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Doch der Holzschuppen war zu Asche verbrannt, mit all seinen Spielen und den schlurfenden Geistern darin.

Dies hier war Ernst. Marit lief die ganze Umgebung ab und fand zwei weitere Orangenbäume. Als sie mit ihrer Ausbeute zurückkam, saß ein rot-schwarzer Leguan auf der Steinbank und trank Wasser aus der Vertiefung darin.

»Uwe?«, fragte Marit ungläubig.

Uwe sah auf und schien zu nicken. Er fand es offenbar sehr bequem, dass er einmal kein Salz aus dem Meerwasser zu filtern brauchte. Hinten in der Höhle, wo die Schatten am kühlsten waren, entdeckte Marit einen Pinguin, der damit beschäftigt war, mit seinem Schnabel eine Guave zu bearbeiten. »Ich glaube nicht, dass Pinguine Guaven essen«, sagte Marit.

»Dann müssen wir ihm wohl einen Oktopus abgeben«, sagte José hinter ihr. Sie fuhr herum. Neben José saß Kurt, erschöpft von dem langen Fußmarsch. »Er wollte unbedingt mitkommen«, sagte José und seufzte. »Dein ganzer kleiner Zoo hat sich wieder eingefunden, was? Alle außer Chispa und Eduardo. Aber … was ist das?«

Oskar kam aus den Schatten gewatschelt, und neben ihm watschelte noch jemand: ein Vogel mit sehr großen blauen Füßen. Er musterte Marit, musterte José und verschlang dann einen Tintenfisch.

»Ein Tölpel!«, sagte Marit und ging in die Knie. »Ein Blaufußtölpel! Das waren Julias Lieblingstiere aus dem Buch von Mamas Professor! Ich dachte nicht, dass ihre Füße soblau sind.«

Der Tölpel betrachtete seine Füße ebenfalls und schien zufrieden mit ihrer Bläue.

»Nenn ihn Loco«, sagte José. »Der Verrückte. Er muss verrückt sein, wenn er freiwillig bei so einem wahnsinnigen Zoo einzieht.«

Als die Dunkelheit kam, loderte das Feuer hell in der Mitte der Höhle und der Geruch von bratendem Tintenfisch füllte sie aus. Es roch ein wenig nach verbranntem Gummi, aber Marit schien es an diesem Abend der schönste Duft der Welt.

Sie kochten in dem Topf Tee aus Blättern, von denen José behauptete, sie seien höchstwahrscheinlich ungiftig, und saßen auf der Steinbank und fütterten Carmen mit Orangenstückchen. Der Blaufußtölpel saß so nah am Feuer, wie es irgend ging, und schien im Schein der Flammen seine eigenen Füße zu bewundern.

»Ist das nicht seltsam?«, sagte Marit, als sie später auf dem notdürftigen Lager aus Zweigen und Blättern lagen, den schlafenden Zoo um sich versammelt. »Es ist, als wären wir ein altes Ehepaar mit einer Menge merkwürdiger Kinder.«

Da setzte José sich auf.

»Nein!«, sagte er mit unerwarteter Heftigkeit.

»Nein?«

»Eins musst du wissen«, fuhr José fort, etwas weniger heftig. »Wir haben alles geteilt auf unserer Reise und wir werden alles teilen auf dieser Insel. Aber du wirst immer meine Schwester sein. Nichts anderes.«

»Natürlich«, antwortete Marit überrascht, und dann begriff sie und lachte. »Das alte Ehepaar war nur ein dummer Witz«, sagte sie. »Keine Sorge! Ich habe nicht vor, dir einen Heiratsantrag zu machen. Ich kann gar nichts anderes brauchen als einen Bruder. Aber den, den brauche ich sehr.«

Am nächsten Morgen saß ein großer gelber Hund im Höhleneingang.

»Marit«, sagte José leise. »Ist das wieder so ein Tier, das dir zuläuft?«

»Ich weiß nicht«, flüsterte Marit. »Woher kommt ein Hund auf einer unbewohnten Insel?«

»Es ist ein wilder Hund«, sagte José. »Die Piraten haben seine Vorfahren hergebracht. Genau wie die Rinder und die Ziegen auf den Inseln, die Schweine und Katzen …«

Marit stand auf und ging auf den Hund zu. »Möchtest du gezähmt werden?«, fragte sie.

Der Hund fletschte die Zähne und ein tiefes, heiseres Knurren drang aus seiner Kehle. Marit wich zurück. Er folgte ihr in die Höhle, noch immer knurrend.

Da stand José auf, klatschte in die Hände und schrie: »Verschwinde, Mistköter!«

Das half. Der Hund machte kehrt und floh aus der Höhle und der Wald verschluckte ihn wie einen Albtraum.

José schüttelte den Kopf. »Die Abuelita würde sagen, das war kein gewöhnlicher Hund«, sagte er. »Sie würde sagen: Das war ein Zeichen. Etwas wird geschehen … Aber die Abuelita redet gewöhnlich Unsinn.

