Литмир - Электронная Библиотека

Bolitho warf dem Veteran einige Goldmünzen in die Schale.»Gott schütze Sie. Was Sie taten, war nicht umsonst. «Ungläubig starrte der Mann auf die Goldmünzen hinab.»Ihr Mut und Ihre Erinnerungen werden Ihnen weiterhelfen.»

Bolitho drehte sich um. Da stand seine Kutsche. Catherine öffnete den Schlag, und er sprang hinein.»Ich dachte immer, ich kenne mich mit Menschen aus«, sagte er, als die Kutsche anfuhr.»Aber jetzt bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Eigentlich verstehe ich nur noch dich ganz.»

Catherine sah aus dem Fenster. Sie wußte, Herrick war in die Admiralität gegangen und sicherlich Bolitho begegnet. Alles weitere, auch den Zwischenfall mit dem jungen Dandy, brauchte ihr keiner zu erklären. Sanft sagte sie:»Dann wollen wir das Beste daraus machen.»

Tom Ozzard lehnte sich an eine steinerne Balustrade, um sich kurz auszuruhen. Er war seit Stunden unterwegs und hatte öfter die Orientierung verloren, doch sein Ziel stets vor Augen gehabt. Nun holte er tief Atem.

Jetzt war er in dem schäbigen Teil Londons, wo er lange gelebt hatte, dem Viertel am Fluß. Die Giebel der Häuser berührten sich fast über der Straße und ließen kaum Licht nach unten. Es stank nach Pferdemist und offenen Abwassergräben. Der Lärm war kaum zu ertragen.

Ihm gegenüber bot ein Mann brüllend frische Austern an. Drei Matrosen probierten sie und spülten sie mit dunklem Bier hinunter. Der Fluß war allgegenwärtig. Von der London Bridge bis zur Isle of Dogs lagen Handelschiffe Rumpf an Rumpf, ihre Masten und Rahen schwankten in der Strömung wie entlaubte Bäume.

In der Kneipe neben dem Austernverkäufer vergnügten sich Matrosen mit grell geschminkten Hafenhuren und betranken sich mit Bier und Genever. Die verrottende Leiche eines Piraten, der in Ketten am Galgen des Execution Docks hing, schien niemanden außer Ozzard zu stören.

Dies war seine Gasse. Damals war sie noch von ehrbaren Handwerkern und Händlern bewohnt gewesen und von ihm, dem Schreiber. Tagsüber hatte er bei einem Anwalt gearbeitet, abends für die Nachbarn.

Eigentlich war er verrückt, hierher zurückzukehren.

Wahrscheinlich lebten hier noch Menschen, die sich an ihn erinnerten. Aber die Gasse, das Haus und die schreckliche Szene hatten ihn so oft bis in seine Träume hinein verfolgt, daß er den Ort seiner Tat wenigstens noch einmal sehen mußte. Er musterte das Haus, sein ehemaliges Haus. An jenem blutigen Nachmittag hatte ihn der Anwalt früher heimgehen lassen, als Ausgleich für viele Überstunden. Schon seit Monaten mußte seine Frau ihm Hörner aufgesetzt haben. Sobald er ins Kontor nach Billingsgate aufgebrochen war, mußte ihr Liebhaber ins Haus geschlüpft sein. Warum hatte ihm kein Nachbar etwas davon gesagt, warum hatten alle geschwiegen?

Ihm wurde jetzt noch schlecht, wenn er an das Bild bei seiner Heimkehr dachte. Da lag seine Frau, so jung, so begehrenswert schön, nackt in den Armen ihres Liebhabers. Es war ein sonniger Tag wie der heutige gewesen. Er hatte die Küchenaxt genommen und auf die nackten Glieder eingeschlagen. Sie schrie, der Mann schrie, und als es in der Schlafkammer so aussah wie später im Gefecht auf den Schiffen Bolithos, hatte er die Axt fallen gelassen und war geflohen — mit blutbeschmierten Händen.

«Halt! Stehenbleiben!»

Ozzard hatte die schweren Schritte und das Klirren von Waffen nicht näherkommen gehört. Jetzt blockierte ihm ein Preßkommando den Fluchtweg. Die Werber waren, anders als in den Dörfern an der Küste, bis an die Zähne bewaffnet. Ein Stückmeister baute sich, einen Knüppel in der Faust und ein Entermesser locker im Gürtel, vor Ozzard auf.»Was haben wir denn hier?»

Er starrte Ozzards blaue Jacke mit den glänzenden Knöpfen an und musterte auch seine Schnallenschuhe, die sich Seeleute gern leisteten, wenn sie genügend Geld gespart hatten.»Du bist doch kein Seemann, Freundchen!«Der Riese drehte den kleinen Ozzard einmal um sich selbst.

«Aber ich diene doch. «beteuerte Ozzard kläglich.

