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»Das ist Halligens Sache«, teilte er mit verschlossenem Gesicht mit. Er musterte mich grimmig. »Ich habe mir eben die Röntgenaufnahmen angesehen. Ich hatte Ihnen nicht geglaubt, was den Unfall anging. Ich habe mich geirrt. Der Schläfenknochen war eingedrückt.«

»Ich frage mich, wie er das überlebt hat«, sagte ich.

»Hertzog hat behauptet, dass jemand, der über einen Zeitraum von mehreren Jahren infiziert war, wie ein Stück Boden ist, durchsetzt mit den Wurzeln einer Pflanze. Der Farmer in Idaho war bestenfalls ein paar Wochen infiziert und Sie waren ja dabei, was passierte, als Hertzog ihn aufschneiden wollte.«

»Steel hätte einen EBE-Test bestanden«, vermutete ich. Es war noch gar nicht lange her, da war ich sehr stolz auf diesen Test gewesen, den ich in meiner aktiven Zeit bei Majestic entwickelt hatte, um von Ganglien befallene Personen zu enttarnen. Der Test hatte sich durchaus als hilfreich erwiesen, wenn er auch viel zu wenig eindeutig war, um mehr als ein Hilfsmittel zu sein: Er beruhte auf einem Wechselspiel sinnvoller und unsinniger Fragen, die Befallene in charakteristischer Art aus dem Tritt bringen konnte. Das war natürlich nichts im Vergleich zu Kims Fähigkeit, Befallene direkt zu spüren. Wenn ich Bach Kims Fähigkeit offenbarte, würde er sie künftig als lebendes Messgerät missbrauchen – die Frage war nur, ob sie ihr nicht gerade im Moment etwas Schlimmeres antaten.

»Sie und Ihr EBE-Profil«, spottete Bach. »Sie sind verdammt stolz darauf, was? Ein paar Bögen Papier mit sinnlosen Fragen und ein paar Empfehlungen. In den ersten Wochen nach der Implantation ist Ihr Test vielleicht sogar nützlich, aber spätestens nach einem Jahr...« Er ließ den Satz unbeendet. »Hertzog nennt die Tage unmittelbar nach der Implantation das Alpha-Stadium und die folgende Periode Beta.« Als ich ihn fragte, wie lange das Beta-Stadium dauert, konnte er mir keine Antwort geben. Er sagte nur, dass irgendwann eine ART-Behandlung nicht mehr möglich sei. Dann, so erklärte er mir, hätten wir es mit einem Gamma zu tun.

»War Steel ein Gamma?«

Bach versuchte einen weiteren Rauchring. »Ich weiß nicht, was Steel war. Ich bezweifle, dass Hertzog es weiß.« Er wirkte plötzlich bedrückt. »Ich wünschte, der verdammte Kerl wäre tot«, sagte er aufrichtig.

»Er ist noch immer am Leben?«

»Laut Halligen ist sein Zustand stabil. Er ist im Koma. Das EEG ist so flach wie die Kornfelder von Oklahoma nach heftigen Regenfällen. Nach allem, was wir wissen, könnte er bis zum jüngsten Tag im gegenwärtigen Zustand bleiben.« Bach atmete tief ein. »Und ich frage mich, wann ich es seiner Frau sagen soll.«

»Er ist verheiratet?«

Bach warf mir einen schwer zu deutenden Blick zu. »Finden Sie das so erstaunlich?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Sie können sie ja anlässlich des tröstenden Gespräches einer EBE unterziehen«, parierte ich.

Er zuckte tatsächlich zusammen. Er starrte mich für einige lange Sekunden an und schüttelte dann verwundert den Kopf. »Sie sind ein richtiger Mistkerl, wenn Sie es drauf anlegen«, sagte er ganz ruhig.

»Ich hatte einen guten Lehrer«, hielt ich dagegen.

Er schien eine Entgegnung in Erwägung zu ziehen und ließ das Thema dann doch auf sich beruhen, einfach so. Er zog den Stuhl neben sich vom Tisch weg und nahm etwas von der Sitzfläche, das er mir achtlos hinwarf. Es war ein dunkelbrauner Aktendeckel, der säuberlich mit einem maschinengeschriebenen Etikett beschriftet war, zu klein allerdings, als dass ich es hätte entziffern können.

