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Das Zeitalter

Als nun der geistliche Herr den fremden Richter befragte,

Was die Gemeine gelitten, wie lang sie von Hause vertrieben,

Sagte der Mann darauf:»Nicht kurz sind unsere Leiden;

Denn wir haben das Bittre der sämtlichen Jahre getrunken,

Schrecklicher, weil auch uns die schönste Hoffnung zerstört ward.

Denn wer leugnet es wohl, daß hoch sich das Herz ihm erhoben,

Ihm die freiere Brust mit reineren Pulsen geschlagen,

Als sich der erste Glanz der neuen Sonne heranhob,

Als man hörte vom Rechte der Menschen, das allen gemein sei,

Von der begeisternden Freiheit und von der löblichen Gleichheit!

Damals hoffte jeder sich selbst zu leben; es schien sich

Aufzulösen das Band, das viele Länder umstrickte,

Das der Müßiggang und der Eigennutz in der Hand hielt.

Schauten nicht alle Völker in jenen drängenden Tagen

Nach der Hauptstadt der Welt, die es schon so lange gewesen

Und jetzt mehr als je den herrlichen Namen verdiente?

Waren nicht jener Männer, der ersten Verkünder der Botschaft,

Namen den höchsten gleich, die unter die Sterne gesetzt sind?

Wuchs nicht jeglichem Menschen der Mut und der Geist und die Sprache?

Und wir waren zuerst, als Nachbarn, lebhaft entzündet.

Drauf begann der Krieg, und die Züge bewaffneter Franken

Rückten näher; allein sie schienen nur Freundschaft zu bringen.

Und die brachten sie auch: denn ihnen erhöht war die Seele

Allen; sie pflanzten mit Lust die munteren Bäume der Freiheit,

Jedem das Seine versprechend, und jedem die eigne Regierung.

Hoch erfreute sich da die Jugend, sich freute das Alter,

Und der muntere Tanz begann um die neue Standarte.

So gewannen sie bald, die überwiegenden Franken,

Erst der Männer Geist, mit feurigem munterm Beginnen,

Dann die Herzen der Weiber, mit unwiderstehlicher Anmut.

Leicht selbst schien uns der Druck des vielbedürfenden Krieges;

Denn die Hoffnung umschwebte vor unsern Augen die Ferne,

Lockte die Blicke hinaus in neueröffnete Bahnen.

Oh, wie froh ist die Zeit, wenn mit der Braut sich der Bräut'gam

Schwinget im Tanze, den Tag der gewünschten Verbindung erwartend!

Aber herrlicher war die Zeit, in der uns das Höchste,

Was der Mensch sich denkt, als nah und erreichbar sich zeigte.

Da war jedem die Zunge gelöst; es sprachen die Greise,

Männer und Jünglinge laut voll hohen Sinns und Gefühles.

Aber der Himmel trübte sich bald. Um den Vorteil der Herrschaft

Stritt ein verderbtes Geschlecht, unwürdig, das Gute zu schaffen.

Sie ermordeten sich und unterdrückten die neuen

Nachbarn und Brüder und sandten die eigennützige Menge.

Und es praßten bei uns die Obern und raubten im großen,

Und es raubten und praßten bis zu dem Kleinsten die Kleinen;

Jeder schien nur besorgt, es bleibe was übrig für morgen.

Allzu groß war die Not, und täglich wuchs die Bedrückung;

Niemand vernahm das Geschrei, sie waren die Herren des Tages.

Da fiel Kummer und Wut auch selbst ein gelaßnes Gemüt an,

Jeder sann nur und schwur, die Beleidigung alle zu rächen

Und den bittern Verlust der doppelt betrogenen Hoffnung.

Und es wendete sich das Glück auf die Seite der Deutschen,

Und der Franke floh mit eiligen Märschen zurücke.

Ach, da fühlten wir erst das traurige Schicksal des Krieges!

Denn der Sieger ist groß und gut; zum wenigsten scheint er's,

Und er schonet den Mann, den besiegten, als wär' er der seine,

Wenn er ihm täglich nützt und mit den Gütern ihm dienet.