«Zur Seite!«Der Leutnant bahnte sich einen Weg durch seine Männer und musterte Ozzard neugierig.»Rede, mein Freund. Die Flotte braucht Männer. Wenn du dienst, dann sag uns, wo!»

«Ich bin Diener bei Sir Richard Bolitho. «Ozzard sah den Leutnant an, ohne mit der Wimper zu zucken.»Er ist Vizeadmiral der Heimatflotte und zur Zeit in London.»

«Die Hyperion war doch sein letztes Schiff?«Der Leutnant sprach schon sehr viel freundlicher, und Ozzard nickte.»Dies ist keine Gegend für Bolithos Leute. Also weg von hier!»

Der Stückmeister sah den Leutnant fragend an, erntete Zustimmung und drückte Ozzard ein paar Münzen in die Hand.»Hier, trink ein Gläschen. Das hast du ja wohl verdient nach allem, was ihr auf der Hyperion durchgemacht habt.»

Was hätten die Werber wohl gesagt, hätte er ihnen erzählt, wie er damals den langen Weg nach Tower Hill gelaufen war, um auf ein Preßkommando zu treffen und in die Navy zu flüchten? Damals lauerten dort immer Kommandos auf der Suche nach Opfern. Ozzard starrte sein Haus an. Die Fenster spiegelten das Rot der untergehenden Sonne wie Blut. Er zitterte.

Das Preßkommando war verschwunden. Weiter weg rannten Füße, ein Schrei erklang — dann wurde es still. Die Werber hatten wohl ein Opfer gefunden, das morgen mit blutigem Kopf auf einem Wachschiff auf der Themse aufwachen würde. Achtlos ließ Ozzard die Münzen fallen und machte sich auf den langen Rückweg zu Lord Brownes Stadthaus. Die engen Gassen schluckten seine Gestalt schnell. Hinter ihm blieb das Haus drohend und dunkel zurück.

Ein paar Meilen flußaufwärts half Bolitho Catherine aus der Gig, die sie über den Fluß gebracht hatte. Der wolkenlose Himmel hatte in der frühen Dunkelheit zahllose Sterne aufgesetzt, passend zu dem verzauberten Abend, den Catherine ihm versprochen hatte.

Bolitho belohnte den Bootsführer mit einem guten Trinkgeld, denn er sollte sie später wieder über den Fluß zurück rudern. Er hatte Catherine unverhohlen bewundert, und Bolitho konnte ihm das nicht übelnehmen. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid aus Seide, deren Grün bei jeder Bewegung ins Schwarze changierte. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt und sich mit den Ohrringen geschmückt, die ihr Bolitho geschenkt hatte, als sie sich zum erstenmal liebten. Sie hatte sie durchs Gefängnis gebracht, indem sie sie im Saum ihres Kleides einnähte.

«Ich warte drüben mit dem Boot, bis Sie mich brauchen, Admiral. «Die Gig glitt schnell über den Fluß zurück.

«Woran hat der Mann mich erkannt?«Bolitho trug einen einfachen blauen Rock, den ihm der Schneider in Falmouth genäht hatte, dessen Vorfahren schon seit langem allen Bolithos und unzähligen anderen Marineoffizieren Uniformen angemessen hatten.

Catherine entfaltete ihren neuen Fächer, ihre Augen glänzten im Licht der Laternen.»Dich und mich kennen mehr Leute, als du glaubst. Aber jetzt vergiß deine Probleme und laß dich überraschen.»

Hier in Vauxhall lag der berühmteste aller Lustgärten Londons. Lauben mit Laternen, Hecken aus wilden Rosen und fröhliches Vogelgezwitscher luden zum Verweilen ein. Bolitho bezahlte zweimal eine halbe Krone Eintrittsgeld und schritt dann neben Catherine den Grand Walk entlang, die breite Promenade, von Linden gesäumt und versteckten Grotten mit plätschernden Springbrunnen.

«Dies ist mein London, und dir gefällt es auch, das spüre ich!«Catherine drückte seinen Arm. Sie gingen weiter an geschmückten Lauben vorbei, in denen laute Gesellschaften fröhlich tafelten. Von überall her erklang Musik, das Klirren der Gläser, das Knallen von Champagnerkorken.»Hier gibt's die besten Musiker Londons. Sie verdienen sich so ihr Geld, bis die Konzertsaison wieder beginnt.»

Bolitho nahm den Hut ab und trug ihn in der Hand. Der Weg war voller Menschen. Parfümduft mischte sich mit dem der Heckenrosen und dem Dunst des nahen Flusses. Catherine hatte den Schal um Schultern und Hals abgenommen, ihre Haut strahlte hell im Schein der Laternen. Immer wieder tauchten Uniformen auf, meist rote mit den blauen Biesen der Königlichen Leibregimenter. Ab und zu ließ sich auch ein Marineoffizier sehen, dessen Schiff vermutlich weiter flußabwärts vor Anker lag.

33
{"b":"113381","o":1}