„Deine Liebe will ich nicht mehr“, entgegnete Graf Herbert, „davon bin ich für immer geheilt. Bitte ruf unsere Kinder zusammen. Ich möchte sie sehen und meine weiteren Pläne mit ihnen besprechen. Von dir will ich mich scheiden lassen, ohne Streit. Du kannst nehmen, was dir gefällt, mich aber lass in Ruhe.“
Am nächsten Tag kamen die Kinder zusammen. Groß war ihre Freude, dass der Vater lebte und wieder zu Hause bei ihnen war. Sie wollten wissen, wo er so lange gewesen war und warum er nichts von sich hatte hören lassen. Der Vater teilte ihnen mit, dass er nicht zur Mutter zurückkehren würde. Er ersparte ihnen aber das Wissen um die mütterliche Untreue und erzählte nichts von dem, was geschehen war.
„Ich bin nur gekommen, um euch zu sehen, liebe Kinder, bevor ich für immer fortgehe und das Haus eurer Mutter überlasse. Kommt auch weiterhin hierher, wie ihr es früher getan habt. Ich aber werde für mich ein neues Haus bauen, und wenn es fertig ist, werde ich Nada heiraten. Sie ist von nun an meine Braut.“
Die Kinder verstanden natürlich die Gründe für sein Handeln nicht, doch sie akzeptierten seinen Entschluss und widersprachen nicht. Als aber Magdalena von seinen Plänen erfuhr, zerbrach sie sich den Kopf darüber, wie sie ihren Mann zurückerobern könnte. Zuerst versuchte sie es mit Freundlichkeit und Schmeichelei, doch Herbert wollte nichts davon wissen. Dann begann sie ihm vorzuwerfen, er mache sie unglücklich. Sie erfand Lügen über Nada, aber darauf fiel der kluge Graf nicht herein.
Als alles nichts half, ersann Magdalena einen finsteren Plan: Sie heuerte böse Menschen an, die Nada übel zurichten und sie ihrer Schönheit berauben sollten. Denn da sie selbst immer noch eine Schönheit war, meinte sie, dass Herbert es sich dann anders überlegen und zu ihr zurückkehren würde.
Als der Graf mit dem Bau seines neuen Domizils fertig war, ritt er zurück in den Wald und suchte das Haus seiner Braut auf. Sie aber kam ihm nicht entgegen, sondern blieb in der Stube sitzen, das Gesicht mit einem Tuch verhüllt.
„Geh weg“, sagte sie. „Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein.“
Der stolze Graf war durch diesen Empfang wie vor den Kopf gestoßen. Er drehte sich wortlos um und verließ sie, ohne zu fragen, womit er diese Abfuhr verdient hatte.
Magdalena aber freute sich zu früh: Der Graf kehrte nicht in sein altes Heim zurück, sondern wohnte allein in dem neu erbauten Haus. Er trauerte lange um Nadas Liebe, aber sein Stolz hinderte ihn daran, zu der schönen Prinzessin zurückzukehren und zu fragen, warum sie ihn nicht mehr liebte.
Nachdem einige Zeit vergangen war, beschloss der Graf, noch einmal zu heiraten. Doch der Gedanke an Nada ließ ihm keine Ruhe. Er dachte zurück an ihre grenzenlose gegenseitige Liebe, erinnerte sich an Nadas zarte Hände und ihre liebliche Stimme und an die Nächte mit ihr, und er konnte nicht vergessen, wie sie ihn vor dem sicheren Tod gerettet hatte. Endlich entschied er, dass er sie vor seiner Hochzeit noch einmal wiedersehen wollte, um sich für immer von ihr zu verabschieden. Die Vernunft sprach gegen sein Vorhaben, doch sein Herz rief ihn so deutlich, dass ihn seine Füße von ganz allein zu der vertrauten Waldhütte führten. Als er dort ankam und die Tür öffnete, sah er, dass Nadas Gesicht durch eine schreckliche Narbe entstellt war. Die Aufregung vor dem Wiedersehen mit seiner Geliebten, die ihn auf dem ganzen Weg begleitet hatte, wich tiefem Entsetzen.
„Wer hat dich so zugerichtet?“, fragte er heiser. „Hast du Schmerzen? Kann ich irgendetwas für dich tun?“
„Böse Menschen haben uns unser Glück missgönnt, sie wollten sich an mir rächen und mich töten. Doch ich habe überlebt, nur diese Narbe ist geblieben.“
„Aber warum hast du mir denn nichts gesagt? Warum hast du geschwiegen?“
„Ich wollte dir mit meinen Wunden nicht zur Last werden.“ Nada sah ihren Geliebten traurig an.
