»Wir können ihn schlecht einfach wieder zurück schicken«, sagte er. »Dazu ist er bereits zu tief in die Sache verstrickt.«
»Wie sind Sie überhaupt auf ihn gekommen?«, fragte ich.
Bach leistete sich den Luxus eines leichten Lächelns. »Reine Routine. Wir hatten uns schon längst an seine Fersen geheftet, als er selbst noch gar nicht auf die Idee gekommen war, nach Washington zu fahren. Er war eine Schwachstelle, durch die wir früher oder später an Sie und Ihre Freundin kommen mussten.« Er beugte sich ein Stück vor und blies einen Rauchschwaden direkt in meine Richtung. »Glauben Sie, dass Ihre Freundin, sagen wir, geheilt ist?«, erkundigte er sich, abrupt das Thema wechselnd.
»Die ART war erfolgreich«, erinnerte ich ihn ohne Hoffnung. »Ihre Leute haben die Reste des Ganglions vom Boden gekratzt.«
»Natürlich«, sagte er. »Wissen Sie, Loengard, ich verstehe nicht alles, was Hertzog oder auch Halligen in ihre Berichte schreiben, und beide wissen im Grunde auch nicht mehr als irgendjemand sonst.« Er zündete sich umständlich die nächste Zigarette an, die er nun schon seit einigen Minuten zwischen den Fingern gedreht hatte. »Nehmen Sie zum Beispiel sich selbst«, sagte er in einem neuerlichen Schwall von Tabaksqualm. Die Wellen und Luftwirbel, die seine Worte im Rauchschleier hervorriefen, erinnerten mich an die schimmernden Reflexe auf der Folie. Ich hatte das Artefakt fast vergessen, das Bach nun wieder an sich genommen hatte, diesen einzigen Beweis der Existenz einer überlegenen Technologie, den ich unbedingt zu Robert Kennedy hatte bringen wollen. Wie unwichtig das plötzlich alles war.
»Was ist mit mir?«, fragte ich.
»Sie haben Brandon gesehen«, sagte Bach, »und Steel. Und Ruby, wie ich höre. Sie haben womöglich mehr Kenntnisse aus erster Hand als die meisten hier und sicherlich mehr als Halligen. Sie haben miterlebt, was ein einzelnes Ganglion anrichten kann und was aus den Infizierten wird.« Sein Blick war so stetig wie erbarmungslos. »Nun sagen Sie mir, wie sie die Chancen einschätzen, dass ein Mensch davon geheilt werden kann.«
»Kimberley ist geheilt«, beharrte ich.
»Da spricht Ihr Herz, John«, stellte er fest. »Lassen Sie Ihren Verstand sprechen. Kann ein Mensch wirklich geheilt werden, wenn er einmal infiziert wurde?«
»Beweisen Sie mir das Gegenteil«, forderte ich.
»Sehen Sie sich die Prozedur doch an. Ein kruder Humbug, kaum erprobt, ein Einfall von Hertzog nach ein paar Tests an Gewebeproben, der rein zufällig funktionierte und bislang in etwa dieselbe Erfolgsquote aufweist wie der bei den Ärzten früherer Jahrhunderte beliebte Aderlass.«
»Kimberley hat überlebt«, hielt ich wütend dagegen. »Das wäre wohl kaum der Fall, wenn Hertzog ihr das Ganglion chirurgisch entfernt hätte.«
»Wenn er es getan hätte, wären wir immer noch nicht sicher«, entgegnete Bach. »Wir konnten in keinem Fall ein Ganglion vollständig entfernen, das wissen wir jetzt. Wie kann ein Patient da von einer ART geheilt werden?«
»Wozu ist die ART-Behandlung sonst gut?«
»Reden wir über chirurgische Eingriffe.« Bach nahm einen tiefen Zug. »Wozu schneidet ein Chirurg einen Tumor aus dem Körper eines Menschen? In neunzig Prozent der Fälle zögert er das unvermeidliche Ende nur heraus. Es gibt meistens Metastasen. Der Eingriff verschafft dem Kranken ein wenig mehr Zeit, aber in den meisten Fällen trägt schließlich der Krebs den Sieg davon.«
»Ist das nicht genug?«, fragte ich verzweifelt. »Sollen wir den Kampf aufgeben, nur weil wir keine Erfolgsgarantien haben? Ich werde kämpfen, solange ich lebe, für Kim und für mich selbst und wenn Sie schon nicht auf unserer Seite stehen, dann gehen Sie uns um Himmels willen aus dem Weg. Kimberley ist in Ordnung. Die ART war erfolgreich, verdammt!«
»Sie müssen nicht schreien«, sagte Bach milde.
