298.
Der Heroen-Cultus und seine Fanatiker. — Der Fanatiker eines Ideals, welches Fleisch und Blut hat, ist gewöhnlich so lange im Rechte, als er verneint, und er ist furchtbar darin: er kennt das Verneinte so gut wie sich selber, aus dem einfachsten Grunde, dass er von dorther kommt, dort zu Hause ist und sich im Geheimen immer fürchtet, dorthin noch zurückzumüssen, — er will sich die Rückkehr unmöglich machen, durch die Art, wie er verneint. Sobald er aber bejaht, macht er die Augen halb zu und fängt an zu idealisiren (häufig auch nur, um den zu Hause Gebliebenen damit wehe zu thun — ); man nennt diess wohl etwas Künstlerisches, — gut, aber es ist auch etwas Unredliches daran. Der Idealist einer Person stellt sich diese Person so in die Ferne, dass er sie nicht mehr scharf sehen kann — und nun deutet er, was er noch sieht, in's» Schöne «um, das will sagen: in's Symmetrische, Weichlinienhafte, Unbestimmte. Da er sein in der Ferne und Höhe schwebendes Ideal nunmehr auch anbeten will, so hat er, zum Schutze vor dem profanum vulgus, nöthig, einen Tempel für seine Anbetung zu bauen. Hierhin bringt er alle ehrwürdigen und geweihten Gegenstände, die er sonst noch besitzt, damit deren Zauber auch noch dem Ideal zu Gute komme und es in dieser Nahrung wachse und immer göttlicher werde. Zuletzt hat er wirklich seinen Gott fertig gemacht, — aber wehe! es giebt Einen, der darum weiss, wie das zugegangen ist, sein intellectuelles Gewissen, — und es giebt auch Einen, der dagegen, ganz unbewusst, protestirt, nämlich der Vergöttlichte selber, der nunmehr, in Folge von Cultus, Lobgesang und Weihrauch, unausstehlich wird und augenscheinlich in abscheulicher Weise sich als Nicht-Gott und All-zu-sehr-Mensch verräth. Hier bleibt nun einem solchen Fanatiker nur noch Ein Ausweg: er lässt sich und seines Gleichen geduldig misshandeln und interpretirt das ganze Elend auch noch in majorem dei gloriam, durch eine neue Gattung von Selbstbetrug und edler Lüge: er nimmt gegen sich Partei und empfindet, als Gemisshandelter und als Interpret, dabei Etwas wie ein Martyrium, — so steigt er auf den Gipfel seines Dünkels. — Menschen dieser Art lebten zum Beispiel um Napoleon: ja vielleicht ist gerade er es, der die romantische dem Geiste der Aufklärung fremde Prostration vor dem» Genie «und dem» Heros «unserem Jahrhundert in die Seele gegeben hat, er, vor dem ein Byron sich nicht zu sagen schämte, er sei ein» Wurm gegen solch ein Wesen«. (Die Formeln einer solchen Prostration sind von jenem alten anmaasslichen Wirr- und Murrkopfe, Thomas Carlyle, gefunden worden, der ein langes Leben darauf verwendet hat, die Vernunft seiner Engländer romantisch zu machen: umsonst!)
299.
Anschein des Heroismus. — Sich mitten unter die Feinde werfen, kann das Merkmal der Feigheit sein.
300.
Gnädig gegen den Schmeichler. — Die letzte Klugheit der unersättlich Ehrgeizigen ist, ihre Menschenverachtung nicht merken zu lassen, welche der Anblick der Schmeichler ihnen einflösst: sondern gnädig auch gegen sie zu erscheinen, wie ein Gott, der nicht anders als gnädig sein kann.
301.
«Charaktervoll«. —»Was ich einmal gesagt habe, das thue ich«— diese Denkweise gilt als charaktervoll. Wie viele Handlungen werden gethan, nicht weil sie als die vernünftigsten ausgewählt worden sind, sondern weil sie, als sie uns einfielen, auf irgend welche Art unsere Ehrsucht und Eitelkeit gereizt haben, sodass wir dabei verbleiben und sie blindlings durchsetzen! So mehren sie bei uns selber den Glauben an unseren Charakter und unser gutes Gewissen, also, im Ganzen, unsere Kraft: während das Auswählen des möglichst Vernünftigen die Skepsis gegen uns und dermaassen ein Gefühl der Schwäche in uns unterhält.
302.
Einmal, zweimal und dreimal wahr! — Die Menschen lügen unsäglich oft, aber sie denken hinterher nicht daran und glauben im Ganzen nicht daran.