Aber der Flüchtige kennt kein Gesetz; denn er wehrt nur den Tod ab

Und verzehret nur schnell und ohne Rücksicht die Güter.

Dann ist sein Gemüt auch erhitzt, und es kehrt die Verzweiflung

Aus dem Herzen hervor das frevelhafte Beginnen.

Nichts ist heilig ihm mehr; er raubt es. Die wilde Begierde

Dringt mit Gewalt auf das Weib und macht die Lust zum Entsetzen.

Überall sieht er den Tod und genießt die letzten Minuten

Grausam, freut sich des Bluts und freut sich des heulenden Jammers.

Grimmig erhob sich darauf in unsern Männern die Wut nun,

Das Verlorne zu rächen und zu verteid'gen die Reste.

Alles ergriff die Waffen, gelockt von der Eile des Flüchtlings

Und vom blassen Gesicht und scheu unsicheren Blicke.

Rastlos nun erklang das Getön der stürmenden Glocke,

Und die künft'ge Gefahr hielt nicht die grimmige Wut auf.

Schnell verwandelte sich des Feldbaus friedliche Rüstung

Nun in Wehre; da troff von Blute Gabel und Sense.

Ohne Begnadigung fiel der Feind und ohne Verschonung;

Überall raste die Wut und die feige, tückische Schwäche.

Möcht' ich den Menschen doch nie in dieser schnöden Verirrung

Wieder sehn! Das wütende Tier ist ein besserer Anblick.

Sprech' er doch nie von Freiheit, als könn' er sich selber regieren!

Losgebunden erscheint, sobald die Schranken hinweg sind,

Alles Böse, das tief das Gesetz in die Winkel zurücktrieb.»

«Trefflicher Mann!«versetzte darauf der Pfarrer mit Nachdruck,

«Wenn ihr den Menschen verkennt, so kann ich Euch darum nicht schelten;

Habt Ihr doch Böses genug erlitten vorn wüsten Beginnen!

Wolltet Ihr aber zurück die traurigen Tage durchschauen,

Würdet Ihr selber gestehen, wie oft Ihr auch Gutes erblicktet.

Manches Treffliche, das verborgen bleibt in dem Herzen,

Regt die Gefahr es nicht auf, und drängt die Not nicht den Menschen,

Daß er als Engel sich zeig', erscheine den andern ein Schutzgott.»

Lächelnd versetzte darauf der alte würdige Richter.

«Ihr erinnert mich klug, wie oft nach dem Brande des Hauses

Man den betrübten Besitzer an Gold und Silber erinnert,

Das geschmolzen im Schutt nun überblieben zerstreut liegt.

Wenig ist es fürwahr, doch auch das wenige köstlich;

Und der Verarmte gräbet ihm nach und freut sich des Fundes.

Und so kehr ich auch gern die heitern Gedanken zu jenen

Wenigen guten Taten, die aufbewahrt das Gedächtnis.

Ja, ich will es nicht leugnen, ich sah sich Feinde versöhnen,

Um die Stadt vom Übel zu retten; ich sah auch der Freunde,

Sah der Eltern Lieb' und der Kinder Unmögliches wagen;

Sah, wie der Jüngling auf einmal zum Mann ward, sah, wie der Greis sich

Wieder verjüngte, das Kind sich selbst als Jüngling enthüllte.

Ja, und das schwache Geschlecht, so wie es gewöhnlich genannt wird,

Zeigte sich tapfer und mächtig und gegenwärtigen Geistes.

Und so laßt mich vor allen der schönen Tat noch erwähnen,

Die hochherzig ein Mädchen vollbrachte, die treffliche Jungfrau,

Die auf dem großen Gehöft allein mit den Mädchen zurückblieb;

Denn es waren die Männer auch gegen die Fremden gezogen.

Da überfiel den Hof ein Trupp verlaufnen Gesindels,

Plündernd, und drängte sogleich sich in die Zimmer der Frauen.

Sie erblickten das Bild der schön erwachsenen Jungfrau

Und die lieblichen Mädchen, noch eher Kinder zu heißen.

