In dem Saal mit der durchsichtigen Decke hingen filigrane Käfige mit Vögeln, die in präziser Handarbeit von den königlichen Schmieden aus dünnsten Metallplatten gefertigt worden waren. Diese Vögel flatterten, drehten ihre Köpfe, zwitscherten, trillerten und sangen mit den Musikern wie echte Kanarienvögel auf dem Planeten Kitur.
Tatsache war, dass König Nait nie diesen Planeten besucht hatte und er wünschte sich leidenschaftlich Kanarienvögel nach Leimader zu bringen. Aus irgendeinem Grund aber lebten sich diese Vögel auf dem Planeten der segelnden Inseln nicht ein und so erstellten die Meister ihre exakte Kopie.
König Nait und Königin Luna saßen auf majestätischen Thronen in dem riesigen Saal und hießen ihre zahlreichen Gäste willkommen. Die Erben des Königs saßen zu beider Seiten ihrer Eltern: Lutan an der Seite der Mutter, Largo und Mian an der Seite des Vaters.
Die neu Angekommenen erschienen vor der königliche Familie. Der Reihe nach grüßten sie durch Verbeugung und Knicks, gratulierten und brachten teure Geschenke dar, danach vermischten sie sich in der Menge die den Saal füllte.
Als die ältere Dame neben einem großen Polsterhocker stand, schlüpfte Nico aus seinem Versteck und verbarg sich in dessen Unterbau. Bald darauf begann er, mitsamt seines Verstecks, zum Tisch mit den Geschenken vorzurücken. Er bemühte sich es möglichst langsam zu tun, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, doch plötzlich stieß er einer jungen Drachin in die Kniekehlen, diese plumpste auf den Hocker und hatte offensichtlich nicht vor wieder aufzustehen. Da rieß sich Nico eine Feder aus und begann sie in den Kniekehlen zu kitzeln. Überzeugt, dass sich im Hocker Ungeziefer befand, sprang die Drachin quietschend auf ihre Füße. Nico wartete ein wenig ab und kroch weiter zum nächstgelegenen Tisch, dieser war mit einer Tischdecke überzogen und er schlüpfte schnell unter den langen Stoff.
Unter dem Tisch sitzend, betrachtete er mit Interesse die Anwesenden. Der ganze Saal war mit verschiedenartigen Vertretern der Drachenwelt gefüllt und was für Drachen es dort zu sehen gab! Drachen von weiß bis schwarz, von einfarbig bis bunt oder gesprenkelt, von groß bis klein, mit kleinen Flügeln, mit großen, mit langen Schwänzen mit kurzen, mit einem Kopf oder auch mit mehreren. Die Damen trugen verschiedensten Schmuck. In ihre Mähnen hatten sie Perlen, Blumen und Haarklammern mit bunten Steinen eingeflochten und auf den Schwanzspitzen saßen schöne Schleifen.
Immer noch kamen Gäste an. Damen defilierten in Begleitung von Kavalieren. Mütter führten ihre Töchter in die Öffentlichkeit, um einen Bräutigam für sie zu finden. Männer ergriffen die Gelegenheit, um in Männerrunden reichlich zu debattieren. Hier und da standen kleine Gruppen, in denen verschiedene Neuigkeiten heiß diskutiert wurden und in denen es ausschließlich um Männerthemen ging. Ältere Damen saßen auf gepolsterten Sitzbänken und klatschten nicht weniger lebhaft. Jüngere Drachinnen – im Heiratsalter – standen, aufgeregt flüsternd in kleinen Gruppen entlang der Wände und kicherten wenn ein potentieller Bräutigam sie ansah. Sie alle begutachteten heimlich die königlichen Sprosse.
Auf einmal erblickte Nico ein junges Mädchen, das ungefähr in seinem Alter war. Sie war ziemlich attraktiv und zu seiner Überraschung genau so groß wie er selbst. Das Drachenmädchen sah ihn ebenfalls und schaute ihn mit Interesse an. Sie lächelte freundlich und verschwand in der Menge, einem wichtigen Drachen hinterher – offenbar ihrem Vater.
Nico erstarrte vor Überraschung, keiner hatte ihn je so freundlich angelächelt, erst recht kein junges Mädchen. Sein Herz klopfte heftig und er war bereit, die Gefahr vergessend, unter dem Tisch hervor zu springen und ihr hinterher zu rennen. Aber nachdem das letzte Geschenk überreicht worden war, verkündete der König den Beginn des Festes und alle strömten in den Speisesaal.
