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Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Iphigenie. Orest.

Iphigenie:

Unglücklicher, ich löse deine Bande

Zum Zeichen eines schmerzlichern Geschicks.

Die Freiheit, die das Heiligtum gewährt,

Ist, wie der letzte lichte Lebensblick

Des schwer Erkrankten, Todesbote. Noch

Kann ich es mir und darf es mir nicht sagen,

Daß ihr verloren seid! Wie könnt ich euch

Mit mörderischer Hand dem Tode weihen?

Und niemand, wer es sei, darf euer Haupt,

Solang ich Priesterin Dianens bin,

Berühren. Doch verweigr ich jene Pflicht,

Wie sie der aufgebrachte König fordert,

So wählt er eine meiner Jungfraun mir

Zur Folgerin, und ich vermag alsdann

Mit heißem Wunsch allein euch beizustehn.

O werter Landsmann! Selbst der letzte Knecht,

Der an den Herd der Vatergötter streifte,

Ist uns in fremdem Lande hoch willkommen:

Wie soll ich euch genug mit Freud und Segen

Empfangen, die ihr mir das Bild der Helden,

Die ich von Eltern her verehren lernte,

Entgegenbringet und das innre Herz

Mit neuer, schöner Hoffnung schmeichelnd labet!

Orest:

Verbirgst du deinen Namen, deine Herkunft

Mit klugem Vorsatz? oder darf ich wissen,

Wer mir, gleich einer Himmlischen, begegnet?

Iphigenie:

Du sollst mich kennen. Jetzo sag mir an,

Was ich nur halb von deinem Bruder hörte,

Das Ende derer, die, von Troja kehrend,

Ein hartes, unerwartetes Geschick

Auf ihrer Wohnung Schwelle stumm empfing.

Zwar ward ich jung an diesen Strand geführt;

Doch wohl erinnr ich mich des scheuen Blicks,

Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit

Auf jene Helden warf. Sie zogen aus,

Als hätte der Olymp sich aufgetan

Und die Gestalten der erlauchten Vorwelt

Zum Schrecken Ilions herabgesendet,

Und Agamemnon war vor allen herrlich!

O sage mir! er fiel, sein Haus betretend,

Durch seiner Frauen und Ägisthens Tücke?

Orest:

Du sagst's!

Iphigenie:

Weh dir, unseliges Myken!

So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch

Mit vollen, wilden Händen ausgesät.

Und, gleich dem Unkraut, wüste Häupter schüttelnd

Und tausendfält'gen Samen um sich streuend,

Den Kindeskindern nahverwandte Mörder

Zur ew'gen Wechselwut erzeugt! Enthülle,

Was von der Rede deines Bruders schnell

Die Finsternis des Schreckens mir verdeckte.

Wie ist des großen Stammes letzter Sohn,

Das holde Kind, bestimmt, des Vaters Rächer

Dereinst zu sein, wie ist Orest dem Tage

Des Bluts entgangen? Hat ein gleich Geschick

Mit des Avernus Netzen ihn umschlungen?

Ist er gerettet? Lebt er? Lebt Elektra?

Orest:

Sie leben.

Iphigenie:

Goldne Sonne, leihe mir

Die schönsten Strahlen, lege sie zum Dank

Vor Jovis Thron! denn ich bin arm und stumm.

Orest:

Bist du gastfreundlich diesem Königshause,

Bist du mit nähern Banden ihm verbunden,

Wie deine schöne Freude mir verrät,

So bändige dein Herz und halt es fest!

Denn unerträglich muß dem Fröhlichen

Ein jäher Rückfall in die Schmerzen sein.

Du weißt nur, merk ich, Agamemnons Tod.

Iphigenie:

Hab ich an dieser Nachricht nicht genug?

Orest:

Du hast des Greuels Hälfte nur erfahren.

Iphigenie:

Was fürcht ich noch? Orest, Elektra leben.

Orest:

Und fürchtest du für Klytämnestren nichts?

Iphigenie:

Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht.

Orest:

Auch schied sie aus dem Land der Hoffnung ab.

Iphigenie:

Vergoß sie reuig wütend selbst ihr Blut?

Orest:

Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod.

Iphigenie:

Sprich deutlicher, daß ich nicht länger sinne.

Die Ungewißheit schlägt mir tausendfältig

Die dunkeln Schwingen um das bange Haupt.

Orest:

So haben mich die Götter ausersehn

Zum Boten einer Tat, die ich so gern

Ins klanglos-dumpfe Höhlenreich der Nacht

Verbergen möchte? Wider meinen Willen

Zwingt mich dein holder Mund; allein er darf

Auch etwas Schmerzlichs fordern und erhält's.

Am Tage, da der Vater fiel, verbarg

Elektra rettend ihren Bruder: Strophius,

Des Vaters Schwäher, nahm ihn willig auf,

Erzog ihn neben seinem eignen Sohne,

Der, Pylades genannt, die schönsten Bande

Der Freundschaft um den Angekommnen knüpfte.

Und wie sie wuchsen, wuchs in ihrer Seele

Die brennende Begier, des Königs Tod

Zu rächen. Unversehen, fremd gekleidet,

Erreichen sie Myken, als brächten sie

Die Trauernachricht von Orestens Tode

Mit seiner Asche. Wohl empfänget sie

Die Königin; sie treten in das Haus.

Elektren gibt Orest sich zu erkennen;

Sie bläst der Rache Feuer in ihm auf,

Das vor der Mutter heil'ger Gegenwart

In sich zurückgebrannt war. Stille führt

Sie ihn zum Orte, wo sein Vater fiel,

Wo eine alte, leichte Spur des frech

Vergoßnen Blutes oft gewaschnen Boden

Mit blassen, ahndungsvollen Streifen färbte.

