Dann sah er Herrick an, der mit gekreuzten Armen dasaß, die blauen Augen auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Er fühlte sich fehl am Platz, ihm war unbehaglich. Wahrscheinlich dachte er an sein Schiff. An notwendige Reparaturen und alles andere, das seine Aufmerksamkeit erforderte.
Einen Augenblick sah er Herrick wieder auf diesem schrecklichen Strand, den Degen in der Hand, das Gesicht einer rasenden Bande blutrünstiger Eingeborener zugewendet. Eine Minute — nein, nur Sekunden länger, und sein Stuhl wäre jetzt unbesetzt.
Raymond fuhr geschmeidig fort:»Mit der Unterstützung der Narval und ihrer ausgezeichneten Besatzung werden wir, davon bin ich überzeugt, alle unsere Ziele erreichen können. Es liegt in unserem Interesse, daß der Pirat Mathias Tuke und seine Bande ohne weitere Verluste für uns vernichtet und bestraft werden.»
Bolitho wußte, daß de Barras zu ihm herüberblickte, um ihn an ihre erste Begegnung zu erinnern. Es waren beinahe genau seine Worte.
Raymond fuhr fort:»Als Gegenleistung werden wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um den Gefangenen des Comte wieder zu ergreifen. «Er sah den französischen Kapitän direkt an.»Ich bin sicher, wenn ich meine Berichte nach London schicke, um unsere Erfolge zu melden, werden sie in Paris ebenso günstig aufgenommen werden. Was meinen Sie, M'sieu le Comte?»
De Barras streckte die Beine aus und lächelte.»Ich verstehe.»
Und ich auch! Bolitho hätte es nicht geglaubt, wenn er nicht selbst anwesend gewesen wäre. De Barras mußte Raymond sehr reich bewirtet haben. Durch französische Matrosen war sogar noch bei Bolithos Ankunft eine reichliche Lieferung
Wein in die Siedlung geschafft worden. Und dennoch, wie alle Tyrannen war auch de Barras für Komplimente empfänglich, bereit, Raymonds Wink zu akzeptieren, daß er höherenorts ein lobendes Wort anbringen wolle, was ihm letzten Endes auch in Frankreich nützen konnte. Wenn, wie Bolitho argwöhnte, de Barras sein einsames Kommando erhalten hatte, um ihn außer Landes zu halten, bis in Frankreich über irgendeine peinliche Affäre Gras gewachsen war, konnte Raymonds beiläufiges Angebot dem Grafen sogar noch mehr als nur eine Schmeichelei bedeuten. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit, und eine von Hardacres Dienerinnen spähte in den Raum, offenkundig eingeschüchtert vom Anblick so vieler bedeutender Gäste. Raymond fragte ungeduldig:»Was will sie?«Der Mischling Kimura flüsterte mit ihr und erklärte dann:»Der Häuptling ist da. «Er deutete auf ein Fenster.»Er wartet draußen im Hof.»
«Dann soll er warten. «Raymond schien über die Störung ungehalten zu sein.
Hardacre sagte:»Tinah ist ein großer Häuptling, Mr. Raymond. Ein guter Freund. Es wäre falsch, ihn in dieser Weise zu behandeln.»
«Also gut. Dann gehen Sie zu ihm hinaus, wenn es sein muß. «Raymond betrachtete ihn kalt.»Aber keine Ihrer
Versprechungen. Haben Sie gehört?»
Hardacre schritt hinaus, seine großen Sandalen klatschten auf den Binsenmatten.»Ich habe gehört.»
«Also gut. «Raymond bemerkte, daß der Aufseher noch anwesend war.»Auch Sie können gehen. «Er lächelte.»Es fällt den Leuten hier schwer, sich mit dem Fortschritt abzufinden. «Das Lächeln verschwand.»Der junge Bursche,
der mit der Nachricht von dem Überfall auf die Nordinsel kam, ist nicht wiedergefunden worden?»
Bolitho sagte:»Vermutlich fürchtete er, als Verräter angesehen zu werden, Sir. Aber das beweist, daß es selbst auf der Nordinsel Leute gibt, die Hardacre genug vertrauen,
um bei ihm Hilfe zu suchen.»
«Mag sein. Aber der Schaden ist angerichtet. Tuke hat Ihr Schiff angegriffen, das war die Tat eines Verbrechers und
Mörders. Diese >freundlichen< Eingeborenen haben versucht, Ihre Leute zu töten und den größten Teil von Hardacres Milizen hingeschlachtet. In Anbetracht dessen, was Sie versucht haben, ist das unverzeihlich.«»Sie haben nicht erkannt, daß zwischen Tukes Leuten und meinen ein großer Unterschied besteht. Wie sollten sie auch?«Doch Bolitho wußte, daß es sinnlos war.»Verdammt, jetzt werden sie es aber!«Raymond drehte sich auf seinem Sessel heftig um, als Hardacre wieder hereinkam.»Was gibt es?»
