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Catherine sah ihr lange nach. Als die Abendkühle sie schaudern ließ, trat sie ins Haus. Wie leer es ohne ihn war! Sie würde also nicht nach Falmouth zurückkehren, sondern hier auf ihn warten. Sein geringes Gepäck deutete in der Tat auf eine kurze Reise. Für einen längeren Auftrag hätte er mehr von den Seidenhemden mitnehmen müssen, die sie ihm in London gekauft hatte.

In der Halle traf sie Yovell.»Würden Sie mir bitte einen Gefallen tun?«fragte sie ihn.»Und heute abend mit mir essen?»

Er war überrascht.»Das ist eine große Ehre für mich«, sagte er schließlich und versuchte, den Blick von ihrem offenen Haar zu wenden, von ihren lächelnden Augen.

«Sie müssen aber auch dafür bezahlen«, sagte sie.»Sie müssen mir dabei alles über den Mann erzählen, den ich liebe.»

Er setzte seine Brille ab und polierte sie. Dann nickte er. Was war das nur für eine wunderbare Frau, die der Admiral da gefunden hatte, dachte er. Alles Gerede, all die Gerüchte konnten seinetwegen zum Teufel gehen.

Um vier Uhr morgens stieg Bolitho in Dover aus der Kutsche. Die schnelle Fahrt hatte ihn durchgeschüttelt. Er reckte die steifen Glieder und schmeckte die salzige Luft.

Zwei Seeleute waren aus der Dunkelheit aufgetaucht und trugen unter Alldays Aufsicht seine Seekiste ins Wachhäuschen. Er blickte zum Himmel. Dover Castle dort oben sah aus wie ein Teil des Berges und erinnerte ihn an den Tafelberg bei Kapstadt.

Allday keuchte und unterdrückte einen Hustenanfall. Der war sicher genauso froh, heil in Dover angekommen zu sein. Die Straße war zum Glück leer gewesen, denn der Kutscher hatte die Pferde wie wild angetrieben. Offenbar war er solche nächtlichen Fahrten mit Kutschen gewöhnt, die niemand sehen sollte und die weder Namen noch Wappen trugen.

«Halt! Stehenbleiben! Wer da?»

Bolitho ließ den Mantel von den Schultern gleiten, trat in den Lichtschein einer erhobenen Laterne und zeigte seine Schulterstücke. Gleich darauf hörte er Jenours Stimme und sah seine hellen Kniehosen ihm entgegeneilen.»Willkommen, Sir Richard! Wer hat Ihnen denn Flügel verliehen?»

Er schüttelte Jenours Hand, die so kalt war wie seine. Der kühle Herbst kündigte einen nahen Winter an.

Der Leutnant der Wache trat zu ihnen und tippte grüßend an seinen Hut.»Willkommen in Dover, Sir Richard.»

Bolitho spürte in der fremden Stimme Eifer und Neugier. Er hatte Dover nie sonderlich gemocht. Schon vor dreizehn Jahren war er hier gewesen, kurz vor Ausbruch des Krieges. Das Fieber, das ihn in der Südsee überfallen und beinahe getötet hatte, schwächte ihn damals noch. Trotzdem hatte er den undankbaren Auftrag bekommen, Seeleute zu rekrutieren und Deserteure zu fangen, die sich als Schmuggler betätigten. Aber vor allem hatte er damals in Dover gegen Geschäftemacher gekämpft, die mit den Schmugglern unter einer Decke steckten.

Jetzt merkte er erschreckt, daß die anderen auf ihn warteten.»Welches Schiff?«fragte er den Wachoffizier.

«Die Truculent, Sir Richard, unter Kapitän Poland. Sie liegt draußen vor Anker.»

So war das also. Entweder verlor man ein Schiff ganz aus den Augen, oder man traf es immer wieder. Er wußte, daß Truculent und Zest seinem Nordseegeschwader zugeteilt worden waren. Aber wann wurde die Black Prince endlich fertig? Und gab es irgendetwas bei diesem Geschwader, das Keen zum Schweigen brachte?

«Hier ist das Boot, Sir Richard. «Der Wachoffizier ging mit der Laterne voran. Sie war abgeblendet, als wimmle der Hafen von holländischen Spionen und französischen Agenten. Froh, wieder bei Bolitho zu sein, nahm Jenour seinen schnellen Schritt auf. Er hatte bei seinen Eltern in Southampton Urlaub gemacht und sich, als der Bote aus London kam, fast erleichtert gefühlt.

Als sie um die Ecke eines Proviantschuppens bogen, packte sie der Seewind mit gewohnter Macht. Bolitho verharrte an der Mole und musterte die Schiffe im Hafen. Der Gedanke ließ ihn frösteln: Von hier war der Feind keine zwanzig Meilen entfernt. Dover mußte ihm standhalten unter seinem dünnen Schirm von Kanonenbooten und einer schwachen Landwehr. Die Menschen an der Südküste dankten wahrscheinlich mehr als alle anderen in England den Blockadeschiffen, daß sie die Franzosen in ihren Häfen festhielten.