Er reichte Marit eine Frühstücksorange und eine Glasscherbe, um die Orange zu schälen, und eine Weile saßen sie schweigend in der Morgensonne, die durch das Blätterdach fiel und grüne Muster auf die Erde vor der Höhle malte. Marit lutschte an ihrer Orange und folgte den grünen Mustern mit den Augen. Und plötzlich entdeckte sie noch eine andere Sorte von Muster.

»José«, flüsterte sie. »Siehst du das? Hier auf dem Höhlenboden?«

José nickte, und sie sah, wie er blass wurde. Es waren Spuren. Nicht die Spuren eines Hundes. Die Spuren von Menschen, kaum sichtbar auf der festgetretenen Erde, aber eindeutig vorhanden.

»Jemand war hier, José«, flüsterte Marit. »Jemand mit Schuhen ohne Profil. Es kann nicht so lange her sein. Vielleicht ist heute Nacht jemand hier vorbeigegangen. Während wir schliefen. Der Topf und die Glasscherben, sie sind nicht so alt, wie wir dachten. Und der Hund, José … wenn es kein wilder Hund war? Wenn er jemandem gehört?«

José holte tief Luft. »Es wird Zeit«, sagte er mit grimmiger Entschlossenheit, »dass wir herausfinden, was hier los ist. Wir brauchen nur den Spuren zu folgen.«

Marit nickte, obgleich ihr nicht wohl dabei war. »Folgen wir den Spuren.«

Doch die Spuren der profillosen Schuhe wurden nach zwei Metern von einem Teppich aus Laub verschluckt. Kurt, Uwe, Oskar, Carmen und Loco saßen aufgereiht im Höhleneingang, als Marit vom Boden aufsah. Es war, als fragten sie: »Seid ihr fertig damit, auf dem Boden herumzuschnüffeln? Und was habt ihr als Nächstes für seltsame Dinge vor?«

»Wir könnten in die ungefähre Richtung gehen, aus der sie kommen«, meinte José.

»Nein, warte«, sagte Marit. »Die Quelle! Wenn jemand hier ist, muss er irgendwann zur Quelle kommen, um Wasser zu holen.«

»Gut«, sagte José entschlossen. »Wir trennen uns. Ich gehe in die Richtung, aus der die Spuren kommen, und du versteckst dich bei der Quelle.«

Marit steckte Carmen in die Tasche und hob Oskar hoch.

»Nimm ihn mit«, sagte sie. »Es ist nicht gut, allein durch den Wald der Isla Maldita zu gehen.«

José grinste. »Mit einem so wehrhaften Wachpinguin ist es natürlich vollkommen sicher«, sagte er. »Genauso sicher wie mit deiner Kampfratte.« Gerade da flog Loco auf und setzte sich auf Marits Schulter. »Und mit einem Jagdtölpel.«

Marit nickte. »José, ist es wirklich klug, dass wir uns trennen?«, fragte sie.

Er grinste sein breitestes Grinsen. »Wir trennen uns ja nicht für ewig«, sagte er und streckte die Hand aus, und einen Moment dachte sie, er wollte ihr durchs Haar streichen. Doch er streichelte den Blaufußtölpel auf ihrer Schulter.

»Nein«, sagte sie und schluckte. »Wir trennen uns nicht für ewig.«

Und sie bemühte sich, ebenfalls zu grinsen. Aber sie hatte ein schlechtes Gefühl. Als wäre ihr letzter Satz eine Lüge.

José ging lange Zeit in die Richtung, aus der die Spuren kamen, ohne etwas zu finden.

Oskar saß auf seinem Arm und betrachtete die Bäume und Schlingpflanzen ringsum voller Verwunderung. Schließlich merkte José, dass er abwärtsging, und kurz darauf war er wieder am Strand. An einem anderen Stück Strand. Doch dieses Stück Strand war so unbewohnt wie jenes, an dem sie in der ersten Nacht geschlafen hatten. Er seufzte, setzte Oskar ab und sah zu, wie er über den Sand watschelte und ins Wasser tauchte.

Ein Dröhnen in der Luft ließ ihn zusammenzucken. Er hob den Kopf. Ein Flugzeug. Dort oben flog ein Flugzeug in einer schnurgeraden Linie durch den Himmel. Die metallenen Tragflächen fingen die Sonne ein, sie funkelten wie Juwelen, und José spürte ein schmerzhaftes Ziehen in seinen Eingeweiden. Wie gern wäre er dort oben gewesen, hoch in der Luft! Wie gern hätte er die Maschine selbst durch das Blau gesteuert, frei wie die Fregattvögel … Würde er je nach Baltra zurückkehren, um zu fliegen?

Das Dröhnen des Flugzeugmotors wurde leiser und versickerte in der dunstigen Ferne. Und dann hörte José etwas anderes. Er hörte einen Schrei. Jemand schrie, irgendwo hinter ihm im Wald, weit entfernt. Er verstand die Worte nicht, doch es war ein hoher und angsterfüllter Schrei, und José merkte, wie die Haare auf seinen Armen sich aufstellten.

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