»Die Wände sind schalldicht«, hielt ich dagegen. »Wen kümmert es?«
Er fixierte mich nachdenklich. Ich suchte in seinem Gesicht nach einem Zeichen, einem Hinweis und plötzlich verstand ich, dass mein Wutausbruch ihm ein Stück von dem gegeben hatte, was er haben wollte. Sobald ich die Beherrschung verlor, hatte ich aus seiner Sicht einen Teil seiner Überlegenheit wiederhergestellt. Ihm bereitete es Genugtuung, wenn ich schrie und tobte, war das doch ein offensichtliches Zeichen meiner Schwäche wie auch ein Zeichen seiner Stärke. Aber darum ging es jetzt gar nicht mehr. Es gab etwas, das für mich wichtiger geworden war als seine Anerkennung oder meine Selbstachtung.
»Kimberley ist in Ordnung«, wiederholte ich. »Ich weiß nicht, was morgen sein wird. Vielleicht sind wir morgen schon tot, vielleicht fallen wir in die Hände der Hive, vielleicht wird es einen Rückfall geben. Ich werde mich damit auseinander setzen, wenn es so weit ist. In der Zwischenzeit will ich nicht mehr als am Leben bleiben und mit ihr zusammen sein. Die Behandlung hat das Ganglion entfernt und wenn die Infektion dadurch nicht besiegt worden ist, dann wurde sie zumindest zum Stillstand gebracht.« Ich gab mir keine Mühe, den flehentlichen Unterton zu unterdrücken. »Ist das nicht genug?«
Bach verzog den Mund. »Für Sie mag das genügen«, sagte er. »In meinem Fall...« Er ließ den Satz unbeendet.
»Was wollen Sie tun?«, fragte ich tonlos.
»Majestic wird seine Vorgehensweise ändern müssen«, sagte er mit Bedauern. Es war womöglich sogar aufrichtig, soweit er dazu eben in der Lage war. »Wir können uns auf das Resultat einer ART nicht mehr verlassen.«
»Was wollen Sie machen, die Opfer lebenslang einsperren?« Ich sprang auf. »Wollen Sie sie anbinden und beobachten, so wie Steel?«
»Er wird nicht ewig in diesem Zustand bleiben.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fuhr ich ihn an. »Und was wollen Sie tun, wenn er Ihnen nicht den Gefallen tut, da unten auf diesem Seziertisch zu verrecken? Was wollen Sie tun, wenn er wieder erwacht? Ihn erschießen? Ihn in kleine Stücke zerschneiden und in Formaldehyd einlegen lassen?«
»Wir reden über Kimberley Sayers«, sagte Bach finster. »Oder liegt Steel Ihnen ebenso am Herzen?«
»Reden Sie keinen Mist.« Ich ließ meiner Wut freien Lauf. »Wie sollen denn die neuen Richtlinien aussehen, Bach? Ich will gar nicht wissen, welche gefällige Abkürzung sich die Metzger da unten im Kellergeschoss diesmal ausdenken, aber ganz egal, wie Sie es nennen, ich nenne es Mord. Sie werden diese Menschen töten, so wie Sie es mit Elisabeth Brandon und unzähligen anderen getan haben.«
»Jemand, der mit einem Ganglion infiziert wurde, ist so gut wie tot«, sagte Bach hart. »Was von dem Menschen noch übrig ist, verschwindet innerhalb weniger Wochen.«
»Was denn? Seine Seele?« Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und er zuckte zusammen. »Sind Sie in letzter Zeit zu oft in der Kirche gewesen, Frank? Wir reden hier nicht vom Teufel und den himmlischen Heerscharen. Wir sprechen von einer Krankheit. Wir reden von der Pest und von Ratten, nicht von Dämonen und Bannflüchen. Wollen Sie jetzt Knoblauchzehen und Silberkugeln an Ihre Männer ausgeben lassen?« Ich beugte mich über den Tisch und er wich tatsächlich ein Stück zurück, nur für einen Sekundenbruchteil und kaum merklich, aber ich hatte es wahrgenommen. »Diese Ganglien sind aus Fleisch und Blut. Ein verdammter Schleimpilz, den man zerstören kann. Ich habe einen davon mit meiner Schuhsohle über den Boden verteilt, bis man ihn kaum noch sehen konnte. Vielleicht kann eine ART nicht alles entfernen. Vielleicht bleiben Narben zurück oder kleine Reste. Vielleicht kann unter ungünstigen Umständen eine erneute Infektion aus diesen Überresten entstehen. Was wollen Sie tun? Wollen Sie jeden erschießen lassen, der jemals mit einem Ganglion in Berührung gekommen ist? Dann müssen Sie bei mir anfangen und bei sich selbst. Wollen Sie jeden verbrennen, der des Teufels ist? Sind Ihre Leute schon dabei, Holz für die Scheiterhaufen zu sammeln?«
Er blies mir den Rauch ins Gesicht. »Wir haben die Leichen schon immer einäschern müssen«, sagte er kalt.