»Rauhe Kunden«, bemerkte Carter. Flack stieß einen der gefesselten Männer mit dem Fuß an und gab wieder sein seltsames Gekicher von sich.
Ann und Karen hatten mit Angels Hilfe Sue Ellen auf das Sofa gebettet. Sobald sie sie hingelegt hatten, verlor Sue Ellen das Bewußtsein und begann, wirres Zeug vor sich hin zu brabbeln. Ann und Karen konnten nicht verstehen, was sie murmelte. Ann schaute zu Angel auf und versuchte, in dem Gesicht des Mädchens eine unausgesprochene Kenntnis dessen, was Sue Ellen widerfahren war, zu lesen.
Angel biß sich auf die Lippe. »Im Auto hat sie das Bewußtsein verloren«, erzählte sie. »Wir haben sie gefunden, als sie von ein paar dieser Wesen angegriffen wurde. Flack hat sie gerettet. Seither ist sie nicht bei Sinnen.« »Stammen die Wunden von diesen Dingern?« fragte Ann. »Wenn ja, dann schwebt sie in entsetzlicher Gefahr. Wenn sie daran stirbt, wird sie zu einer von ihnen.« »Ja... ich meine, ich glaube, sie stammen davon. Sicher. Sie hat Schrammen und Blut überall. Aber sie wird nicht sterben. Sie ist nur von Sinnen, sonst nichts.« »Keiner weiß, wie man die Krankheit heilen kann, die diese Dinger haben«, platzte Flack heraus. »Wenn sie stirbt, müssen wir dafür sorgen, daß sie nicht wieder aufsteht.«
»Diese Bemerkung jagt den Mädchen nur Angst ein«, tadelte Carter seinen Adjutanten Flack und sah ihn mißbilligend an. »Ich sage, was mir paßt«, fauchte Flack. »Nur weil du 'ne verfluchte Uniform anhast, kannst du mich noch lange nicht rumkommandieren. Ich gebe meine Adjutantenmarke zurück.« Das erschien ihm irgendwie ungeheuer komisch, und er brach in grölendes Gelächter aus.
Ann und Karen achteten nicht auf die Männer. Karen drückte ihre Handfläche auf Sue Ellens Arm und ging dann in die Küche, um ein paar kalte Kompressen zu holen. Angel trat neben Flack und legte ihm die Hand auf die Schulter, doch er stieß sie weg. Angels Augen sprühten eine Sekunde lang Feuer, aber sie sagte nichts. Flack würdigte sie keines Blickes und stellte sich indessen neben die Gefangenen am Boden. Er stieß einen von ihnen mit der Stiefelspitze an.
Die Gefangenen reagierten nicht, sondern drehten nur ihre Augen in seine Richtung.
Wade Connely lachte. »Rauhe Kunden«, wiederholte er die Worte, die Carter vorher gesagt hatte. Er sah Carter Beifall heischend an, doch Carter gab keine Antwort. Mit trotzigem Gesicht hatte Angel angefangen, im Wohnzimmer herumzuschlendern. Hin und wieder blieb sie stehen und nahm verschiedene Gegenstände von dem Kamin sims in die Hand, untersuchte sie und stellte sie zurück, als seien sie enttäuschend und nicht wert, angeschaut zu werden. Dann erhaschte sie einen Blick von sich selbst im Spiegel, holte einen Kamm hervor und begann, ihr langes, rotes Haar zu kämmen. Sie hatte ein hartes Gesicht. Sie war nicht hübsch und hatte etwas Wildes, Unbändiges an sich, als sei sie irgendwann in ihrem Leben tief verletzt worden und suche nach einer Gelegenheit, jemand anderen ihrerseits zu verletzen. Wie Flack trug sie Jeans und ein Wollhemd. »Wenn ich ihn ein bißchen anstupse, sagt er nichts«, erklärte Flack, der noch immer mit der Stiefelspitze gegen einen der Gefangenen trat. »Was meinst du, gibt's irgendwas, womit ich seine Aufmerksamkeit erregen kann? « »Da bin ich überfragt!« erwiderte Wade Connely grinsend und ging ans Fenster.
Flack hob den Fuß und hielt ihn über de Lenden des einen Gefangenen.
»Laß die Gefangenen in Ruhe!« schnauzte Carter und sah Flack zornig an. Sein Gesichtsausdruck veranlaßte Flack, den Fuß zurückzuziehen.
Draußen wurde Motorengeräusch hörbar.
»Was ist das?« fragte Carter und packte seine Pistole fester.
Wade Connely beugte den Kopf und versuchte einen Blick
durch einen dünnen Spalt zwischen den Brettern zu finden.
