Der fremde Seemann ließ sich auf die Knie fallen.»Ich hab' doch erst eine Reise gemacht, Sir!»
«Und wer warf die beiden Männer über Bord?«Die Säbelspitze berührte die Kehle des Mannes.»Keine Lügen, oder du gehst selber zu den Haien.»
«Der Skipper hat sie über Bord geworfen, Sir!«Er sabberte vor Angst.»Sie haben gekämpft und einander umgebracht. «Er senkte den Blick.»Der Skipper wollte sie sowieso loswerden, sie waren nicht kräftig genug für harte Arbeit.»
Segrave beobachtete den Mann im Seidenhemd, er schien kühl und unbewegt. Man würde ihm nichts anhaben können, obwohl er zwei Sklaven umgebracht hatte.
«Behalt die Crew im Auge, George«, rief Jay. Und an einen Matrosen gewandt:»Wir gehen jetzt unter Deck. Sie kommen mit, Mr. Segrave.»
Unten war es noch schmutziger. Der Rumpf stöhnte und knarrte, während die Männer mit brennenden Lampen zwischen die leeren Handfesseln und Fußeisen traten, die verhinderten, daß die Schwarzen sich mehr als ein paar Schritte bewegen konnten — auf der langen Reise von Afrika zu den westindischen Inseln oder ans südamerikanische Festland.
«Darum nehmen sie nur die gesündesten. Andere würden die Reise nicht überleben. «Jay spuckte aus.»Sie liegen hier unten wochenlang im eigenen Dreck.»
Segrave würgte der Ekel, aber er konnte sich gerade noch beherrschen.»Wird der Deserteur wirklich begnadigt?»
Jay sah ihn groß an.»Natürlich, wenn er uns helfen kann. Dann wird er nicht gehängt. Aber zweihundert Peitschenhiebe kriegt er bestimmt, damit er in Zukunft nicht vergißt, wohin er gehört.»
Der Seemann, der sie begleitete, fragte:»Was ist da achtern im Heck, Mr. Jay?»
«Die Kajüte und die Kammern. Warum?»
«Ich hab' dort was gehört.»
«Guter Gott!«Jay zog seine Pistole und spannte sie.»Vielleicht will uns irgendein Schweinehund in die Luft jagen. Los, ran!»
Der junge Seemann warf sich mit aller Kraft gegen die Tür und riß sie aus den Angeln. Bis auf einen Fleck Sonnenlicht lag die Kajüte im Dunkeln. Und selbst das bißchen Licht hatte Mühe, durch das dreckige Glas des Skylights zu dringen.
Auf einer schmutzigen Koje lag zwischen Lumpen eine junge schwarze Frau. Sie stützte sich auf die Ellbogen, ihre Beine waren von einem schmutzigen Laken bedeckt. Sonst war sie nackt. Sie schaute die Eindringlinge ohne Überraschung an. Als sie sich bewegen wollte, hielt eine Fußkette sie zurück.
«Aha«, sagte Jay leise,»so vergnügt sich also der Skipper.»
Sie kehrten an Deck zurück. Miranda ging gerade auf den anderen Bug, um näher an die treibende Albacora zu kommen. Tyackes Stimme erreichte sie mit Leichtigkeit:»Wer ist die Albacora?»
«Ein Sklavenschiff, Sir. Hat zur Zeit aber nur eine Schwarze an Bord. Und einen Deserteur!»
Segrave dachte an das schwarze Mädchen: angekettet wie ein Tier, zum Vergnügen des Skippers. Wie schön sie gewesen war, trotz ihrer dunklen Haut…
«Zielhafen?«Jay sah auf die Karte.»Madagaskar, Sir!»
«Viel ist sie ja nicht wert«, murmelte einer der Männer neben Segrave,»aber ein kleines Prisengeld würden wir schon für sie kriegen, nicht wahr?«Sein Kumpel nickte.
Tyackes Stimme verriet nichts.»Sehr gut, Mr. Jay. Bringen Sie den Deserteur an Bord!»
«Nein, nein!«schrie der Mann, aber der Bootsmann streckte ihn mit einem gezielten Fausthieb nieder. Als der Kerl sich erholt hatte, kroch er übers Deck und umklammerte Jays Knie.»Er hat die richtige Karte unter Deck gebracht, als wir Sie sichteten«, stammelte er.»Das macht er immer, wenn sich ein fremdes Schiff nähert. Dann holt er die falsche Karte hoch, die jeder sehen kann.»
Jay schob die Hände des Deserteurs weg.»Daß ich daran nicht gedacht habe!«Er griff nach Segraves Arm.»Kommen Sie mit!»
In der Kajüte lag das Mädchen noch wie vorhin da, als habe es sich inzwischen nicht bewegt. Sie wühlten in Büchern und Karten, alten Kleidern und Waffen. Jay wurde nervös, weil er wußte, daß Tyacke schnell wieder weitersegeln wollte.»Das bringt nichts«, sagte er schließlich.»Der Deserteur wollte nur seine Haut retten und hat diese Kartengeschichte erfunden.»