303.
Kurzweil des Menschenkenners. — Er glaubt mich zu kennen und fühlt sich fein und wichtig, wenn er so und so mit mir verkehrt: ich hüte mich, ihn zu enttäuschen. Denn ich würde es zu entgelten haben, während er mir jetzt wohlwill, da ich ihm ein Gefühl der wissenden Überlegenheit verschaffe. — Da ist ein Anderer: der fürchtet sich, dass ich mir einbilde, ihn zu kennen, und sieht sich dabei erniedrigt. So beträgt er sich schauerlich und unbestimmt und sucht mich über sich in die Irre zu führen, — um sich über mich wieder zu erheben.
304.
Die Welt — Vernichter. — Diesem gelingt Etwas nicht; schliesslich ruft er empört aus:»so möge doch die ganze Welt zu Grunde gehen!«Dieses abscheuliche Gefühl ist der Gipfel des Neides, welcher folgert: weil ich Etwas nicht haben kann, soll alle Welt Nichts haben! soll alle Welt Nichts sein.
305.
Geiz. — Unser Geiz beim Kaufen nimmt mit der Wohlfeilheit der Gegenstände zu, — warum? Ist es, dass die kleinen Preis-Unterschiede eben erst das kleine Auge des Geizes machen?
306.
Griechisches Ideal. — Was bewunderten die Griechen an Odysseus? Vor Allem die Fähigkeit zur Lüge und zur listigen und furchtbaren Wiedervergeltung; den Umständen gewachsen sein; wenn es gilt, edler erscheinen als der Edelste; sein können, was man will; heldenhafte Beharrlichkeit; sich alle Mittel zu Gebote stellen; Geist haben — sein Geist ist die Bewunderung der Götter, sie lächeln, wenn sie daran denken — : diess Alles ist griechisches Ideal! Das Merkwürdigste daran ist, dass hier der Gegensatz von Scheinen und Sein gar nicht gefühlt und also auch nicht sittlich angerechnet wird. Gab es je so gründliche Schauspieler!
307.
Facta! Ja Facta ficta. — Ein Geschichtsschreiber hat es nicht mit dem, was wirklich geschehen ist, sondern nur mit den vermeintlichen Ereignissen zu thun: denn nur diese haben gewirkt. Ebenso nur mit den vermeintlichen Helden. Sein Thema, die sogenannte Weltgeschichte, sind Meinungen über vermeintliche Handlungen und deren vermeintliche Motive, welche wieder Anlass zu Meinungen und Handlungen geben, deren Realität aber sofort wieder verdampft und nur als Dampf wirkt, — ein fortwährendes Zeugen und Schwangerwerden von Phantomen über den tiefen Nebeln der unergründlichen Wirklichkeit. Alle Historiker erzählen von Dingen, die nie existirt haben, ausser in der Vorstellung.
308.
Sich nicht auf den Handel verstehen ist vornehm. — Seine Tugend nur zum höchsten Preise verkaufen oder gar mit ihr Wucher treiben, als Lehrer, Beamter, Künstler, — macht aus Genie und Begabung eine Krämer-Angelegenheit. Mit seiner Weisheit soll man nun einmal nicht klug sein wollen!
309.
Furcht und Liebe. — Die Furcht hat die allgemeine Einsicht über den Menschen mehr gefördert, als die Liebe, denn die Furcht will errathen, wer der Andere ist, was er kann, was er will: sich hierin zu täuschen, wäre Gefahr und Nachtheil. Umgekehrt hat die Liebe einen geheimen Impuls, in dem Andern so viel Schönes als möglich zu sehen oder ihn sich so hoch als möglich zu heben: sich dabei zu täuschen, wäre für sie eine Lust und ein Vortheil — und so thut sie es.
310.
Die Gutmüthigen. — Die Gutmüthigen haben ihr Wesen durch die beständige Furcht erlangt, welche ihre Voreltern vor fremden Übergriffen gehabt haben, — sie milderten, beschwichtigten, baten ab, beugten vor, zerstreuten, schmeichelten, duckten sich, verbargen den Schmerz, den Verdruss, glätteten sofort wieder ihre Züge — und zuletzt vererbten sie diesen ganzen zarten und wohlgespielten Mechanismus auf ihre Kinder und Enkel. Diesen gab ein günstigeres Geschick keinen Anlass zu jener beständigen Furcht: nichtsdestoweniger spielen sie beständig auf ihrem Instrumente.