Mit ihrer Feuerzunge schilderte

Sie jeden Umstand der verruchten Tat,

Ihr knechtisch elend durchgebrachtes Leben,

Den Übermut der glücklichen Verräter

Und die Gefahren, die nun der Geschwister

Von einer stiefgewordnen Mutter warteten. —

Hier drang sie jenen alten Dolch ihm auf,

Der schon in Tantals Hause grimmig wütete,

Und Klytämnestra fiel durch Sohnes Hand.

Iphigenie:

Unsterbliche, die ihr den reinen Tag

Auf immer neuen Wolken selig lebet,

Habt ihr nur darum mich so manches Jahr

Von Menschen abgesondert, mich so nah

Bei euch gehalten, mir die kindliche

Beschäftigung, des heil'gen Feuers Glut

Zu nähren, aufgetragen, meine Seele

Der Flamme gleich in ew'ger, frommer Klarheit

Zu euern Wohnungen hinaufgezogen,

Daß ich nur meines Hauses Greuel später

Und tiefer fühlen sollte? — Sage mir

Vom Unglücksel'gen! Sprich mir von Orest! —

Orest:

O könnte man von seinem Tode sprechen!

Wie gärend stieg aus der Erschlagnen Blut

Der Mutter Geist

Und ruft der Nacht uralten Töchtern zu:

«Laßt nicht den Muttermörder entfliehn!

Verfolgt den Verbrecher! Euch ist er geweiht!»

Sie horchen auf, es schaut ihr hohler Blick

Mit der Begier des Adlers um sich her.

Sie rühren sich in ihren schwarzen Höhlen,

Und aus den Winkeln schleichen ihre Gefährten,

Der Zweifel und die Reue, leis herbei.

Vor ihnen steigt ein Dampf vom Acheron;

In seinen Wolkenkreisen wälzet sich

Die ewige Betrachtung des Geschehnen

Verwirrend um des Schuld'gen Haupt umher.

Und sie, berechtigt zum Verderben, treten

Der gottbesäten Erde schönen Boden,

Von dem ein alter Fluch sie längst verbannte.

Den Flüchtigen verfolgt ihr schneller Fuß;

Sie geben nur, um neu zu schrecken, Rast.

Iphigenie:

Unseliger, du bist in gleichem Fall

Und fühlst, was er, der arme Flüchtling, leidet!

Orest:

Was sagst du mir? Was wähnst du gleichen Fall?

Iphigenie:

Dich drückt ein Brudermord wie jenen; mir

Vertraute dies dein jüngster Bruder schon.

Orest:

Ich kann nicht leiden, daß du große Seele

Mit einem falschen Wort betrogen werdest.

Ein lügenhaft Gewebe knüpf ein Fremder

Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt,

Zur Falle vor die Füße; zwischen uns

Sei Wahrheit!

Ich bin Orest! und dieses schuld'ge Haupt

Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod;

In jeglicher Gestalt sei er willkommen!

Wer du auch seist, so wünsch ich Rettung dir

Und meinem Freunde; mir wünsch ich sie nicht.

Du scheinst hier wider Willen zu verweilen;

Erfindet Rat zur Flucht und laßt mich hier.

Es stürze mein entseelter Leib vom Fels,

Es rauche bis zum Meer hinab mein Blut

Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren!

Geht ihr, daheim im schönen Griechenland

Ein neues Leben freundlich anzufangen!

Er entfernt sich.

Iphigenie:

So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter

Des größten Vaters, endlich zu mir nieder!

Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir!

Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die,

Mit Frucht und Segenskränzen angefüllt,

Die Schätze des Olympus niederbringen.

Wie man den König an dem Übermaß

Der Gaben kennt — denn ihm muß wenig scheinen,

Was Tausenden schon Reichtum ist —, so kennt

Man euch, ihr Götter, an gesparten, lang

Und weise zubereiteten Geschenken.

Denn ihr allein wißt, was uns frommen kann,

Und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich,

Wenn jedes Abends Stern- und Nebelhülle

Die Aussicht uns verdeckt. Gelassen hört

Ihr unser Flehn, das um Beschleunigung

Euch kindisch bittet; aber eure Hand

Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte,

Und wehe dem, der, ungeduldig sie

Ertrotzend, saure Speise sich zum Tod

Genießt. O laßt das lang erwartete,

Noch kaum gedachte Glück nicht wie den Schatten

Des abgeschiednen Freundes eitel mir

Und dreifach schmerzlicher vorübergehn!

Orest tritt wieder zu ihr:

Rufst du die Götter an für dich und Pylades,

So nenne meinen Namen nicht mit eurem.

Du rettest den Verbrecher nicht, zu dem

Du dich gesellst, und teilest Fluch und Not.

Iphigenie:

Mein Schicksal ist an deines fest gebunden.

Orest:

Mitnichten! Laß allein und unbegleitet

Mich zu den Toten gehn. Verhülltest du

In deinen Schleier selbst den Schuldigen:

Du birgst ihn nicht vorm Blick der immer Wachen,

Und deine Gegenwart, du Himmlische,

Drängt sie nur seitwärts und verscheucht sie nicht.

Sie dürfen mit den ehrnen frechen Füßen

Des heil'gen Waldes Boden nicht betreten;

Doch hör ich aus der Ferne hier und da

Ihr gräßliches Gelächter. Wölfe harren

So um den Baum, auf den ein Reisender

Sich rettete. Da draußen ruhen sie

Gelagert; und verlaß ich diesen Hain,

Dann steigen sie, die Schlangenhäupter schüttelnd,

Von allen Seiten Staub erregend auf

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