„Ich habe aber noch viel mehr Grund, Angst zu haben!“, antwortete ihr Geliebter. „Wenn Herbert zurückkommt, wird er dich wohl nur ein wenig verprügeln, bei mir aber wird er ganz bestimmt kein Pardon kennen. Ich muss mich vor ihm verstecken.“
Da versuchte Magdalena, ihn auf andere Weise zum Bleiben zu überreden.
„Von mir aus soll er doch zurückkommen. Ich liebe ihn schon lange nicht mehr, seine Zärtlichkeiten sind mir zuwider. Es ist deine Liebe, die ich möchte. Geld habe ich genug, es wird für uns beide reichen. Wir könnten uns ein eigenes Haus bauen. Seit zwei Jahren sind wir schon ein Liebespaar. Wenn mein Mann mich wegen des Ehebruchs verlässt, können wir beide heiraten und müssen unsere Liebe nicht mehr geheim halten.“
„Im Augenblick kann ich darüber nicht nachdenken“, entgegnete Karl, „ich bin vor Angst wie gelähmt. Lass mich morgen wissen, was hier im Haus weiter geschieht, danach entscheiden wir, was wir tun und wie wir uns verhalten.“
Nach diesen Worten schlich sich Baron Karl auf Zehenspitzen aus dem Haus, damit niemand ihn hörte, denn er wusste, dass es sich nicht schickt, die Ehefrauen anderer Leute zu verführen, vor allem nicht die seiner Freunde. Doch die Gräfin war steinreich, während er selbst Löcher in den Taschen hatte und Geld sich dort nicht lange hielt. „Schön ist sie außerdem“, hatte er damals gedacht, „und ihr Mann kommt so selten nach Hause. Einen solchen Glücksfall kann ich mir doch nicht entgehen lassen! Wenn ich es nicht tue, wird sich bestimmt ein anderer finden, der die Situation für sich zu nutzen weiß. Dann schon lieber ich.“ Doch nun, da er auf frischer Tat von dem Ehemann ertappt worden war, der noch dazu sein Freund gewesen war, schämte er sich sehr und hoffte nur, dass seine Schande nicht bekannt würde.
Inzwischen fand sich der betrogene Graf in einem dunklen Wald wieder, den er nicht kannte. Wie er dorthin geraten war, wusste er nicht. Vorsichtig kämpfte er sich durch das unwegsame Gelände. Für ihn wie auch für das Pferd war das Vorwärtskommen sehr kräftezehrend. Plötzlich stolperte sein treues Ross über eine mächtige Baumwurzel und stürzte. Das Pferd war auf der Stelle tot. Der Graf, halb unter dem Pferd begraben, verlor das Bewusstsein.
Erst am dritten Tag nach seinem fürchterlichen Sturz kam Graf Herbert wieder zu sich und stellte fest, dass er unter dem leblosen Körper seines treuen Pferdes eingeklemmt war. Eine Weile lag er still und versuchte sich zu erinnern, warum er überhaupt an diesem völlig unbekannten Ort war. Und als ihm alles wieder einfiel, wurde ihm übel bei dem Gedanken, dass seine Ehefrau sich als niederträchtige Ehebrecherin entpuppt hatte. Irgendwann wurden seine trüben Gedanken aber durch einen aufdringlichen, unangenehmen Geruch gestört, der ihm den Atem raubte. Er stellte fest, dass dieser Gestank von seinem toten Pferd ausging.
Der Graf brauchte mehrere Stunden, um sich unter dem Körper des Tieres hervorzukämpfen. Danach war er völlig erschöpft. Er rollte sich auf die Seite und war den Tränen nahe, so schwach und hilflos fühlte er sich. Gehen konnte er nicht, dazu war er zu schwer verletzt. Sein ganzer Körper schmerzte unerträglich. Herbert kroch von seinem Pferd weg, denn der Gestank raubte ihm den Atem. Er war zutiefst betrübt, dass er sein treues Ross nicht begraben konnte, wie es sich gehörte. Doch es war wichtiger, zu überlegen, wie es mit ihm selbst weitergehen sollte.
Der Graf überwand seinen Schmerz und kroch durch den Wald immer weiter. Unterwegs fand er Beeren, die er essen konnte, und sammelte Morgentau, um seinen Durst zu löschen. So kroch er mehrere Tage und Nächte durch den Wald, bis er schließlich so entkräftet war, dass er nicht mehr weiterkam. Schmerz und Schwäche übermannten ihn. Auch seine trüben Gedanken kamen zurück. Schließlich wünschte er sich den Tod, denn er wusste nicht, wie er nach dem Verrat seiner Frau überhaupt weiterleben konnte. Mit diesem Gedanken bewegte er sich auf eine stattliche Birke zu, legte sich in ihren Schatten, schaute hinauf in den Himmel und begann auf den Tod zu warten.