»Ein Motorrad«, berichtete er. »Es hält hier an.«
Sie horchten alle, wie der Motor abgestellt wurde. Wade
schaute noch immer durchs Fenster.
»Wer ist das?« drängte Carter, den Blick zu den drei Schwestern gewandt.
»Wahrscheinlich Billy«, gab Ann ihm die verlangte Auskunft. »Sue Ellens Freund.«
»Komm und schau nach!« gebot Carter ihr. Die Grobheit seines Befehls erschreckte sie.
Sie trat ans Fenster. »Es ist Billy«, bestätigte sie. »Ich sollte ihn hereinlassen.« Aber sie tat es nicht, weil sie hinter sich Flack und Wade Connely mit gezogenen Pistolen entdeckt hatte.
»Stecken Sie die Pistolen weg, meine Herren«, befahl der Polizist Carter. »Die junge Dame wird den jungen Mann hereinlassen. Ich nehme jedenfalls an, daß er jung ist«, fügte er hinzu und scheuchte Ann zur Tür.
Ann machte auf, und Billy stürmte ins Zimmer. Als er all die Fremden sah, blieb er abrupt stehen. »Ann - was ist hier los?« »Billy... Sue Ellen ist etwas zugestoßen.« Billys Augen flitzten von einem zum anderen, bis er Sue Ellen auf dem Sofa entdeckte, und er eilte sofort zu ihr, hockte sich neben sie und legte ihr die Hand auf die Stirn. Aber sie reagierte nicht. »Was hat sie, Karen? Was ist passiert? « Die Panik in Billys Stimme war nicht zu verkennen. Er nahm den Motorradhelm ab und man sah, wie jung er noch war. Er schien nicht älter als siebzehn zu sein. Seine Cordjacke war zu groß für seine schmalen Schultern, und seine langen, dünnen Beine steckten in Jeans. Er hatte blondes Haar und Sommersprossen und einen vorstehenden Adamsapfel, der weniger aufgefallen wäre, hätte Billy mehr gewogen.
»Wir wissen nicht, was ihr zugestoßen ist, Billy«, beantwortete Karen seine Frage. »Sie wollte heute nachmittag von zu Hause fortlaufen, allein. Sie wurde von den... den Dingern angegriffen, und diese Männer hier retteten sie.« Billy schaute auf die drei Fremden. Flack hatte sein übliches Grinsen im Gesicht. Wade Connely hielt seinen Blick auf Billy fixiert und taxierte den jungen Mann unverhohlen. Carter schien an dem Jungen völlig uninteressiert, pfiff eine kurze Melodie vor sich hin und verstummte. Als Billys Augen wieder auf Flack fielen, war das Grinsen immer noch da, hart und herausfordernd. Aus einem Impuls heraus rief Billy: »Seid ihr sicher, daß sie sie
gerettet
haben - oder haben sie vielleicht mitgeholfen, sie so zuzurichten?«
Flack ging auf Billy zu. »Das war aber gar nicht nett, so was zu sagen.«
»Halt's Maul!« Das war Carters Stimme. Er war aufgesprungen und schaute zornig in die Runde. Als er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen hatte, änderte er den Tonfall, und seine Stimme klang ruhig und ernst. »Das Mädchen - Sue Ellen, so heißt sie doch, nicht wahr? - wurde von jenen Dingern angegriffen und wir haben sie aus ihren Klauen gerettet. Die beiden anderen Mädchen haben wir ebenfalls gerettet. Für ihren Vater konnten wir nichts mehr tun. Er war tot, als wir hier ankamen. Fragen Sie die Mädchen, wenn Sie uns nicht glauben wollen. Aber ich meine, Sie werden feststellen, daß Sie uns zu Dank verpflichtet sind.« »Ich bitte um Verzeihung«, entschuldigte sich Billy. »Das klingt schon besser«, entgegnete Carter zum Abschluß der Diskussion.
Ann ging scheu auf Billy zu und berührte ihn am Ellbogen. »Billy... könntest du mir vielleicht helfen, Sue Ellen nach oben zu bringen? Ich glaube, wir sollten sie ins Bett legen und warm zudecken.« Billy folgte Ann zum Sofa und sie betrachteten das bewußtlose Mädchen und überlegten, wie sie es am besten transportieren könnten.
»Ich mache heißen Tee für sie«, schlug Karen vor. »Ich glaube, wir könnten alle einen gebrauchen.« Sie stand auf und begab sich in die Küche.
Angel trat an eines der mit Brettern vernagelten Fenster und fand einen Spalt, durch den sie nach draußen schauen konnte. »Da sind noch mehr von diesen Dingern draußen«, stellte sie fest und sprang unwillkürlich zurück. »Mindestens ein halbes
Dutzend, die auf dem Rasen rumlungern.«