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548.

Der Sieg über die Kraft. — Erwägt man, was bisher Alles als»übermenschlicher Geist«, als» Genie «verehrt worden ist, so kommt man zu dem traurigen Schlusse, dass im Ganzen die Intellectualität der Menschheit doch etwas sehr Niedriges und Armseliges gewesen sein muss: so wenig Geist gehörte bisher dazu, um sich gleich erheblich über sie hinaus zu fühlen! Ach, um den wohlfeilen Ruhm des» Genie's«! Wie schnell ist sein Thron errichtet, seine Anbetung zum Brauch geworden! Immer noch liegt man vor der Kraft auf den Knieen — nach alter Sclaven-Gewohnheit — und doch ist, wenn der Grad von Verehrungswürdigkeit festgestellt werden soll, nur der Grad der Vernunft in der Kraft entscheidend: man muss messen, inwieweit gerade die Kraft durch etwas Höheres überwunden worden ist und als ihr Werkzeug und Mittel nunmehr in Diensten steht! Aber für ein solches Messen giebt es noch gar zu wenig Augen, ja zumeist wird noch das Messen des Genie's für einen Frevel gehalten. Und so geht vielleicht das Schönste immer noch im Dunkel vor sich und versinkt, kaum geboren, in ewige Nacht, — nämlich das Schauspiel jener Kraft, welche ein Genie nicht auf Werke, sondern auf sich als Werk, verwendet, das heisst auf seine eigene Bändigung, auf Reinigung seiner Phantasie, auf Ordnung und Auswahl im Zuströmen von Aufgaben und Einfällen. Noch immer ist der grosse Mensch gerade in dem Grössten, was Verehrung erheischt, unsichtbar wie ein zu fernes Gestirn: sein Sieg über die Kraft bleibt ohne Augen und folglich auch ohne Lied und Sänger. Noch immer ist die Rangordnung der Grösse für alle vergangene Menschheit noch nicht festgesetzt.

549.

«Selbstflucht«. — Jene Menschen der intellectuellen Krämpfe, welche gegen sich selber ungeduldig und verfinstert sind, wie Byron oder Alfred de Musset, und in Allem, was sie thun, durchgehenden Pferden gleichen, ja, die aus ihrem eigenen Schaffen nur eine kurze, die Adern fast sprengende Lust und Gluth und dann eine um so winterlichere Öde und Vergrämtheit davontragen, wie sollen sie es in sich aushalten! Sie dürsten nach einem Aufgehen in einem» Aussersich «; ist man mit einem solchen Durste ein Christ, so zielt man nach dem Aufgehen in Gott, nach dem» Ganz-eins-mit-ihm-werden«; ist man Shakespeare, so genügt einem erst das Aufgehen in Bildern des leidenschaftlichsten Lebens; ist man Byron, so dürstet man nach Thaten, weil diese noch mehr uns von uns abziehen, als Gedanken, Gefühle und Werke. Und so wäre vielleicht doch der Thatendrang im Grunde Selbstflucht? — würde Pascal uns fragen. Und in der That! Bei den höchsten Exemplaren des Thatendranges möchte der Satz sich beweisen lassen: man erwäge doch, mit dem Wissen und den Erfahrungen eines Irrenarztes, wie billig, — dass Vier von den Thatendurstigsten aller Zeiten Epileptiker gewesen sind (nämlich Alexander, Cäsar, Muhammed und Napoleon)- so wie auch Byron diesem Leiden unterworfen war.

550.

Erkenntniss und Schönheit. — Wenn die Menschen, so wie sie immer noch thun, ihre Verehrung und ihr Glücksgefühl für die Werke der Einbildung und der Verstellung gleichsam aufsparen, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn sie sich beim Gegensatz der Einbildung und Verstellung kalt und unlustig finden. Das Entzücken, welches schon beim kleinsten sicheren endgültigen Schritt und Fortschritt der Einsicht entsteht und welches aus der jetzigen Art der Wissenschaft so reichlich und schon für so Viele herausströmt, — dieses Entzücken wird einstweilen von allen Denen nicht geglaubt, welche sich daran gewöhnt haben, immer nur beim Verlassen der Wirklichkeit, beim Sprung in die Tiefen des Scheins entzückt zu werden. Diese meinen, die Wirklichkeit sei hässlich: aber daran denken sie nicht, dass die Erkenntniss auch der hässlichsten Wirklichkeit schön ist, ebenso dass wer oft und viel erkennt, zuletzt sehr ferne davon ist, das grosse Ganze der Wirklichkeit, deren Entdeckung ihm immer Glück gab, hässlich zu finden. Giebt es denn etwas» an sich Schönes«? Das Glück der Erkennenden mehrt die Schönheit der Welt und macht Alles, was da ist, sonniger; die Erkenntniss legt ihre Schönheit nicht nur um die Dinge, sondern, auf die Dauer, in die Dinge; — möge die zukünftige Menschheit für diesen Satz ihr Zeugniss abgeben! Inzwischen gedenken wir einer alten Erfahrung: zwei so grundverschiedene Menschen, wie Plato und Aristoteles, kamen in dem überein, was das höchste Glück ausmache, nicht nur für sie oder für Menschen, sondern an sich, selbst für Götter der letzten Seligkeiten: sie fanden es im Erkennen, in der Thätigkeit eines wohlgeübten findenden und erfindenden Verstandes (nicht etwa in der» Intuition«, wie die deutschen Halb- und Ganztheologen, nicht in der Vision, wie die Mystiker, und ebenfalls nicht im Schaffen, wie alle Praktiker). Ähnlich urtheilten Descartes und Spinoza: wie müssen sie Alle die Erkenntniss genossen haben! Und welche Gefahr für ihre Redlichkeit, dadurch zu Lobrednern der Dinge zu werden! —

551.