Hardacre sagte:»Der Häuptling hat erklärt, daß sein Volk sich darüber schämt, was meinen Leuten widerfahren ist. «Er sah Bolitho an.»Und Ihren. Aber der Häuptling der Nordinsel ist bei dem ersten Angriff getötet worden. Jetzt haben dort weniger gefestigte Köpfe die Macht. Sie war nie eine der freundlichsten Inseln, und nachdem ihre Boote verbrannt worden sind, stehen ihnen harte Zeiten bevor. Unsere Leute hier fürchten sich, sie aufzusuchen. «Raymond schnüffelte.»Das überrascht mich nicht. Und was haben Sie ihnen versprochen? Ein Schiff voller Schweine und neue Boote?«De Barras lachte leise.
«Ich habe versprochen, daß Sie ihnen helfen würden, Sir. Und sie nicht bestrafen.«»Was haben Sie getan?»
Hardacre fuhr unbeirrt fort:»Als Gegenleistung wollen sie Nachrichten über Tuke liefern. Alles tun, was sie können, um bei seiner Ergreifung zu helfen. Sie haben keinen Grund, ihn zu lieben, aber allen Grund, Ihre Vergeltung zu fürchten.»
Raymond betupfte seinen Mund.»Bei seiner Ergreifung helfen, sagen Sie?«Er sah de Barras an.»Soso. «Er kam zu einem Entschluß.»Kapitän Bolitho, gehen Sie hinaus und sprechen Sie mit diesem Häuptling. Sagen Sie ihm, Sie wären ein sehr enger persönlicher Freund von Kapitän Cook, oder was Sie wollen. Aber bringen Sie ihn dazu, daß er mit Ihnen verhandelt.»
Hardacre folgte Bolitho aus dem Raum und blieb neben der Tür schwer atmend stehen. Die Dielen knarrten unter seinem
Gewicht.
«Er ist ein großer Häuptling! Kein unwissender Wilder!«Er wandte sich Bolitho zu.»Ich könnte diesen Lackaffen mit weniger Hemmungen umbringen als einen Mistkäfer. «Bolitho ging die Holzstufen hinunter und trat in das strahlende Sonnenlicht hinaus. In der Mitte des großen, umzäunten Hofes saß auf einem verzierten Hocker sehr aufrecht und ruhig der Häuptling, die dunklen Augen fest auf den leeren Galgen gerichtet. Er war jünger, als Bolitho erwartet hatte, mit dichtem, buschigem Haar und einem kleinen Bart. Sein Gewand bestand aus grünem, mit farbigen Perlen besticktem Stoff, und um den Hals trug er einen schlichten Schmuck aus Golddraht. Seine Augen wanderten zu Bolitho, als Hardacre sagte:»Tinah, dies ist der englische Kapitän des Schiffes. «Er zögerte, ehe er hinzusetzte:»Ein guter Mann. «Tinahs Blick war nicht von Bolithos Gesicht gewichen, noch hatte er während Hardacres Vorstellung geblinzelt; doch jetzt lächelte er, unvermittelt und entwaffnend. Bolitho sagte:»Was haben Sie Mr. Hardacre über die Piraten gesagt? Ist es möglich, daß Sie für uns ihren Aufenthaltsort ausfindig machen können?«»Alles ist möglich. «Seine Stimme war tief, er sprach mit einem schleppenden Akzent, aber Bolitho bezweifelte, daß jemand mehr wie ein Häuptling aussehen konnte als er.»Wir haben jetzt Frieden, Kapitän. Wir wollen ihn bewahren. Ihre Männer sind angegriffen worden. Aber was würde Ihr Herz sagen, wenn vor Ihren Augen Ihre Frauen mißbraucht und getötet und Ihre Häuser niedergebrannt würden? Würden Sie innehalten, um zu sagen, diese Männer sind gut, jene sind schlecht?«Er hob einen schweren, kunstvoll geschnitzten Stab und stieß ihn fest auf den Boden.»Nein. Sie würden sagen, tötet!«Herrick kam aus dem Gebäude und sah den sitzenden Häuptling und sein kleines Gefolge, das beim Tor wartete. Er sagte:»Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Sir, aber Mr. Hardacre wird drinnen gewünscht. «Er lächelte.»Beinahe hätte ich >an Deck< gesagt, Sir. Es hat den Anschein, daß der tapfere französische Kapitän sich nach
Wasser und Lebensmitteln auf den umliegenden Inseln erkundigen will.»
Hardacre nickte grimmig.»Ich werde gehen. Es ist lebenswichtig, daß sein Schiff jeden Ankerplatz friedlich anläuft. Ich möchte nicht, daß die Menschen hier ihn als Feind betrachten. «Er fügte hinzu:»Gleichgültig, was ich persönlich darüber denke.»