Er erwachte davon, dass jemand ihn kräftig an der Schulter rüttelte. Der Graf wollte den ungebetenen Störer mit lauter Stimme zurechtweisen, doch kein Ton entrann seiner Kehle. Er konnte nicht einmal flüstern. Als er die Augen öffnete, sah er eine hübsche und noch junge Frau, die vor ihm mit einem Körbchen voller Pilze und Beeren stand. Sie kam ihm vor wie eine Fee, so schön und anmutig.
„Du lebst, Gott sei Dank!“, vernahm Herbert eine warme, sanfte Stimme. „Ich hatte schon befürchtet, dass du gar nicht mehr atmest. Du liegst da wie ein gefällter Baum, ich versuche schon ziemlich lange, dich wach zu bekommen. Was tust du hier in diesem finsteren Wald? Wer hat dich so zugerichtet? Wie kann ich deine Familie benachrichtigen? Bitte sprich lauter, ich verstehe dich nicht.“
„Ich habe keine Familie“, flüsterte der Graf. „Ich bin ganz allein auf der Welt und ich möchte sterben. Geh, ich habe keine Kraft für leeres Geschwätz.“ Und er schloss wieder die Augen.
„Du hast kein Recht, dein Leben so wegzuwerfen, das ist eine große Sünde“, sprach die Frau. „Ich bringe dich jetzt erst einmal in meine Hütte und sorge dafür, dass du wieder zu Kräften kommst. Später können wir sehen, was du tatsächlich vom Leben erwartest.“
Damit stellte sie ihr Körbchen zur Seite, hob den erschlafften Körper an und schleppte ihn zu ihrem Häuschen. Das war eine mühevolle Arbeit, doch als es ihr endlich gelang, nahm sie sich nicht einmal die Zeit, den Schweiß von der Stirn zu wischen. Denn sie wusste, dass ihr das Schwierigste noch bevorstand: den halbtoten Körper wieder zum Leben zu erwecken.
Doch die junge Frau war eine geschickte und kundige Pflegerin. Unermüdlich kümmerte sie sich um den Verletzten, und genau sieben Wochen später war Graf Herbert wieder gesund und stark wie früher und voller Tatendrang. Die Waldfee, wie er sie nannte, hatte seine Wunden geheilt. Irgendwann in den langen Stunden, die sie an seinem Lager verbrachte und sich um ihn sorgte, vertraute sie ihm auch ihre Lebensgeschichte an.
„Ich bin keine Fee, ich bin Nada. Meine Eltern habe ich vor einigen Jahren verlassen, weil mein strenger Vater mich zwingen wollte, einen reichen Mann zu heiraten, den ich nicht liebte. Mir ist aber meine Freiheit mehr wert als das Leben in goldenen Ketten. Deshalb beschloss ich damals, lieber allein in den Wald zu gehen, als mit einem Mann, der mir nicht lieb ist, von teuerstem Porzellan zu essen. Und so lief ich von zu Hause fort. Nachdem ich eine Weile umhergeirrt war, fand ich diese Hütte. Damals wohnte hier eine wirkliche Waldfee. Sie nahm mich auf und brachte mir ihre Kunst des Heilens bei. Irgendwann ging sie von mir. Zwei Jahre später wäre sie hundert Jahre alt geworden. Nach ihrem Tod war ich sehr traurig. Seither lebe ich hier allein und warte, was das Schicksal für mich bereithält.“
Mit der Zeit schloss Graf Herbert die Prinzessin ins Herz und begann um sie zu werben.
„Auch ich habe dich sehr gern, Herbert“, sprach Nada. „Es war wohl mein Schicksal, mich in dich zu verlieben. Ich kann mir ein Leben ohne dich gar nicht mehr vorstellen. Gern will ich deine Frau werden und für immer mit dir zusammen sein. Aber zuerst musst du die Dinge mit deiner Ehefrau und den Kinder regeln. Geh, bring deine Angelegenheiten in Ordnung, dann komm zurück und ich werde deine Frau.“
Herbert beherzigte den weisen Rat seiner Retterin. Er verneigte sich tief vor ihr und begab sich auf den Weg zu seinem früheren Heim, um sich seiner Familie zu zeigen, dass er am Leben sei. Es lag ihm am Herzen, mit ihnen zu besprechen, wie es weitergehen sollte.
Seine Frau Magdalena empfing ihn sehr freundlich und gefällig.
„Wie schön, dass du zurückgekommen bist. Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet. Unserem Freund Karl habe ich das Haus verboten. Ausgeplündert hat er mich. Ich war ja so naiv! Er sprach von Liebe, dabei wollte er nur mein Geld. Niemals wieder werde ich dir so etwas antun, ich werde dich immer von ganzem Herzen lieben.“