Von zukünftigen Tugenden. — Wie kommt es, dass, je begreiflicher die Welt geworden ist, um so mehr die Feierlichkeit jeder Art abgenommen hat? Ist es, dass die Furcht so sehr das Grundelement jener Ehrfurcht war, welche uns bei allem Unbekannten, Geheimnissvollen überfiel und uns vor dem Unbegreiflichen niedersinken und um Gnade bitten lehrte? Und sollte die Welt dadurch, dass wir weniger furchtsam geworden sind, nicht auch an Reiz für uns verloren haben? Sollte mit unserer Furchtsamkeit nicht auch unsre eigene Würde und Feierlichkeit, unsre eigene Furchtbarkeit, geringer geworden sein? Vielleicht, dass wir die Welt und uns selber geringer achten, seit wir muthiger über sie und uns denken? Vielleicht, dass es eine Zukunft giebt, wo dieser Muth des Denkens so angewachsen sein wird, dass er als der äusserste Hochmuth sich über den Menschen und Dingen fühlt, — wo der Weise als der am meisten Muthige sich selber und das Dasein am meisten unter sich sieht? — Diese Gattung des Muthes, welche nicht ferne einer ausschweifenden Grossmuth ist, fehlte bisher der Menschheit. — Oh, wollten doch die Dichter wieder werden, was sie einstmals gewesen sein sollen: — Seher, die uns Etwas von dem Möglichen erzählen! Jetzt, da ihnen das Wirkliche und das Vergangene immer mehr aus den Händen genommen wird und werden muss, — denn die Zeit der harmlosen Falschmünzerei ist zu Ende! Wollten sie uns von den zukünftigen Tugenden Etwas vorausempfinden lassen! Oder von Tugenden, die nie auf Erden sein werden, obschon sie irgendwo in der Welt sein könnten, — von purpurnglühenden Sternbildern und ganzen Milchstrassen des Schönen! Wo seid ihr, ihr Astronomen des Ideals?

552.

Die idealische Selbstsucht. — Giebt es einen weihevolleren Zustand, als den der Schwangerschaft? Alles, was man thut, in dem stillen Glauben thun, es müsse irgendwie dem Werdenden in uns zu Gute kommen! Es müsse seinen geheimnissvollen Werth, an den wir mit Entzücken denken, erhöhen! Da geht man Vielem aus dem Wege, ohne hart sich zwingen zu müssen! Da unterdrückt man ein heftiges Wort, man giebt versöhnlich die Hand: aus dem Mildesten und Besten soll das Kind hervorwachsen. Es schaudert uns vor unsrer Schärfe und Plötzlichkeit: wie wenn sie dem geliebtesten Unbekannten einen Tropfen Unheil in den Becher seines Lebens gösse! Alles ist verschleiert, ahnungsvoll, man weiss von Nichts, wie es zugeht, man wartet ab und sucht bereit zu sein. Dabei waltet ein reines und reinigendes Gefühl tiefer Unverantwortlichkeit in uns, fast wie es ein Zuschauer vor dem geschlossenen Vorhang hat, — es wächst, es tritt an den Tag: wir haben Nichts in der Hand, zu bestimmen, weder seinen Werth, noch seine Stunde. Einzig auf jeden mittelbaren segnenden und wehrenden Einfluss sind wir angewiesen.»Es ist etwas Grösseres, das hier wächst, als wir sind «ist unsere geheimste Hoffnung: ihm legen wir Alles zurecht, dass es gedeihlich zur Welt komme: nicht nur alles Nützliche, sondern auch die Herzlichkeiten und Kränze unserer Seele. — In dieser Weihe soll man leben! Kann man leben! Und sei das Erwartete ein Gedanke, eine That, — wir haben zu allem wesentlichen Vollbringen kein anderes Verhältniss, als das der Schwangerschaft und sollten das anmaassliche Reden von» Wollen «und» Schaffen «in den Wind blasen! Diess ist die rechte idealische Selbstsucht: immer zu sorgen und zu wachen und die Seele still zu halten, dass unsere Fruchtbarkeit schön zu Ende gehe! So, in dieser mittelbaren Art sorgen und wachen wir für den Nutzen Aller; und die Stimmung, in der wir leben, diese stolze und milde Stimmung, ist ein Öl, welches sich weit um uns her auch auf die unruhigen Seelen ausbreitet. — Aber wunderlich sind die Schwangeren! Seien wir also auch wunderlich und verargen wir es den Anderen nicht, wenn sie es sein müssen! Und selbst, wo diess in's Schlimme und Gefährliche sich verläuft: bleiben wir in der Ehrfurcht vor dem Werdenden nicht hinter der weltlichen Gerechtigkeit zurück, welche dem Richter und dem Henker nicht erlaubt, eine Schwangere zu berühren!

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