Lange schwiegen die beiden. Schließlich sagte Graf Herbert:
„Als du mich damals verabschiedet hast, war ich zutiefst betroffen. Ich beschloss, eine andere Frau zu heiraten. Nun bin ich gekommen, um mich endgültig von dir zu verabschieden. Ich wusste, dass ich eigentlich nicht hätte kommen dürfen, aber meine Füße trugen mich von selbst zu dir. Meine Seele sehnt sich immer noch nach dir.“
„Dann komm zu mir, wenn meine hässliche Narbe dich nicht abschreckt, und umarme mich ein letztes Mal zum Abschied. Ich möchte noch einmal deine Lippen küssen und mich an deinen Körper erinnern.“
Herbert trat zu ihr, umarmte sie – und wollte die Umarmung nicht wieder lösen.
„Ich will nicht ohne dich leben“, sagte er. „All die Zeit konnte ich dich nicht vergessen, und ich weiß jetzt, dass ich das niemals können werde. Du bist mir vorbestimmt. Du bist alles, was mein Herz sich wünscht.“
„Was willst du aber deiner Braut sagen?“
„Ich werde ihr die Wahrheit sagen: dass ich meine Liebe wiedergefunden habe, die ich verloren glaubte, und dass ich sie nicht heiraten kann. Ich kann sie nur bitten, mir zu vergeben. Und du? Hast du an mich gedacht?“
„Wie hätte ich nicht an dich denken können, wo doch meine Liebe zu dir mich beinahe das Leben gekostet hätte? Aber ich liebe dich mehr als mein Leben.“
Von diesem Tag an blieben Herbert und Nada zusammen und lebten glücklich und im Einklang miteinander. Die Braut des Grafen war anfangs zornig wegen der geplatzten Hochzeit, doch schließlich ergab sie sich in ihr Schicksal. Der Graf machte ihr wertvolle Geschenke, die ihr halfen, den Verzicht zu überwinden.
Magdalena aber ist bis heute wütend auf Herbert, weil er nicht zu ihr zurückgekehrt ist. Von ihrer Bosheit ist sie alt und hässlich geworden, ihre Schönheit ist dahin. Sie lebt verbittet und einsam in ihrem herrschaftlichen Haus.
Das Märchen von der klugen Lubava
In uralten Zeiten lag am Fuße hoher Berge ein kleines Fürstentum. Es war weder reich noch arm, weder in aller Munde noch völlig vergessen, es lebten dort gewandte ebenso wie ungeschickte Menschen. Aber alle lebten frei und fröhlich, so dass keiner das Land verlassen wollte. Morgens wachte das Volk mit Liedern auf, am Abend ging man mit Märchen schlafen, alle waren sehr nett zueinander, und es gab keine traurigen oder unzufriedenen Gesichter.
Dieses traumhafte Land wurde von dem Fürsten Lubomir regiert. Er war kräftig und gut gebaut, hatte ein angenehmes Äußeres und war ein kluger Kopf. Seine Frau war die Fürstin Milana, und er betete sie an. Sie schielte zwar etwas auf einem Auge, und von Geburt an fehlte ihr der kleine Finger der rechten Hand. Aber Lubomir war Feuer und Flamme für seine Milana, er brauchte nur einen Blick auf ihr leicht schielendes Auge zu werfen, da durchzuckte es ihn so, dass er nicht ruhig bleiben konnte. Und wenn er ihre Hände zu küssen begann und zu der Stelle kam, wo der kleine Finger fehlte, da verging er beinahe vor Zärtlichkeit für seine Fürstin und war bereit, ihr auf der Stelle jeden Wunsch zu erfüllen. Dass Milana ihm geistig nicht gewachsen war, dass sie nicht gerade eine berauschende Schönheit war, von Handarbeit nicht viel verstand und auch sonst keine besonderen Talente hatte, störte ihn nicht im Geringsten – er liebte sie leidenschaftlich, und für ihn war sie die wunderbarste Frau auf Erden.
Aus dieser großen Liebe gingen nacheinander drei prächtige Söhne hervor. Doch als sie erwachsen wurden und langsam ins heiratsfähige Alter kamen, geschah ein furchtbares Unglück: Milana erkrankte plötzlich, sie fühlte sich sehr schwach, konnte aber nicht sagen, wo sie Schmerzen hatte. Fürst Lubomir rief alle bekannten Ärzte herbei und befahl ihnen, seine Fürstin zu heilen. Die klugen und gelehrten Ärzte versammelten sich um Milana‘s Bett und begannen ihr Fragen zu ihrer Krankheit zu stellen. Sie lag da, schaute sie an und sprach leise: