Warren richtete sich auf, aber ein heftiger Husten überfiel ihn.
«Ich möchte auf Ihrem Schoner mitsegeln, Mr. Tyacke«, fuhr Bolitho fort und registrierte Überraschung und Unglauben im Gesicht des anderen.»Ich bin kleine Schiffe gewöhnt, machen Sie sich also keine Sorge um meine — hm — Würde.»
Der Commodore verließ die Kajüte, doch Bolitho hörte ihn noch immer husten. Jenour sah dem Schreiber über die Schulter, der den Befehl in Schönschrift zu Papier brachte.
Einen Augenblick schien es, als seien sie beide allein in der Kajüte.»Wo ist das passiert?«fragte Bolitho leise.
Der Leutnant zuckte zusammen und hielt dann seinem Blick stand.»In der Schlacht bei Abukir, Sir. Ich war auf der Majestic.»
«Unter Kapitän Westcott. Ein guter Mann. Schade um ihn. «Der Admiral berührte vorsichtig das Lid über seinem verletzten Auge.»Bitte kehren Sie auf die Miranda zurück. Sobald Ihre Prise einläuft, sollten wir ankerauf gehen. Ich möchte mir das Kap genauer ansehen, auch das Land und die See dahinter. Hier an Bord bin ich zu nichts nütze.»
Als Tyacke die Kajüte verlassen wollte, rief ihn Bolitho noch einmal zurück.»Sie sind ein tapferer Mann, Mr. Tyacke. Geben Sie mir Ihre Hand. «Sein Griff war fest.»Sie haben mir Mut gemacht. Vielen Dank!»
Etwas verwirrt fand Tyacke sich im Beiboot der Miranda wieder. Simcox saß an der Pinne, aufgeregt und neugierig. Tyacke wartete, bis die Männer ihren Takt fanden; ohne Vorbereitung sagte er dann:»Der Admiral will mit uns zum Kap.»
«Ein Admiral? Auf der Miranda?»
Der Leutnant nickte nur.
Irgendwas war an Bord des Flaggschiffs vorgefallen, spürte Simcox. Irgend etwas Wichtiges. Hoffentlich hatte niemand Tyacke verletzt.»Ich wette, Sie haben vergessen, ihn um das Bier zu bitten!«sagte er.
Aber Tyacke hörte gar nicht zu.»Und wenn es sein muß, werden wir mit diesem Admiral zur Hölle und zurück segeln, so wahr ich hier sitze«, murmelte er. Dann schwiegen sie, bis das Boot an der Miranda festmachte.
Richard Bolitho quetschte sich in die Ecke seiner Koje auf der Miranda und streckte die Beine aus. Sie war weiß Gott ein unruhiges Schiff. Er war alle Arten von Seegang gewöhnt, aber hier an Bord meldete sich selbst sein abgehärteter Magen.
Tyacke war seit dem Ankerlichten an Deck geblieben. Obwohl Bolitho nur ein Stück blauen Himmel durch das Skylight sah, hoffte er auf stetigeren Seegang, wenn sie erst einmal weiterab von Land standen, jenseits der unruhigen Küstenströmung. Er bedauerte, daß Ozzard nicht mitgekommen war, der seine Wünsche erriet, noch ehe er sie aussprechen konnte. Aber auf diesem kleinen Schiff war der Raum zu beengt. Und die Mannschaft der Miranda hätte es sicher nicht gern gesehen, wenn er seinen eigenen Steward mitbrachte. Er hatte auf dem Weg in die Kajüte Überraschung, Neugier und Ablehnung in den Augen der Männer entdeckt. Sie sahen sein AnBord-Kommen nicht als Ehre, sondern als Eindringen eines Fremden. Gut, daß auch Jenour auf dem Flaggschiff geblieben war; seine Augen und Ohren waren dort nützlicher.
Bolitho hatte das Sklavenschiff neben einem der Versorger festmachen gesehen, war aber nicht an Bord gegangen. Er hatte von der Frau in der Achterkajüte gehört und von dem Deserteur, der jetzt in Eisen auf sein Urteil wartete. Aber Tyacke hatte in seinem Bericht sicherlich nicht alles erwähnt.
Er hörte, daß sich das Marssegel knallend im Wind blähte, und meinte zu spüren, wie das Schiff sich in seinen neuen Kurs fand. Dabei fiel ihm wieder Alldays Kritik ein:»Das ist nichts für einen Vizeadmiral. Jedes Kohlenschiff bietet mehr Bequemlichkeit.»
Allday war jetzt irgendwo an Deck, entweder immer noch allein oder schon neben einem neuen Kumpel bei einem Schluck Rum. Auf diese Weise erfuhr er in wenigen Stunden mehr über Besatzung und Schiff als Bolitho in einem ganzen Jahr.
Den verwundeten Midshipman hatte Tyacke auf der Themis in der Obhut des Arztes gelassen, aber nichts weiter erwähnt. Bolitho fragte sich, ob Tyacke immer so verschlossen war; nur der Master schien so etwas wie sein Freund zu sein. Tyacke war wohl schon immer ein einsamer Mann gewesen, und die schreckliche Entstellung vergrößerte diese Einsamkeit noch.
Bolitho entrollte die Karte unter einer schwingenden Laterne; sie schaukelte längst nicht mehr so wild wie noch vor kurzem. Die großen Segel eines Schoners waren wie Flügel, sie hielten das Schiff mit seinem großen Tiefgang in einem Seegang, in dem andere Schiffe wie Korken getanzt hätten, auf relativ ebenem Kiel.
Bolitho studierte die Tiefenangaben auf der Karte, die Peilungen und Landmarken und rieb sein linkes Auge. Er schwitzte. Allday hatte wohl doch recht: Die Miranda war wirklich kein bequemer Aufenthaltsort. Die kleine, vollgestopfte Kajüte erinnerte ihn an seine frühere auf dem Kutter Supreme. 1803 hatten die Franzosen ihn aufgebracht und das Feuer eröffnet. Dabei war eine Kanonenkugel in einen Eimer Sand geschlagen und hatte ihn umgeworfen, mittags im hellsten Sonnenlicht. Als man Bolitho danach wieder auf die Beine half, umgab ihn Dunkelheit. Sein linkes Auge machte ihm seither Schwierigkeiten, und auf der Hyperion hätte er deshalb fast das Leben verloren. Die Folge der Verletzung war ein Nebel, der ihn manchmal halb erblinden ließ. Der berühmte Chirurg Sir Piers Blachford hatte Bolitho gewarnt: Er müsse sich schleunigst an Land untersuchen und behandeln lassen, wenn er das linke Auge nicht verlieren wollte. Aber eine Garantie für den medizinischen Erfolg konnte auch Blachford nicht geben.
Bolitho meinte, tief im Innern des Auges Schmerz zu fühlen. Das war nur Einbildung oder Furcht, schalt er sich. Natürlich hätte er an Land bleiben sollen zur Behandlung. Aber Männer mit seiner Erfahrung wurden auf See gebraucht, besonders nach der Schlacht von Trafalgar, seit Nelson gefallen war und der Feind an Land immer noch unbesiegt. Bald würde sein nächster Angriff erfolgen.
Die Tür flog auf, Tyacke ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. Er atmete hastig wie nach einem Zweikampf, und sein Hemd war völlig durchnäßt. Unwillkürlich hatte er sich so gesetzt, daß sein entstelltes Gesicht im Schatten blieb.
«Wir laufen rechtweisend Süd, Sir«, berichtete er.»Der Wind schralt ein bißchen, aber das ist gut für den Fall, daß wir schnell über Stag gehen müssen. Sind Sie sicher, daß Sie auf Ihre Rangabzeichen verzichten wollen?»
Bolitho lächelte. Von der Decke hing sein Uniformrock ohne Schulterstücke; er sah aus wie der Tyackes.»Nicht immer sagt das Etikett etwas über den Inhalt aus. Ich hoffe, Ihre Leute fühlen sich wohler, wenn sie mich ohne Epauletten sehen. Ich möchte es so, also machen Sie sich keine Gedanken. Ist Ihre Besatzung wohlauf?»
«Bis auf einen Mann — ja. Mit dem muß ich noch reden. «Das klang etwas besorgt.»Eine interne Sache, Sir Richard, die mit unserem Auftrag nichts zu tun hat.»
«Schon gut. «Bolitho faltete die Karte zusammen. Die Mannschaft der Miranda war vollzählig bis auf den Midshipman, der das Leben des Mastergehilfen gerettet hatte. Eine interne Sache, hatte Tyacke gesagt. Also nicht meine, dachte Bolitho.
Tyacke sah ihn lächeln und entspannte sich etwas.»Es wird gleich zu essen geben, Sir.»
Bolitho spürte seinen Magen knurren. Ja, er hatte Hunger, trotz allem. Wenigstens behelligte ihn sein verletztes Auge jetzt nicht mehr. Vielleicht gab es trotz Blachfords Warnung noch ein Wunder.
Während er auf die Rückkehr der Miranda wartete, hatte er einen Truppentransporter besichtigt und war überrascht gewesen, daß noch keiner der Soldaten dort gestorben war. An Bord roch es wie auf einem Bauerhof, nicht wie auf einem Kriegsschiff Seiner Majestät. Männer, Pferde, Kanonen, Gepäck, Wagen waren in die Decks hineingepfercht. Auf einem Sträflingsschiff hätte es mehr Platz gegeben. Die Besatzung mußte es nun in dieser stinkenden Enge aushallen, bis Sir David mit seiner Artillerie und Infanterie sich nach Kapstadt durchgekämpft hatte. Wenn sich aber die Holländer stärker als erwartet wehrten? Sie konnten den Vormarsch der Engländer immer noch stoppen, und dann gab es nur noch den kleinen Verband von Commodore Warren, der seine Seeleute und Soldaten im Rücken des Feindes anlanden konnte. Aber die Elendsgestalten, die Bolitho auf dem Transporter gesehen hatte, würden ein schwieriges Landemanöver kaum schaffen und die folgenden Gefechte bestimmt nicht überstehen.