«Wie läuft die Tide?»

«Hochwasser in zwei Stunden, Sir Richard. «Der Mann schien überrascht von der präzisen Frage.

Also ein schneller Start. Aber wer würde ihm die Nachricht bringen, auf die es ankam?

«Seien Sie weiter wachsam, Leutnant. Das zahlt sich hier immer aus.»

Damit stieg er ins Beiboot, das ihm so gut bekannt war, setzte sich und begrüßte den Leutnant im Heck:»Sie haben wohl nicht erwartet, mich so bald wiederzusehen, was, Mr. Munro?»

Jenour hatte seinen Eltern immer wieder beschrieben, wie wichtig Bolitho seine Leute nahm. Sie dankten es ihm, wenn der Admiral sich an ihre Namen erinnerte und an das letzte Zusammentreffen. Auch Munro, der junge Zweite Offizier, würde nicht vergessen, daß der Admiral ihn mit Namen angesprochen hatte. Jenour schauderte trotz seines warmen Mantels. Eine durchwachte Nacht, Schiffe unbeleuchtet vor der Küste, ein geheimer Auftrag: dahinter konnte Gefahr und Tod lauern. Wie hielt Bolitho diese Spannung auf die Dauer aus?

«Da ist sie, Sir Richard!»

Bolitho drehte sich um, Wasser spritzte ihm von den Riemen ins Gesicht und vertrieb die Müdigkeit aus seinem Kopf. Über sich sah er Masten vor den ziehenden Wolken aufragen, hörte die Geräusche des Schiffes, das auf ihn wartete. Befehle hallten durch die Nacht, getragen von einem Wind, der bald kräftig zulegen und auf Südwest drehen würde. Blöcke quietschten und Pfeifen schrillten, signalisierten den Männern auf dem schlüpfrigen Deck oder auf den nassen Rahen, was sie zu tun hatten. Bolitho schaute hoch. Da oben war kein Platz für Ungeübte. Jemand schrie auf vor Furcht, aber ein Schlag ließ ihn verstummen. Kapitän Poland hatte hier sicherlich seine Besatzung aufgefüllt. Jedenfalls waren Landratten an Bord, die nun auf schmerzhafte Weise zu lernen begannen.

Bolitho dachte an Catherine. Die Zeit mit ihr war wieder viel zu kurz gewesen. Er hatte nicht lange genug nach einem Schmuck für sie suchen können, auch für eine Konsultation beim Arzt hatte die Zeit nicht gereicht, so wenig wie für seine Tochter Elisabeth, die er vor Jahren das letzte Mal gesehen hatte: ein Püppchen, das ihm kaum einen Blick schenkte.

«Boot ahoi!«scholl es durch die Nacht.

Alldays kräftige Stimme antwortete:»Flagge. Für Truculent!»

Bolitho konnte sich vorstellen, was jetzt an Bord geschah. Ohne Zweifel würde Kapitän Poland Offiziere und Männer auf Trab bringen, um den Admiral gebührend begrüßen zu können.

Der Buggast hakte an den Großrüsten ein, andere packten zu, um das Dümpeln des Bootes in der kräftigen Strömung zu dämpfen. Bolitho kletterte hinauf und trat durch die Pforte. Poland stand mit seinen Offizieren wie erwartet da, dem Anlaß entsprechend in großer Uniform — selbst zu dieser Nachtstunde.

Er schüttelte Poland die Hand.»Ich gratuliere Ihnen, Kapitän Poland.»

Im schwankenden Licht einer Laterne glitzerten jetzt zwei Epauletten auf den Schultern des Kommandanten. Er hatte endlich seinen vollen Kapitänsrang erreicht.

«Besten Dank, Sir Richard. Ihrem Bericht verdanke ich meine Beförderung.»

Bolitho sah, wie die Gig hochgehievt, über die Netze gehoben und in ihren Klampen festgezurrt wurde. Er spürte, wie schnell alles ging und wie eilig es die Fregatte hatte, Anker zu lichten.

«Das hier wird ganz anders als in Afrika«, sagte er.

Poland richtete sich auf, schien kurz zu prüfen, ob in Bolithos Worten eine Falle steckte, fand keine und gab zu:»Ich weiß nur das Ziel unserer Reise, Sir Richard, mehr nicht.»

Tröstend berührte Bolitho seinen Arm. Armer Poland. Wie so viele Kapitäne hatte er geglaubt, mit diesem Rang nun zum Kreis derer zu gehören, denen die da oben alles mitteilten. Aber dem war nicht so. Man bekam mit der zweiten Epaulette nur mehr Verantwortung, nicht mehr Informationen.

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