Nico schlich sich hinter den Gästen in den Saal, in dem sich die Tafeln unter allerlei Speisen bogen. Am Kopfende saß die königliche Familie und von dort aus, an beiden Seiten des Tisches, die Gäste. Im Saal wurden allerlei Getränke verteilt. Die Becher, die vor den Gästen standen schienen unerschöpflich – sie wurden laufend mit Nektar oder berauschenden Getränken gefüllt. Die Trinkgefäße der königlichen Familie unterschieden sich von denen der Gäste, vor jedem von ihnen stand der traditionelle Familienkelch, ein Horn das auf einem Ständer ruhte.
In der Mitte des Saals traten abwechselnd Tänzer, Akrobaten und Sänger auf und Krieger zeigten ihre Geschicklichkeit im Schwertkampf, aber Höhepunkt des Abends war der Auftritt der Meister. Sie brachten alle in eine solche Stimmung, dass den Gästen vor Lachen die Bäuche weh taten. Ein Drache war offensichtlich der Meister und der andere sein Assistent. Dieser besaß einen schlangenähnlichen Körper und konnte sich in solch undenkbare Knoten verbiegen, dass jemand aus dem Saal ihn aufknoten musste. Als der Meister aus seiner Schnauze buntes Feuer spie, da furzte der Assistent im gleichen Takt und dasselbe Feuer kam von der anderen Seite. Dies war keine Absicht, bloß um das Feuer bunt zu machen, mussten sie auf die Hilfe des Alchemisten zurückgreifen und die eingenommene Flüssigkeit zeigte Nebenwirkungen in Form von „zusätzlichem Feuer“.
Obwohl der Ball lustig und reibungslos verlief, kam er natürlich nicht ganz ohne Zwischenfälle aus. Einer der Gäste war ein neunköpfiger Drache und einer seiner Köpfe stach sehr durch freches und schlechtes Benehmen hervor – wie konnte es auch anders sein, wo er doch eine Vorliebe zum Trinken hatte… Dieser Kopf brachte seine Kollegen, durch regelmäßigen Unfug vor feiner Gesellschaft, in peinliche Situationen. Für sein rüpelhaftes Verhalten wurde ihm der Kopf schon öfters abgeschlagen, in der Hoffnung, dass es ihm eine Lehre sei und er mit mehr Vernunft und besserem Verhalten nachwachsen werde. Allerdings es half alles nichts, der neue Kopf verhielt sich genau so wie der alte. Sobald die restlichen acht Köpfe nicht hinsahen, fand der neunte irgendeinen Krug mit Wein und trank ihn, seine Schnauze bis zu den Ohren hineinsteckend, in einem Zug aus.
Erst bemühte sich der Trunkenbold, seinen Rausch nicht zu zeigen, aber bereits kurze Zeit später, wenn ihm das Hochprozentige zu Kopf gestiegen war, fing er an Lieder zu grölen und unanständig zu schimpfen. Hatte dies begonnen, versuchten die anderen Köpfe ihn zum schweigen zu bringen, in dem sie seinen, sich davon windenden Hals schnappten und ihn unter den Flügeln versteckten, aber ausgerechnet wenn alle acht Köpfe eingeschlafen waren, erwachte der neunte Kopf und begann erneut durch die Gegend zu lärmen. Am häufigsten passierte dies an Festtagen die von König Nait veranstaltet wurden.
Gäste die über Nacht im Schloss blieben, wurden manchmal unvermittelt von wilden Schreien, Liedern oder Geschimpfe geweckt, das von diesem volltrunkenen Kopf ausging. Genauso erging es der gesamten Nachbarschaft. Wieder und wieder wurde beim König eine Petition eingereicht, der Unruhestifter solle keinen Einlass zu den Bällen mehr erhalten. Zunächst sah König Nait über die Vorfälle hinweg, schließlich hatte der Drache eine lange Ahnenreihe und stand in Verwandtschaft zur königlichen Familie, außerdem man musste gerecht sein: die anderen acht Köpfe verhielten sich anständig. Als aber die Beschwerden mehr und mehr wurden, befahl Nait dem Hooligan und Trinker eine spezielle Vorrichtung auf die Schnauze zu setzen, sodass er nicht mehr trinken könne, doch der Drache schaffte es, den Knebel bei passender Gelegenheit erfolgreich auszuziehen.
Inzwischen, während die Gäste feierten und jubelten, zog Nico hier und dort Besteck unter den Tisch. Aus einem Stück Stoff, das er von jemandes Rock abgerissen hatte, bastelte Nico ein kleines Bündel indem er sein Gut ablud. Als er gerade unter dem Tisch hervor kommen wollte, um das Schloss zu verlassen, trat einer der Gäste versehentlich auf seinen Schwanz. Nico schrie wie am Spieß, er riss seinen Schwanz fort, warf seine Beute von sich und rannte los. Einige Gäste sahen wie aus dem Bündel die gestohlenen Sachen herausfielen und jemand schrie: „Haltet den Dieb!“.