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4.

Aus dieser Schrift redet eine ungeheure Hoffnung. Zuletzt fehlt mir jeder Grund, die Hoffnung auf eine dionysische Zukunft der Musik zurückzunehmen. Werfen wir einen Blick ein Jahrhundert voraus, setzen wir den Fall, dass mein Attentat auf zwei Jahrtausende Widernatur und Menschenschändung gelingt. Jene neue Partei des Lebens, welche die grösste aller Aufgaben, die Höherzüchtung der Menschheit in die Hände nimmt, eingerechnet die schonungslose Vernichtung alles Entartenden und Parasitischen, wird jenes Zuviel von Leben auf Erden wieder möglich machen, aus dem auch der dionysische Zustand wieder erwachsen muss. Ich verspreche ein tragisches Zeitalter: die höchste Kunst im Jasagen zum Leben, die Tragödie, wird wiedergeboren werden, wenn die Menschheit das Bewusstsein der härtesten, aber nothwendigsten Kriege hinter sich hat, ohne daran zu leiden ... Ein Psychologe dürfte noch hinzufügen, dass was ich in jungen Jahren bei Wagnerischer Musik gehört habe, Nichts überhaupt mit Wagner zu thun hat; dass wenn ich die dionysische Musik beschrieb, ich das beschrieb, was ich gehört hatte, — dass ich instinktiv Alles in den neuen Geist übersetzen und transfiguriren musste, den ich in mir trug. Der Beweis dafür, so stark als nur ein Beweis sein kann, ist meine Schrift »Wagner in Bayreuth«: an allen psychologisch entscheidenden Stellen ist nur von mir die Rede, man darf rücksichtslos meinen Namen oder das Wort »Zarathustra« hinstellen, wo der Text das Wort Wagner giebt. Das ganze Bild des dithyrambischen Künstlers ist das Bild des präexistenten Dichters des Zarathustra, mit abgründlicher Tiefe hingezeichnet und ohne einen Augenblick die Wagnersche Realität auch nur zu berühren. Wagner selbst hatte einen Begriff davon; er erkannte sich in der Schrift nicht wieder. — Insgleichen hatte sich »der Gedanke von Bayreuth« in Etwas verwandelt, das den Kennern meines Zarathustra kein Räthsel-Begriff sein wird: in jenen grossen Mittag, wo sich die Auserwähltesten zur grössten aller Aufgaben weihen — wer weiss? die Vision eines Festes, das ich noch erleben werde ... Das Pathos der ersten Seiten ist welthistorisch; der Blick, von dem auf der siebenten Seite die Rede ist, ist der eigentliche Zarathustra-Blick; Wagner, Bayreuth, die ganze kleine deutsche Erbärmlichkeit ist eine Wolke, in der eine unendliche fata morgana der Zukunft sich spiegelt. Selbst psychologisch sind alle entscheidenden Züge meiner eignen Natur in die Wagners eingetragen das Nebeneinander der lichtesten und verhängnissvollsten Kräfte, der Wille zur Macht, wie ihn nie ein Mensch besessen hat, die rücksichtslose Tapferkeit im Geistigen, die unbegrenzte Kraft zu lernen, ohne dass der Wille zur That damit erdrückt würde. Es ist Alles an dieser Schrift vorherverkündend: die Nähe der Wiederkunft des griechischen Geistes, die Nothwendigkeit von Gegen-Alexandern, welche den gordischen Knoten der griechischen Cultur wieder binden, nachdem er gelöst war ... Man höre den welthistorischen Accent, mit dem auf Seite 30 der Begriff »tragische Gesinnung« eingeführt wird: es sind lauter welthistorische Accente in dieser Schrift. Dies ist die fremdartigste »Objektivität«, die es geben kann: die absolute Gewissheit darüber, was ich bin, projicirte sich auf irgend eine zufällige Realität, — die Wahrheit über mich redete aus einer schauervollen Tiefe. Auf Seite 71 wird der Stil des Zarathustra mit einschneidender Sicherheit beschrieben und vorweggenommen; und niemals wird man einen grossartigeren Ausdruck für das Ereigniss Zarathustra, den Akt einer ungeheuren Reinigung und Weihung der Menschheit, finden, als er in den Seiten 43-46 gefunden ist. —

Die Unzeitgemässen.

1.

Die vier Unzeitgemässen sind durchaus kriegerisch. Sie beweisen, dass ich kein »Hans der Träumer« war, dass es mir Vergnügen macht, den Degen zu ziehn, — vielleicht auch, dass ich das Handgelenk gefährlich frei habe. Der erste Angriff (1873) galt der deutschen Bildung, auf die ich damals schon mit schonungsloser Verachtung hinabblickte. Ohne Sinn, ohne Substanz, ohne Ziel: eine blosse »öffentliche Meinung«. Kein bösartigeres Missverständniss als zu glauben, der grosse Waffen-Erfolg der Deutschen beweise irgend Etwas zu Gunsten dieser Bildung — oder gar ihren Sieg über Frankreich ... Die zweite Unzeitgemässe (1874) bringt das Gefährliche, das Leben-Annagende und —Vergiftende in unsrer Art des Wissenschafts-Betriebs an's Licht —: das Leben krank an diesem entmenschten Räderwerk und Mechanismus, an der « Unpersönlichkeit« des Arbeiters, an der falschen Ökonomie der »Theilung der Arbeit«. Der Zweck geht verloren, die Cultur: — das Mittel, der moderne Wissenschafts-Betrieb, barbarisirt... In dieser Abhandlung wurde der »historische Sinn«, auf den dies Jahrhundert stolz ist, zum ersten Mal als Krankheit erkannt, als typisches Zeichen des Verfalls. — In der dritten und vierten Unzeitgemässen werden, als Fingerzeige zu einem höheren Begriff der Cultur, zur Wiederherstellung des Begriffs »Cultur«, zwei Bilder der härtesten Selbstsucht, Selbstzucht dagegen aufgestellt, unzeitgemässe Typen par excellence, voll souverainer Verachtung gegen Alles, was um sie herum »Reich«, »Bildung«, »Christenthum«, »Bismarck«, »Erfolg« hiess, — Schopenhauer und Wagner oder, mit Einem Wort, Nietzsche ...

2.

Von diesen vier Attentaten hatte das erste einen ausserordentlichen Erfolg. Der Lärm, den es hervorrief, war in jedem Sinne prachtvoll. Ich hatte einer siegreichen Nation an ihre wunde Stelle gerührt, — dass ihr Sieg nicht ein Cultur-Ereigniss sei, sondern vielleicht, vielleicht etwas ganz Anderes ... Die Antwort kam von allen Seiten und durchaus nicht bloss von den alten Freunden David Straussens, den ich als Typus eines deutschen Bildungsphilisters und satisfait, kurz als Verfasser seines Bierbank-Evangeliums vom »alten und neuen Glauben« lächerlich gemacht hatte (- das Wort Bildungsphilister ist von meiner Schrift her in der Sprache übrig geblieben). Diese alten Freunde, denen ich als Würtembergern und Schwaben einen tiefen Stich versetzt hatte, als ich ihr Wunderthier, ihren Strauss komisch fand, antworteten so bieder und grob, als ich's irgendwie wünschen konnte; — die preussischen Entgegnungen waren klüger, — sie hatten mehr »Berliner Blau« in sich. Das Unanständigste leistete ein Leipziger Blatt, die berüchtigten »Grenzboten«; ich hatte mühe, die entrüsteten Basler von Schritten abzuhalten. Unbedingt für mich entschieden sich nur einige alte Herrn, aus gemischten und zum Theil unausfindlichen Gründen. Darunter Ewald in Göttingen, der zu verstehn gab, mein Attentat sei für Strauss tödtlich abgelaufen. Insgleichen der alte Hegelianer Bruno Bauer, an dem ich von da an einen meiner aufmerksamsten Leser gehabt habe. Er liebte es, in seinen letzten Jahren, auf mich zu verweisen, zum Beispiel Herrn von Treitschke, dem preussischen Historiographen, einen Wink zu geben, bei wem er sich Auskunft über den ihm verloren gegangnen Begriff »Cultur« holen könne. Das Nachdenklichste, auch das Längste über die Schrift und ihren Autor wurde von einem alten Schüler des Philosophen von Baader gesagt, einem Professor Hoffmann in Würzburg. Er sah aus der Schrift eine grosse Bestimmung für mich voraus, — eine Art Krisis und höchste Entscheidung im Problem des Atheismus herbeizuführen, als dessen instinktivsten und rücksichtslosesten Typus er mich errieth. Der Atheismus war das, was mich zu Schopenhauer führte. — Bei weitem am besten gehört, am bittersten empfunden wurde eine ausserordentlich starke und tapfere Fürsprache des sonst so milden Karl Hillebrand, dieses letzten humanen Deutschen, der die Feder zu führen wusste. Man las seinen Aufsatz in der »Augsburger Zeitung«; man kann ihn heute, in einer etwas vorsichtigeren Form, in seinen gesammelten Schriften lesen. Hier war die Schrift als Ereigniss, Wendepunkt, erste Selbstbesinnung, allerbestes Zeichen dargestellt, als eine wirkliche Wiederkehr des deutschen Ernstes und der deutschen Leidenschaft in geistigen Dingen. Hillebrand war voll hoher Auszeichnung für die Form der Schrift, für ihren reifen Geschmack, für ihren vollkommnen Takt in der Unterscheidung von Person und Sache: er zeichnete sie als die beste polemische Schrift aus, die deutsch geschrieben sei, — in der gerade für Deutsche so gefährlichen, so widerrathbaren Kunst der Polemik. Unbedingt jasagend, mich sogar in dem verschärfend, was ich über die Sprach-Verlumpung in Deutschland zu sagen gewagt hatte (- heute spielen sie die Puristen und können keinen Satz mehr bauen —), in gleicher Verachtung gegen die »ersten Schriftsteller« dieser Nation, endete er damit, seine Bewunderung für meinen Muth auszudrücken — jenen »höchsten Muth, der gerade die Lieblinge eines Volks auf die Anklagebank bringt«.. . Die Nachwirkung dieser Schrift ist geradezu unschätzbar in meinem Leben. Niemand hat bisher mit mir Händel gesucht. Man schweigt, man behandelt mich in Deutschland mit einer düstern Vorsicht: ich habe seit Jahren von einer unbedingten Redefreiheit Gebrauch gemacht, zu der Niemand heute, am wenigsten im »Reich«, die Hand frei genug hat. Mein Paradies ist »unter dem Schatten meines Schwertes« ... Im Grunde hatte ich eine Maxime Stendhals prakticirt: er räth an, seinen Eintritt in die Gesellschaft mit einem Duell zu machen. Und wie ich mir meinen Gegner gewählt hatte! den ersten deutschen Freigeist! ... In der That, eine ganz neue Art Freigeisterei kam damit zum ersten Ausdruck: bis heute ist mir Nichts fremder und unverwandter als die ganze europäische und amerikanische Species von »libres penseurs«. Mit ihnen als mit unverbesserlichen Flachköpfen und Hanswürsten der »modernen Ideen« befinde ich mich sogar in einem tieferen Zwiespalt als mit Irgendwem von ihren Gegnern. Sie wollen auch, auf ihre Art, die Menschheit »verbessern«, nach ihrem Bilde, sie würden gegen das, was ich bin, was ich will, einen unversöhnlichen Krieg machen, gesetzt dass sie es verstünden, — sie glauben allesammt noch ans »Ideal« ... Ich bin der erste Immoralist

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