Ein Spiegel lehnte an einem Kasten mit Duellpistolen. Jay hob ihn an — ein letzter Versuch.»Nichts, verdammt noch mal!«Er warf das Glas weg, und Segrave fing es auf, ehe es zu Boden fallen konnte. Die Schwarze auf der Koje bewegte sich, ihre Brüste glänzten im Sonnenlicht.
«Sie liegt auf was, Mr. Jay!»
Jay starrte zuerst ratlos zu ihr hinüber, dann ging er zur Koje, um sie zur Seite zu schieben. Aber ihr schweißnasser Körper entglitt seinem Griff, sie bewegte sich blitzschnell, und ein Messer blitzte in ihrer linken Hand. Segrave sprang Jay zu Hilfe.
Jay fiel und rutschte durch Segraves Ansturm über den Boden der Kajüte. Der junge Mann sank über die Frau und stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus.
Segrave spürte das Messer wie eine Flamme über seine Hüfte zucken und wußte, mit dem zweiten Stich würde sie seinen ungeschützten Rücken treffen. Aber dann knallte es, und das Messer flog zu Boden. Die Frau fiel mit blutendem Mund gegen die Wand. Jay hatte sie geschlagen.
Der junge Seemann kam jetzt in die Kajüte gerannt.»Helfen Sie Mr. Segrave«, befahl ihm Jay, schob die Frau zur Seite und zog einen Lederbeutel unter ihrem nackten Leib hervor.
Segrave untersuchte stöhnend den Schnitt in seiner Hose. Das Messer hatte ihn ganz schön erwischt. Überall war Blut. Er biß sich auf die Lippen, um nicht zu schreien. Der Seemann wickelte ein Hemd um die Wunde, aber der Stoff war schnell durchtränkt.
Jay riß die Ledertasche auf, fand die Karte und rollte sie mit zitternden Fingern halb auf.
«Ich muß sofort den Kommandanten sprechen«, sagte er dann, richtete sich auf und sah in Segraves schmerzverzerrtes Gesicht.»Sie haben mir gerade das Leben gerettet. Noch etwas Geduld, ich bin gleich zurück. «Seine Stimme klang sanft.
Oben an Deck schien der Abend zu dunkeln, die Wolken hatten Ränder aus schimmerndem Gold.
«Ihr wirklicher Zielhafen ist Kapstadt, Sir«, rief Jay hinüber.»Ich habe hier eine Nachricht — in französisch, denke ich.»
Tyacke befahl:»Schicken Sie mir den Skipper und diese Ledertasche herüber. Und den Deserteur. Ich laufe zum Geschwader weiter. Werden Sie und Mr. Segrave an Bord klarkommen?»
Jay grinste.»Natürlich. Jetzt haben wir hier keine Probleme mehr.»
Der Skipper der Albacora protestierte, als ein Seemann ihn packte.»Legen Sie ihn in Eisen«, knurrte Jay.»Wegen Mordversuchs an einem Offizier, Tötung von Sklaven und Handel mit dem Feind. «Als der Mann plötzlich schwieg, nickte er.»Aha, du hast mich also ganz gut verstanden.»
Als das Boot mit den Gefangenen zur Miranda zurückgekehrt war, plazierte Jay seine Männer sehr sorgfaltig auf der Albacore. »Wir nehmen gleich Fahrt auf. Beobachtet die Crew genau, und im
Zweifel schießt ihr sofort, klar?»
Mit dem Bootsmann kehrte er in die Kajüte zurück, wo der junge Matrose noch immer Segraves Blutung zu stoppen versuchte, der sich erbittert wehrte. Da drückte Sperry ihn zu Boden, der junge Matrose und Jay schnitten ihm die blutige Hose auf und legten die Wunde frei.
«Mit ein, zwei Stichen kann ich das nähen«, sagte Sperry.»Besorgt mehr Verbandszeug.»
«Um Gottes willen, was ist denn das?«rief Jay.
Der Midshipman lag jetzt da wie tot. Sein Gesäß und seine Oberschenkel waren voller Wunden und Narben — den Spuren zahlreicher Auspeitschungen. Aber nicht auf der Miranda. Er hatte die Schmerzen dieser Narben und halb verheilten Wunden sechs Wochen lang erduldet, ohne ein Wort zu sagen.
«Er ist ohnmächtig. Ich hole meine Sachen, Bob.»
«Bringt Brandy mit oder Rum.»
Der Midshipman lag immer noch reglos da, Blut sickerte durch seine Verbände. Ohne Segrave würde ich selber jetzt hier liegen, dachte Jay und blickte zu dem jungen Seemann hoch.»Das bringen wir auf der Miranda wieder in Ordnung, klar? Und wer ihn noch mal schikaniert, kriegt es mit mir zu tun.»