»Kimberley Sayers«, sagte er. »Erzählen Sie mir, was ich wissen muss.«

Ich starrte auf den Aktendeckel und tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. »Ist das ihre Akte?«, fragte ich. »Ist Kim der Grund, warum Sie mit mir sprechen wollten?«

Bach lehnte sich zurück und blies genüsslich den Zigarettenrauch aus Mund und Nase. »Nein«, sagte er schließlich. »Das ist nicht die Akte Ihrer Freundin. Jedenfalls nicht das, was Sie unter einer Akte verstehen würden. Nein.« Er beugte sich wieder vor und sah mir geradewegs in die Augen. »Es sind Aufzeichnungen von Hertzog.«

Ich versuchte ruhig zu bleiben, spürte aber, wie wenig mir das gelang. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, hätte Bach am Revers gepackt und kräftig durchgeschüttelt. Jede Sympathie, die ich für ihn empfunden haben mochte, war wie weggewischt. »Was genau soll das heißen?«, fragte ich. Meine Stimme klang in meinen eigenen Ohren seltsam rau und heiser.

»Hertzog ist ein durchaus schlauer Kopf«, sagte Bach statt einer direkten Antwort. »Kein theoretisierender Wissenschaftler, sonder ein Pragmatiker, der oft aus dem Bauch heraus handelt und damit mehr als einmal richtig gelegen hat.«

Meine Abneigung gegen Bach wuchs mit jedem Satz. Vielleicht war sein Katz-und-Maus-Spiel nur ein Beispiel seiner perfiden Art von Humor, um mir auf diese Weise zu demonstrieren, wie sehr er mir voraus war. Ich verzichtete auf einen Kommentar.

Bach nahm den Aktendeckel in die rechte Hand und wog ihn wie ein Steak, dessen Gewicht darüber Aufschluss geben soll, ob man es teilt oder in einem Stück zu braten gedenkt. »Wenn Sie das gelesen hätten, dann wüssten Sie, worüber ich mir Sorgen mache.«

Ich starrte ihn trotzig an. »Ich denke, Sie müssen sich über eine ganze Menge Dinge Sorgen machen. Kimberley dürfte auf Ihrer Prioritätenliste doch erst unter Position dreiundachtzig auftauchen.«

»Wie ich Prioritäten setze, sollten Sie mir schon lieber selber überlassen«, sagte Bach ohne jeden Ärger in der Stimme.

»Ach ja?«, versetzte ich und beugte mich ein Stück vor. »Und was war mit Kennedys Ermordung? War er nur eine unwichtige Randerscheinung, genauso wie Steels Verwicklung in Oswalds Hinrichtung?«

Bach runzelte die Stirn. »Hat Oswald für Sie eine höhere Priorität als Ihre Freundin?«, fragte er scharf. »Stand Ihnen John F. Kennedy näher als Kimberley Sayers? Halten Sie Ihre eigene persönliche Episode für den Nabel der Welt, der sich notfalls auch Majestic und der Rest der Welt unterzuordnen hat?«

Das war wieder einer der typischen Bachschen Volltreffer. Denn streng genommen hatte er vollständig Recht; streng genommen erwartete ich, dass Kim eine Sonderbehandlung zukam, nur weil es Kim war. In gewisser Weise hatte ich genau denselben Fehler gemacht, den ich ihm vorwarf – ich hatte meine eigene Bedeutung überschätzt.

»Was soll ich Ihrer Meinung nach tun, John?«, erkundigte sich Bach. Seine zusammengekniffenen Augen musterten mich mit einer Kälte, die mich schaudern ließ – wie die einer Schlange, kurz bevor sie zustößt. »Bezüglich ihres Bruders, der so plötzlich in die Geschichte hineingeschneit kommt, dass es fast schon peinlich ist. Was mache ich mit ihm?«

»Mit ihm machen?« Ich wusste, dass er mich in der Falle hatte, und er wusste, dass ich es wusste. Er hatte mich ein weiteres Mal ausmanövriert, Drohung gegen die Dame, Schach und matt. Er würde mich für jede meiner scharfen Anklagen zahlen lassen, Silbe für Silbe. Ich sah es ganz deutlich vor mir. Er würde mir jedes einzelne Wort die Kehle wieder hinunterwürgen. Nein, schlimmer noch, er würde Ray und Kim dafür zahlen lassen, dass ich an seiner Maske herumgezerrt hatte. Ich hatte an seiner Kontrolle gerüttelt, seinen Nimbus beschädigt. Bach hatte einen Fehler gemacht, als er mich in den inneren Kreis geholt hatte, vermutlich gegen den ausdrücklichen Rat von Albano und seinen anderen Vertrauten. Jetzt wollte er seinen Fehler um jeden Preis wieder ausbügeln und wenn er mich dabei zu Staub zerdrücken musste, dann würde er keine Sekunde zögern.

Bach ließ sich Zeit. Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, stieß eine Rauchwolke durch die Nase aus und sah mich durch den grauen, allmählich auseinander treibenden Schleier hindurch an. Er betrachtete mich ohne Freundlichkeit. Es dauerte lange, bis er den Faden wieder aufnahm, aber als er es tat, klang seine Stimme um keinen Deut weniger leutselig als zuvor.

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