Mitternacht, und Jomo ist immer noch nicht zurück. Wir machen uns Sorgen, da Nairobi in dieser Gegend gefährlich ist. Lketinga schläft fast nicht und kümmert sich liebevoll um mich.
Meine Anfälle haben durch das Mittel etwas nachgelassen, doch bin ich so schwach, daß ich nicht einmal meine Arme heben kann. Lketinga ist verzweifelt. Er wil unseren Begleiter suchen gehen, doch das ist Irrsinn in dieser Stadt, in der er sich nicht auskennt. Ich flehe ihn an, bei mir zu bleiben, sonst bin ich ganz al ein. Wir müssen Nairobi, sobald es geht, verlassen. Wie Bonbons verschlinge ich die Vitamintabletten. Langsam wird mein Kopf etwas klarer. Wenn ich hier nicht verrecken will, muß ich meine letzte Kraft zusammennehmen. Ich schicke meinen Darling los, mir Früchte und Brot zu kaufen. Nur nichts, das nach Essen riecht! Ich zwinge mich, Stück für Stück hinunterzuschlucken. Meine gesprungenen Lippen brennen höl isch beim Essen der Früchte, doch muß ich Kraft sammeln, um weggehen zu können. Jomo hat uns im Stich gelassen.