3.
Dass die mit den Namen Schopenhauer und Wagner abgezeichneten Unzeitgemässen sonderlich zum Verständniss oder auch nur zur psychologischen Fragestellung beider Fälle dienen könnten, möchte ich nicht behaupten, Einzelnes, wie billig, ausgenommen. So wird zum Beispiel mit tiefer Instinkt-Sicherheit bereits hier das Elementarische in der Natur Wagners als eine Schauspieler-Begabung bezeichnet, die in seinen Mitteln und Absichten nur ihre Folgerungen zieht. Im Grunde wollte ich mit diesen Schriften Etwas ganz Andres als Psychologie treiben: — ein Problem der Erziehung ohne Gleichen, ein neuer Begriff der Selbst-Zucht, Selbst-Vertheidigung bis zur Härte, ein Weg zur Grösse und zu welthistorischen Aufgaben verlangte nach seinem ersten Ausdruck. Ins Grosse gerechnet nahm ich zwei berühmte und ganz und noch unfestgestellte Typen beim Schopf, wie man eine Gelegenheit beim Schopf nimmt, um Etwas auszusprechen, um ein Paar Formeln, Zeichen, Sprachmittel mehr in der Hand zu haben. Dies ist zuletzt, mit vollkommen unheimlicher Sagacität, auf S. 93 der dritten Unzeitgemässen auch angedeutet. Dergestalt hat sich Plato des Sokrates bedient, als einer Semiotik für Plato. — Jetzt, wo ich aus einiger Ferne auf jene Zustände zurückblicke, deren Zeugniss diese Schriften sind, möchte ich nicht verleugnen, dass sie im Grunde bloss von mir reden. Die Schrift »Wagner in Bayreuth« ist eine Vision meiner Zukunft; dagegen ist in »Schopenhauer als Erzieher« meine innerste Geschichte, mein Werden eingeschrieben. Vor Allem mein Gelöbniss! ... Was ich heute bin, wo ich heute bin — in einer Höhe, wo ich nicht mehr Mit Worten, sondern mit Blitzen rede —, oh wie fern davon war ich damals noch! — Aber ich sah das Land, — ich betrog mich nicht einen Augenblick über Weg, Meer, Gefahr — und Erfolg! Die grosse Ruhe im Versprechen, dies glückliche Hinausschaun in eine Zukunft, welche nicht nur eine Verheissung bleiben soll! — Hier ist jedes Wort erlebt, tief, innerlich; es fehlt nicht am Schmerzlichsten, es sind Worte darin, die geradezu blutrünstig sind. Aber ein Wind der grossen Freiheit bläst über Alles weg; die Wunde selbst wirkt nicht als Einwand. — Wie ich den Philosophen verstehe, als einen furchtbaren Explosionsstoff, vor dem Alles in Gefahr ist, wie ich meinen Begriff »Philosoph« meilenweit abtrenne von einem Begriff, der sogar noch einen Kant in sich schliesst, nicht zu reden von den akademischen »Wiederkäuern« und andren Professoren der Philosophie: darüber giebt diese Schrift eine unschätzbare Belehrung, zugegeben selbst, dass hier im Grunde nicht »Schopenhauer als Erzieher«, sondern sein Gegensatz, »Nietzsche als Erzieher«, zu Worte kommt. — In Anbetracht, dass damals mein Handwerk das eines Gelehrten war, und, vielleicht auch, dass ich mein Handwerk verstand, ist ein herbes Stück Psychologie des Gelehrten nicht ohne Bedeutung, das in dieser Schrift plötzlich zum Vorschein kommt: es drückt das Distanz-Gefühl aus, die tiefe Sicherheit darüber, was bei mir Aufgabe, was bloss Mittel, Zwischenakt und Nebenwerk sein kann. Es ist meine Klugheit, Vieles und vielerorts gewesen zu sein, um Eins werden zu können, — um zu Einem kommen zu können. Ich musste eine Zeit lang auch Gelehrter sein. —
Menschliches, Allzumenschliches.
Mit zwei Fortsetzungen.
1.
