Er fuhr fort:»Rutara ist den Insulanern hier heilig. Ich befehle Ihnen, in der Lagune dort zu ankern, aber lassen Sie keinen einzigen Mann an Land! Haben Sie mich verstanden?»
Herrick nickte.»Aye, aye, Sir.»
«Wenn Tukes Schoner dort sind, dann zerstören Sie sie. Ihre Aktionen werden beobachtet werden. Die Eingeborenen sollen begreifen, daß wir nicht hier sind, um ihren Glauben zu mißachten und Krieg unter ihnen anzuzetteln.«»Und wenn ich de Barras begegne, Sir?«Bolitho sah zu ihm auf und versuchte, seine Empfindungen zu erraten.»Befolgen Sie meine Befehle. Wenn de Barras noch Kommandant ist, müssen Sie ihn über die Vorgänge in seinem Land informieren. Wenn die Narval eine andere Flagge zeigt, dann drehen Sie ab.«»Ohne Kampf, Sir?»
«Ob es Ihnen gefällt oder nicht, Mr. Herrick, wir können nicht wissen, ob wir uns mit Frankreich im Krieg befinden.«»Kann ich sonst noch etwas tun, Sir?«Herricks Stimme klang unglücklich.
«Schicken Sie einen kurzen Bericht zurPigeon. Formulieren Sie ihn selbst. Jemand muß erfahren, was wir vorhaben. «Es hatte keinen Sinn zu erwähnen, daß Raymond sie aus der Siedlung ausgesperrt hatte. Selbst Herrick konnte sich weigern, seinen Befehl zu befolgen, wenn er davon erfuhr.»Noch etwas, Mr. Herrick. «Bolitho machte eine Pause und sah seinen Ersten Offizier fest an.»Thomas, Sie bleiben bei Rutara vor Anker, bis Sie weitere Befehle bekommen. Wir sind hier in Sicherheit. Die Verteidigungsanlagen und die noch vorhandenen Geschütze der Eurotas beherrschen die Einfahrt.»
Ruhig befahl er Allday:»Lassen Sie wenden. Das hier ist für keinen leicht.»
Als das Boot die Pier wieder erreicht hatte, war die Besatzung der Tempest bereits in die Wanten und auf die breiten Rahen ausgeschwärmt. Gut, dachte Bolitho. Es würde Herrick ausreichend in Anspruch nehmen und ihm keine Zeit lassen, um über jene nachzudenken, die er zurückließ.
Er sah Keen an Land warten. Sein Hemd stand bis zum Gürtel offen, die Arme hingen an seinen Seiten herab. Als Bolitho ihn erreicht hatte, sagte er mit belegter Stimme:»Sie ist tot, Sir. «Er blickte zur Sonne auf.»Sie starb gerade eben.»
Allday sagte:»Ich werde mich darum kümmern, Sir.«»Nein!«Keen fuhr heftig zu ihm herum.»Das tue ich selbst. «In sanfterem Ton fügte er hinzu:»Aber ich danke Ihnen.»
Bolitho blickte Keen nach. Natürlich war es ein Traum gewesen und von Anfang an hoffnungslos. Er ließ den Blick über den Strand schweifen, über die nickenden Palmen und das tiefblaue Wasser. Die beiden hatten nie eine wirkliche Chance gehabt, der junge Marineoffizier und das eingeborene Mädchen von einer kaum bekannten Insel. Er beschleunigte seine Schritte. Aber das war ihr Traum gewesen. Niemand hatte das Recht, ihn zu stören.»Richard!»
Rasch drehte er sich auf dem Absatz um. Viola kam von dem provisorischen Lazarett her auf ihn zugelaufen. Er fing sie auf und drückte sie an sich.»Aber Viola, warum hast du das Fort verlassen?»
Sie klammerte sich an ihn, lachte und weinte zugleich.»Was soll ich dort? Verstehst du nicht, Richard, mein Liebling? Gleichgültig, was geschieht, zum erstenmal sind wir zusammen.»
Leutnant Francis Pyper sah ihnen nach, als sie zur Krankenbaracke gingen. Er hatte den Mut verloren, besonders nachdem er das rege Treiben an Bord der Tempest beobachtet hatte. Jetzt waren sie schon dabei, den Anker einzuholen, und innerhalb einer Stunde mochte das Schiff hinter der Landzunge verschwunden sein. Aber nun fürchtete er sich nicht mehr. Sergeant Quare kam über knirschenden Kies auf ihn zu.»Sir, eine Meldung für den Kommandanten. Zwei
Eingeborene im Dorf sind erkrankt.»
Pyper nickte mit trockenem Mund.»Ich werde es ihm sagen.»
Quare nahm seinen Hut ab und wischte über das Schweißleder. Die armen kleinen Kerle, dachte er. Es wird bei ihnen nicht lange dauern. Sie sterben weg wie die Fliegen. Er hatte es gesehen: in der Karibik, in Indien; überall auf dieser verdammten Welt. Er bemerkte Blissett, der auf die Pier kam, und schnauzte:»Knöpfen Sie Ihren Waffenrock zu! Was glauben Sie, wo wir sind, Mann?»
Danach fühlte er sich etwas besser.
«Halt! Wer da?»
Bolitho trat in den weißen Fleck Mondlicht und zeigte sich.
«Pardon, Sir. «Sergeant Quare setzte seine Muskete ab.»Ich hatte Sie noch nicht zurückerwartet.»
«Alles ruhig?«Bolitho lehnte sich an einen Baum und lauschte auf das Rauschen der Brecher draußen. Zeitlos.
Unerschütterlich.