Da ergriff sie wilde Begier, sie stürmten gefühllos

Auf die zitternde Schar und aufs hochherzige Mädchen.

Aber sie riß dem einen sogleich von der Seite den Säbel,

Hieb ihn nieder gewaltig; er stürzt' ihr blutend zu Füßen.

Dann mit männlichen Streichen befreite sie tapfer die Mädchen,

Traf noch viere der Räuber; doch die entflohen dem Tode.

Dann verschloß sie den Hof und harrte der Hülfe, bewaffnet.»

Als der Geistliche nun das Lob des Mädchens vernommen,

Stieg die Hoffnung sogleich für seinen Freund im Gemüt auf,

Und er war im Begriff, zu fragen, wohin sie geraten?

Ob auf der traurigen Flucht sie nun mit dem Volk sich befinde?

Aber da trat herbei der Apotheker behende,

Zupfte den geistlichen Herrn und sagte die wispernden Worte:

«Hab ich doch endlich das Mädchen aus vielen hundert gefunden,

Nach der Beschreibung! So kommt und sehet sie selber mit Augen;

Nehmet den Richter mit Euch, damit wir das Weitere hören!»

Und sie kehrten sich um, und weg war gerufen der Richter

Von den Seinen, die ihn, bedürftig des Rates, verlangten.

Doch es folgte sogleich dem Apotheker der Pfarrherr

An die Lücke des Zauns, und jener deutete listig.

«Seht Ihr«, sagt' er,»das Mädchen? Sie hat die Puppe gewickelt,

Und ich erkenne genau den alten Kattun und den blauen

Kissenüberzug wohl, den ihr Hermann im Bündel gebracht hat.

Sie verwendete schnell, fürwahr, und gut die Geschenke.

Diese sind deutliche Zeichen, es treffen die übrigen alle;

Denn der rote Latz erhebt den gewölbeten Busen,

Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an;

Sauber ist der Saum des Hemdes zur Krause gefaltet

Und umgibt ihr das Kinn, das runde, mit reinlicher Anmut;

Frei und heiter zeigt sich des Kopfes zierliches Eirund,

Und die starken Zöpfe um silberne Nadeln gewickelt;

Sitzt sie gleich, so sehen wir doch die treffliche Größe

Und den blauen Rock, der, vielgefaltet, vom Busen

Reichlich herunterwallt zum wohlgebildeten Knöchel.

Ohne Zweifel, sie ist's. Drum kommet, damit wir vernehmen,

Ob sie gut und tugendhaft sei, ein häusliches Mädchen.»

Da versetzte der Pfarrer, mit Blicken die Sitzende prüfend:

«Daß sie den Jüngling entzückt, fürwahr, es ist mir kein Wunder,

Denn sie hält vor dem Blick des erfahrenen Mannes die Probe.

Glücklich, wem doch Mutter Natur die rechte Gestalt gab!

Denn sie empfiehlst ihn stets, und nirgends ist er ein Fremdling.

Jeder nahet sich gern, und jeder möchte verweilen,

Wenn die Gefälligkeit nur sich zu der Gestalt noch gesellet.

Ich versichr' Euch, es ist dem Jüngling ein Mädchen gefunden,

Das ihm die künftigen Tage des Lebens herrlich erheitert,

Treu mit weiblicher Kraft durch alle Zeiten ihm beisteht.

So ein vollkommener Körper gewiß verwahrt auch die Seele

Rein, und die rüstige Jugend verspricht ein glückliches Alter.»

Und es sagte darauf der Apotheker bedenklich:

«Trüget doch öfter der Schein! Ich mag dem Äußern nicht trauen,

Denn ich habe das Sprichwort so oft erprobet gefunden:

›Eh' du den Scheffel Salz mit dem neuen Bekannten verzehret,

Darfst du nicht leichtlich ihm trauen; dich macht die Zeit nur gewisser,

Wie du es habest mit ihm und wie die Freundschaft bestehe.‹

Lasset uns also zuerst bei guten Leuten uns umtun,

Denen das Mädchen bekannt ist und die uns von ihr nun erzählen.»

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