»Menschliches, Allzumenschliches« ist das Denkmal einer Krisis. Es heisst sich ein Buch für freie Geister: fast jeder Satz darin drückt einen Sieg aus — ich habe mich mit demselben vom Unzugehörigen in meiner Natur freigemacht. Unzugehörig ist mir der Idealismus: der Titel sagt »wo ihr ideale Dinge seht, sehe ich — Menschliches, ach nur Allzumenschliches!« ... Ich kenne den Menschen besser... — In keinem andren Sinne will das Wort »freier Geist« hier verstanden werden: ein frei gewordner Geist, der von sich selber wieder Besitz ergriffen hat. Der Ton, der Stimmklang hat sich völlig verändert: man wird das Buch klug, kühl, unter Umständen hart und spöttisch finden. Eine gewisse Geistigkeit vornehmen Geschmacks scheint sich beständig gegen eine leidenschaftlichere Strömung auf dem Grunde obenauf zu halten. In diesem Zusammenhang hat es Sinn, dass es eigentlich die hundertjährige Todesfeier Voltaire's ist, womit sich die Herausgabe des Buchs schon für das Jahr 1878 gleichsam entschuldigt. Denn Voltaire ist, im Gegensatz zu allem, was nach ihm schrieb, vor allem ein grandseigneur des Geistes: genau das, was ich auch bin. — Der Name Voltaire auf einer Schrift von mir — das war wirklich ein Fortschritt — zu mir ... Sieht man genauer zu, so entdeckt man einen unbarmherzigen Geist, der alle Schlupfwinkel kennt, wo das Ideal heimisch ist, — wo es seine Burgverliesse und gleichsam seine letzte Sicherheit hat. Eine Fackel in den Händen, die durchaus kein »fackelndes« Licht giebt, mit einer schneidenden Helle wird in diese Unterwelt des Ideals hineingeleuchtet. Es ist der Krieg, aber der Krieg ohne Pulver und Dampf, ohne kriegerische Attitüden, ohne Pathos und verrenkte Gliedmaassen — dies Alles selbst wäre noch »Idealismus«. Ein Irrthum nach dem andern wird gelassen aufs Eis gelegt, das Ideal wird nicht widerlegt — es erfriert... Hier zum Beispiel erfriert »das Genie«; eine Ecke weiter erfriert »der Heilige«; unter einem dicken Eiszapfen erfriert »der Held«; am Schluss erfriert »der Glaube«, die sogenannte »Überzeugung«, auch das »Mitleiden« kühlt sich bedeutend ab — fast überall erfriert »das Ding an sich« ...
2.
Die Anfänge dieses Buchs gehören mitten in die Wochen der ersten Bayreuther Festspiele hinein; eine tiefe Fremdheit gegen Alles, was mich dort umgab, ist eine seiner Voraussetzungen. Wer einen Begriff davon hat, was für Visionen mir schon damals über den Weg gelaufen waren, kann errathen, wie mir zu Muthe war, als ich eines Tags in Bayreuth aufwachte. Ganz als ob ich träumte ... Wo war ich doch? Ich erkannte Nichts wieder, ich erkannte kaum Wagner wieder. Umsonst blätterte ich in meinen Erinnerungen. Tribschen — eine ferne Insel der Glückseligen: kein Schatten von Ähnlichkeit. Die unvergleichlichen Tage der Grundsteinlegung, die kleine zugehörige Gesellschaft, die sie feierte und der man nicht erst Finger für zarte Dinge zu wünschen hatte: kein Schatten von Ähnlichkeit. Was war geschehn? — Man hatte Wagner ins Deutsche übersetzt! Der Wagnerianer war Herr über Wagner geworden! — Die deutsche Kunst! der deutsche Meister! das deutsche Bier! ... Wir Andern, die wir nur zu gut wissen, zu was für raffinirten Artisten, zu welchem Cosmopolitismus des Geschmacks Wagners Kunst allein redet, waren ausser uns, Wagnern mit deutschen »Tugenden« behängt wiederzufinden. — Ich denke, ich kenne den Wagnerianer, ich habe drei Generationen »erlebt«, vom seligen Brendel an, der Wagner mit Hegel verwechselte, bis zu den »Idealisten« der Bayreuther Blätter, die Wagner mit sich selbst verwechseln, — ich habe alle Art Bekenntnisse »schöner Seelen« über Wagner gehört. Ein Königreich für Ein gescheidtes Wort! — In Wahrheit, eine haarsträubende Gesellschaft! Nohl, Pohl, Kohl mit Grazie in infinitum! Keine Missgeburt fehlt darunter, nicht einmal der Antisemit. — Der arme Wagner! Wohin war er gerathen! — Wäre er doch wenigstens unter die Säue gefahren! Aber unter Deutsche! ... Zuletzt sollte man, zur Belehrung der Nachwelt, einen echten Bayreuther ausstopfen, besser noch in Spiritus setzen, denn an Spiritus fehlt es —, mit der Unterschrift: so sah der »Geist« aus, auf den hin man das »Reich« gründete ... Genug, ich reiste mitten drin für ein paar Wochen ab, sehr plötzlich, trotzdem dass eine charmante Pariserin mich zu trösten suchte; ich entschuldigte mich bei Wagner bloss mit einem fatalistischen Telegramm. In einem tief in Wäldern verborgnen Ort des Böhmerwalds, Klingenbrunn, trug ich meine Melancholie und Deutschen-Verachtung wie eine Krankheit mit mir herum und schrieb von Zeit zu Zeit, unter dem Gesammttitel »die Pflugschar«, einen Satz in mein Taschenbuch, lauter harte Psychologica, die sich vielleicht in »Menschliches, Allzumenschliches« noch wiederfinden lassen.