«Ja, Sir. «Der Sergeant seufzte.»Im Dorf haben sie ein paar der armen Teufel verbrannt. Ich hörte die Trauernden klagen und singen.«»Ja.»
Bolitho unterdrückte den Wunsch, sich auf den Boden zu setzen. Er war todmüde, fühlte sich krank und erschöpft. Acht Tage waren vergangen, seit die Tempest Segel gesetzt hatte, und noch immer war von nirgendwo Nachricht gekommen. Mit Hilfe aus dem Dorf hatte er nicht gerechnet. Dort hatte es mehrere Todesfälle gegeben; von Hardacre hatte er erfahren, daß auf der anderen Seite der Insel in einem Kanu mehrere sterbende Eingeborene aufgefunden worden waren. Sie waren Fremde gewesen und hatten die Seuche wahrscheinlich eingeschleppt. Das Fieber wurde» Itak «genannt. Es raffte seine Opfer in kürzester Frist dahin, ließ sie verzweifelt nach Luft ringen, während sie innerlich verbrannten.
Jeden Tag inspizierte Bolitho seine Leute, suchte nach Anzeichen für die Krankheit, doch abgesehen von der Erschöpfung hielten sie sich gut. Das war mehr, als man von den Leuten im Fort sagen konnte. Bolitho hatte durch Keen verlangen lassen, daß Lebensmittel und Getränke über die Palisade zu ihnen herabgelassen wurden. Wirklich wurde dann beides heruntergeworfen, aber Keen hörte betrunkenes Gelächter, als ob sich die Siedlung in ein Irrenhaus verwandelt hätte.
Am nächsten Tag war Bolitho selbst ans Tor gegangen. Nachdem er lange in der Sonne gewartet hatte, vermutlich dabei von den beiden Wachen im Blockhaus ständig beobachtet und bewacht, war Raymond oben auf der Palisade erschienen.
Bolitho hatte gesagt:»Wir brauchen Hilfe, Sir. Wenn die Leute im Dorf sich selbst überlassen bleiben, werden sie womöglich zu schwach, um ihre Toten zu verbrennen… «Weiter war er nicht gekommen.
«Jetzt sind Sie also gekommen, um zu betteln, wie? Sie haben geglaubt, Sie könnten mich übergehen, als Sie Ihr Schiff fortschickten. Jetzt haben Sie Ihr neues Kommando: eine Eingeborenenhütte und eine Handvoll Raufbolde, denen Sie Befehle geben können. Auch meine kostbare Gattin wird bald genug wieder angelaufen kommen, wenn sie sieht, was sie weggeworfen hat!«Seine Stimme klang wild, sogar jubilierend.
Bolitho hatte es noch einmal versucht.»Wenn ich die Wache von der Eurotas abziehen könnte, hätte ich genug Leute, um durchzuhalten, bis das Fieber abgeklungen ist.«»Ihre Leute sollen meinem Schiff fernbleiben!«Raymonds Stimme hatte sich beinahe zu einem Schreien gesteigert.»Meine Leute haben Befehl, sofort Feuer zu eröffnen, wenn sich ihm ein einziges Boot nähert! Sie haben Ihr Schiff verloren, Kapitän, und ich will nicht, daß Sie an meines Hand legen.»
Keen und die anderen hatten ihn mit der Nachricht von einem weiteren Todesfall erwartet. Es war erbarmungswürdig, wie die Eingeborenen sich damit abfanden. Die Götter zürnten. Tinah war über Tuke und die heilige Insel unterrichtet. Wenn sein ganzes Volk die Wahrheit erfuhr, würde es in seinen Leiden die unmittelbare Folge des Sakrilegs sehen.
Bolitho blickte zu den Sternen auf und schauderte. Wenn er früher gehandelt hätte, wäre es ihm vielleicht möglich gewesen, die Eurotas im Schutz der Nacht zu besetzen. Aber dazu war es zu spät. Raymonds Drohungen und die Furcht vor dem Fieber würden für einen heißen Empfang durch die geladenen Drehbassen sorgen. Wenn er Herrick nicht benachrichtigen konnte und der Schoner nicht bald zurückkehrte, mußte er annehmen, daß die Narval erobert worden war. Ob im Namen der Revolution oder durch eine offene Meuterei, spielte jetzt keine Rolle mehr. Tuke würde für die Unterstützung der Sache Genins seinen Preis fordern, und der Franzose konnte ihn kaum verweigern. Aber worin würde er bestehen? Eine legalisierte Stellung unter dem neuen Regime, ein Schiff, ein Kaperbrief oder ein Versprechen auf eine Belohnung in Gold, sobald Genin schließlich Paris erreicht hätte? Was die Wunde noch stärker brennen ließ, war Bolithos Erkenntnis, daß, sobald die Narval endgültig fort war und Tuke den gewünschten Preis erhalten hatte, vermutlich aus London die Nachricht eintreffen würde, daß England und Frankreich sich seit Monaten im Krieg befanden. Dies mußte das Ende von Bolithos Karriere bedeuten. In Raymond hatte er einen Todfeind. Und in London würde man nach einem Sündenbock suchen, um den Ärger darüber zu lindern, daß nicht nur die französische Fregatte verlorengegangen, sondern auch ein Pirat entkommen war, der nun von Kriegsschiffen gejagt werden mußte, die man auf den eigentlichen Kriegsschauplätzen dringend brauchte. Er dachte an die Worte, die Raymond heruntergeschrien hatte. Sie waren sein einziger Trost. Viola hatte unermüdlich an seiner Seite gearbeitet, aus ihrem provisorischen Lazarett Ermutigung ins Dorf getragen und dort geholfen, die Kranken zu pflegen und die zurückgebliebenen Kinder zu versorgen.